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Wirtschaft: Gefährliche Speisekarte

China hebt das Verkaufs- und Verzehrverbot für exotische Tiere auf, die im Verdacht stehen, die Lungenkrankheit Sars zu übertragen

Von Matt Pottinger

und Ben Dolven

Peking hat nach 15 Wochen das Verkaufs- und Verzehrverbot für Zibetkatzen und andere exotische Tiere aufgehoben, obwohl vieles dafür spricht, dass die Epidemie Sars ihren Ursprung in den Märkten für Wildtiere hatte. Die staatliche Forstbehörde listete am vergangenen Dienstag in einem nationalen Rundschreiben 54 Tierarten auf, die wieder für den menschlichen Verzehr oder als Haustier verkauft werden können, sofern sie auf Bauernhöfen gezüchtet und nicht in der freien Natur gefangen werden, sagte ein Sprecher der Behörde am Mittwoch. Er sagte, das Rundschreiben solle „das Zähmen und Züchten wilder Tiere standardisieren und unterstützen“.

Andere offizielle Stellen in China sagen, der Schritt resultiere aus der Schwierigkeit, das Verbot durchzusetzen, das Ende April verhängt wurde, weil sich die Hinweise verdichteten, dass die Märkte für lebende Tiere die Epizentren des schweren akuten Atemwegssyndroms Sars sein könnten, das die Menschen in der südchinesischen Provinz Guangdong seit letzten November heimsuchte. Tausende Landwirte, Tierhändler, Markthändler und Restaurantarbeiter, von denen viele bereits mit der verhaltenen wirtschaftlichen Entwicklung kämpfen müssen, waren durch das Verbot ohne Arbeit. Einige organisierten Demonstrationen, andere schufen Schwarzmärkte, um den in Südchina tief verwurzelten Appetit auf Wildtiere zu befriedigen.

Dieses Beispiel zeigt, wie in China kulturelle und ökonomische Gegebenheiten mit den Zielen der Gesundheitspolitik kollidieren können. Das Ergebnis in diesem Fall: die Wiedereinrichtung der Märkte für lebende Tiere, die, wie viele Experten annehmen, eine Wiederkehr von Sars begünstigen könnte. Die Experten wissen nicht, ob die Krankheit zurückkehren wird, aber es gilt als wahrscheinlich, dass die Epidemie, die sich zu Beginn des Jahres in nur wenigen Wochen rund um die Erde verbreitet hat, von einem noch unbekannten „Reservoir“ wilder Tiere kommt, in dem sich die Virusart entwickelt und dann auf den Menschen überspringt. Ein hochrangiger Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, Klaus Stohr, sagt, die jüngste Entwicklung habe ihn erschüttert. „Die Grundlage für eine Wiedereinführung des Wildtierhandels sollte eine ordentliche Risikobewertung sein, die auf dem Schutz der Gesundheit basieren sollte“, sagt Stohr. „Eine solche Risikobewertung ist nicht durchgeführt worden, und wir sind deshalb sehr besorgt.“

Der Verdacht eines Zusammenhangs zwischen Wildtieren und Sars ist keine wilde Spekulation. Viren, die nahezu identisch mit denen sind, die Sars verursachen, sind von zwei voneinander unabhängigen Forschergruppen in Tieren gefunden worden, die für den menschlichen Verzehr bestimmt waren. Die erste Studie stammt aus dem Mai, als Forscher der Universität Hongkong und des Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention in Shenzhen Proben von Tieren entnahmen, die auf dem Markt in Shenzhen zum Verkauf angeboten wurden. Dabei isolierten sie Viren von verschiedenen Zibetkatzen und einem Waschbären. Für einige der Proben wurde die genetische Sequenz ermittelt, und es zeigte sich, dass das Virus zu 99,8 Prozent identisch mit demjenigen ist, das Sars verursacht.

Eine zweite Forschergruppe vom Institut für Virologie in Wuhan in Zentralchina hat zwei Wissenschaftlern zufolge, die mit den Ergebnissen vertraut sind, das Virus in mindestens zwei von 40 Zibetkatzen, die aus einem Zuchtbetrieb in der Provinz Hubei stammen, isoliert. Mit diesen Ergebnissen konfrontiert, wiegelte der Sprecher der Forstbehörde am Mittwoch ab: In einer Studie der chinesischen landwirtschaftlichen Universität sei das Virus in hunderten untersuchten Tieren nicht aufgetaucht.

Ein anderer Mitarbeiter der Behörde meint, es sei möglich, dass die infizierten Zibetkatzen das Virus vom Menschen gefangen hätten und nicht umgekehrt. Auf die Frage, ob es nicht ratsam sei, diese Hypothese wissenschaftlich zu erhärten, bevor man zulasse, dass die Zibetkatzen wieder auf den Markt kommen, sagte er: „Sollen wir aufhören, Rindfleisch zu essen, nur weil die Krankheit BSE existiert?“

Reaktionen aus dem Gesundheitsministerium legen den Verdacht nahe, dass die Gesundheit bei der Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Deng Haihua, ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte, die Angelegenheit liege nicht in seiner Hand. Er räumte ein, die jüngsten Studien, die Sars mit Zibetkatzen in Verbindung bringen, seien ihm nicht bekannt gewesen, weil die Bemühungen, den tierischen Ursprung von Sars zu finden, vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie koordiniert würden. „Wir haben keinen wissenschaftlichen Beweis, um die Entscheidung der Forstbehörde zu befürworten oder abzulehnen“, sagt er. „Die Menschen können frei entscheiden, was sie essen und was nicht. Das Gesundheitsministerium ist nicht berechtigt, sich einzumischen.“

Übersetzt und gekürzt von Gregor Hallmann (Medicare), Matthias Petermann (BBC, Kosovo), Svenja Weidenfeld (China) und Karen Wientgen (US-Arbeitsmarkt).

Matt Pottinger, Ben Dolven

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