zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Gefährlicher Aufschwung

Der Staat spart nicht genug – bald könnten die Schulden wieder explodieren Von Rolf Peffekoven

Zum ersten Mal seit 2001 hält Deutschland in diesem Jahr wieder die Grenze für die Nettokreditaufnahme ein, die der Maastrichter Vertrag vorschreibt. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat seinen EU-Kollegen ein gesamtstaatliches Defizit von 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gemeldet. Das noch laufende Defizitverfahren ist daraufhin ausgesetzt worden; Sanktionen sind vorerst nicht mehr zu befürchten. Es habe in Brüssel viel Anerkennung für die deutsche Finanzpolitik gegeben, sagte Steinbrück. Am Kurs hat sich aber nichts Entscheidendes geändert.

Die geringere Kreditaufnahme ist im Wesentlichen das Ergebnis der guten Konjunktur: Statt des zunächst für dieses Jahr erwarteten Wirtschaftswachstums von 1,6 Prozent rechnet die Regierung nun mit 2,3 Prozent. Dies, verbunden mit dem Rückgang der Arbeitslosenzahl um etwa 300 000, hat zu höheren Steuereinnahmen und sinkenden Staatsausgaben geführt. Es geht also im Wesentlichen um eine Verringerung der konjunkturell bedingten Verschuldung – und nicht um eine angeblich erfolgreiche Konsolidierung. Die strukturellen Defizite des Staates sind nach wie vor hoch.

Angesichts der guten Wirtschaftslage müsste die Defizitquote weit unter 2,6 Prozent liegen. Denn in konjunkturell normalen Zeiten verlangt der Stabilitätspakt einen ausgeglichenen Haushalt oder einen Überschuss. Wenn aber selbst bei ordentlichem Wachstum das Defizit so hoch liegt, ist zu befürchten, dass beim nächsten Abschwung – den viele schon für 2007 erwarten – die Drei-Prozent-Grenze wieder überschritten wird. Dann müsste erneut ein Defizitverfahren gegen Deutschland eingeleitet werden. Deshalb muss die strukturelle Verschuldung abgebaut werden – entschlossener als bisher. Es ist richtig, dass EU-Kommission und Ministerrat verlangen, dass Deutschland diese Defizite um jährlich 0,5 Prozent senkt. Das geht nur über zwei Wege: Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen. Für 2006 tut Steinbrück nichts dergleichen. Im Gegenteil: Wegen eines Konjunkturprogramms mit Ausgabenerhöhungen und Steuersenkungen ist die Nettokreditaufnahme erneut gestiegen. 2007 werden dann die Steuern massiv erhöht, vor allem die Mehrwertsteuer. Das ist zwar eine Konsolidierungsstrategie, aber angesichts der Wirtschaftslage und der zu erwartenden konjunkturellen und verteilungspolitischen Wirkungen die falsche. Um die Defizite abzubauen, muss der Staat auf allen Ebenen seine Ausgaben zurückführen und umstrukturieren. Nur so wird er der Globalisierung, der demografischen Entwicklung und den Mängeln im Bildungswesen gerecht.

So erfreulich der Aufschwung ist, er birgt die Gefahr, dass die strukturellen Probleme unserer Volkswirtschaft verdeckt und der Reformeifer untergraben werden. Gerade die gute Konjunktur und die deutlichen Mehrheiten der großen Koalition in beiden Kammern des Parlaments sollten eine mutige Politik ermöglichen. Dabei müssen zweifellos Besitzstände vieler Bürger und Unternehmen angegriffen werden. Dafür ist das erste Jahr einer Legislaturperiode der beste Zeitpunkt. Das gilt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch für das Land Berlin: Die bisherigen Bemühungen um den Abbau des Defizits und des Schuldenstands waren dringend notwendig, durchaus beeindruckend, aber – wie das Urteil bestätigt – nicht hinreichend. Der neue Senat wird deshalb bald weitere Kürzungen angehen müssen. Nur so kann die Stadt aus der Schuldenfalle herauskommen. Auf Hilfe des Bundes oder anderer Länder kann sie nun nicht mehr rechnen.

Professor Rolf Peffekoven ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Mainz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false