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Beängstigende Zahlen. Auslandsmitarbeiter und Geschäftsleute werden häufiger entführt als vermutet. Die Unternehmen sind in der Pflicht, ihre Angestellten sorgfältig auf den Einsatz in Krisengebieten vorzubereiten. Foto: dpa

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Wirtschaft: Gefährliche Mission

Immer mehr Geschäftsleute werden im Ausland Opfer von Entführungen. Deutsche Auslandsmitarbeiter sollten sich auf ihren beruflichen Einsatz in Risikogebieten gezielt vorbereiten.

Die Dunkelheit war gerade hereingebrochen im pakistanischen Multan, als vermummte Männer ins Haus der beiden Mitarbeiter der Welthungerhilfe eindrangen. Mit vorgehaltenen Waffen zerrten sie die Bewohner in einen Geländewagen und verschwanden mit ihnen. Das war im Januar vergangenen Jahres. Das erste Lebenszeichen der Entführten kam elf Monate später, im Dezember 2012: In einer Videobotschaft bat der deutsche Entwicklungshelfer, auf eine gewaltsame Befreiung zu verzichten – damit er seine Familie lebend wiedersehen könne. Seitdem gab es weder von ihm oder seinem italienischen Leidensgenossen eine Nachricht, noch wurde von den Entführern eine Forderung gestellt.

Auslandsmitarbeiter und Geschäftsleute werden häufiger Opfer von Kidnappern als vermutet. Waren es 1999 laut dem Kidnap Monitor des Spezialversicherungsunternehmens Hiscox, knapp 1800 Fälle, hat sich die Zahl weltweit bis 2006 bereits auf 23 000 verdreizehnfacht. Schätzungen der niederländischen Menschenrechtsorganisation IKV Pax Christi gehen inzwischen von 40 000 bis 100 000 Fällen pro Jahr aus. Die Dunkelziffer ist extrem hoch, weil zum Beispiel Länder wie China keine Entführungsstatistiken veröffentlichen, lokale Behörden aus Misstrauen oft nicht informiert werden und sogenannte Express-Entführungen dazugekommen sind: Ausländer werden gezwungen, mit ihrer Kreditkarte Geld an Automaten abzuheben und sich selbst freizukaufen. Danach werden sie wieder laufen gelassen.

Ob die Zahl der entführten Deutschen steigt, ist unklar. Denn auch hierzulande sind die erhältlichen Zahlen fragmentarisch. Ob Versicherung oder Krisen-Dienstleister, jeder beruft sich auf Erhebungen aus dem eigenen Kundenkreis. Eine offizielle Gesamtstatistik etwa des Bundeskriminalamts oder des Auswärtigen Amts, die bei Entführungen in der Regel eingeschaltet werden, gibt es nicht. Aber in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Waren Entführungen ursprünglich die Spezialität lateinamerikanischer Gangster, hat sich diese Art des Verbrechens in den letzten zehn Jahren weltweit ausgebreitet. Nicht immer geht es um organisierte Kriminalität, mancherorts dienen Entführungen auch dazu, Terroristen mit Geld für Waffen zu versorgen. Insider sprechen von einer regelrechten „Entführungsindustrie“: In mehr als einem Dutzend Länder gilt Kidnapping als großes Geschäft, das Unternehmen mindestens eine Milliarde Dollar pro Jahr kostet, schätzt Pax Christi.

Dazu beigetragen hat nicht nur, dass sich Unternehmen in riskante Gegenden vorwagen, um Rohstoffe zu gewinnen oder Geschäfte anzubahnen, sondern auch, dass es Versicherungen gibt. Diese schließen Arbeitgeber immer öfter für Manager und ihre Familien im Ausland ab – oft ohne deren Wissen.

Das Entführungsrisiko ist zwar in Venezuela, Kolumbien und Mexiko nach wie vor hoch. Doch wegen einer extrem verschärften Gefahr für Ausländer verschleppt zu werden, sind neuerdings neben Afghanistan und Teilen von Pakistan auch etliche Länder Afrikas auf der Weltkarte dunkelrot gefärbt. Die größte Gefahr für Ausländer, auf dem schwarzen Kontinent entführt zu werden, besteht in Mali und in Somalia inklusive den Gewässern vor dem ostafrikanischen Küstenstaat, bis weit in den Indischen Ozean hinein, wo trotz erhöhter Schutzvorkehrungen durch die Bundeswehr noch immer Frachter von Piraten überfallen werden.

Walfried Sauer, Chef der Result Group, einem Beratungsunternehmen für Risiko- und Krisenmanagement, sagt: „Afrika ist seit dem Arabischen Frühling instabiler geworden, denn die alten Sicherungssysteme sind vielerorts zusammengebrochen.“ Sauer, der früher Mitglieder von Sondereinsatzkommandos wie der GSG 9 ausbildete und Erfahrungen in Sachen Terrorfahndung und Personenschutz hochrangiger Persönlichkeiten hat, warnt: „Terrorgruppen wie Al-Kaida haben sich ausgebreitet und drohen offen damit, gezielt deutsche und britische Geschäftsleute zu kidnappen.“

Wurde früher die Neutralität humanitärer Helfer anerkannt, ist das heute keine Sicherheitsgarantie mehr. „Denn viele bewaffnete Gruppen betrachten unsere Mitarbeiter als Vertreter des feindlichen Westens und damit als potenzielles Angriffsziel“, sagt Simone Pott, Sprecherin der Deutschen Welthungerhilfe, mit Blick auf den akuten Fall ihrer beiden entführten Kollegen. Kidnappings solchen Kalibers sind traumatisch – für die Opfer und ihre Familien, aber auch für den Arbeitgeber, der sich fragen lassen muss, ob er seiner Fürsorgepflicht genügend nachgekommen ist. Daran scheint es zu hapern: Offenbar fühlt sich nur jeder vierte Entsendete, der in einem Risikogebiet arbeitet, genügend vorbereitet. Das ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichten Studie des Lehrstuhls für Internationales Management der Universität Hamburg.

Aus seiner Praxiserfahrung heraus schätzt Walfried Sauer, dass rund 80 Prozent der großen Konzerne ihre Mitarbeiter zur Gefahrenlage vor Ort schulen und über ein funktionierendes Risikomanagement inklusive 24-Stunden-Notruf, aktuellen Adressen von erfahrenen Kontaktleuten im Ausland und Entscheidern für den Fall einer Entführung verfügen. Aber nur etwa 20 Prozent der deutschen Mittelständler seien ausreichend vorbereitet. Vor allem, wenn sie das erste Mal Mitarbeiter in Risikoländer entsenden. Sauer: „Manche Mittelständler springen ganz unbedarft zum Beispiel in Libyen oder Nigeria herum. Es ist ihnen offenbar nicht bewusst, welchem hohen Risiko sie sich aussetzten.“ In Nigeria endete 2012 die Entführung eines Mitarbeiters des Bauunternehmens Bilfinger Berger tödlich.

Doch auch „die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hat Grenzen", sagt Rechtsanwalt Achim Heuser. Er ist auf die Vertragsgestaltung für Auslandsmitarbeiter spezialisiert und weiß, dass die Firmenregelungen zum Schutz der Expatriats sehr unterschiedlich ausfallen. Sein Rat: „Weiß ein Mitarbeiter, dass er in ein gefährliches Land geht, muss er selbst auch für seine Sicherheit sorgen.“ Und am besten vorab mit dem Arbeitgeber konkrete Maßnahmen vereinbaren.

Dazu gehören gezielte Trainings. Dabei geht es darum, „Expats und ihren Angehörigen landestypische Kriminalitätsformen zu verdeutlichen und Präventions- und Verhaltensstrategien einzuüben“, sagt Elke Ickenstein. Sie ist Kommunikationsmanagerin beim Chemiemulti Bayer. Unauffällig sein und keine Verhaltensmuster erkennen lassen, um nicht so leicht abgefangen zu werden, wird den Teilnehmern eingeschärft. Oberste Priorität der Trainings: „Gefahrensituationen zu entschärfen. Gewalttätige Verteidigung ist niemals vorgesehen“, sagt Hans-Jürgen Stephan. Er ist Chef des Trainingsanbieters Control Risks. Sich selbst zu bewaffnen, hält der ehemalige BKA-Beamte für riskant: „Jede Waffe kann dem Expat abgenommen werden und dann gegen ihn verwendet werden.“

Auch die Welthungerhilfe bereitet jeden Auslandsmitarbeiter seit langem auf die jeweilige Gefahrenlage vor Ort vor. Die Schutzmaßnahmen reichen von landesspezifischen Kleidungsvorschriften bis zu Sicherheitsregeln: „In manchen Gebieten muss sich der Mitarbeiter jede Stunde über Funk im Büro melden, oder er darf nach Einbruch der Dunkelheit keine Überlandfahrten mehr machen“, sagt Pott. Vor der Ausreise werden zusammen mit Bundeswehrsoldaten auf einem Truppenübungsplatz Überfälle simuliert. Doch auch dies alles hat dem deutschen Entwicklungshelfer und seinem italienischen Kollegen nichts genutzt – für sie geht es jetzt nur noch darum, den bereits mehr als ein Jahr dauernden Albtraum ihrer Gefangenschaft zu überstehen. (HB)

Laura Montorio, Claudia Obmann

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