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Geld aus der Ferne: Asiatische Unternehmer investieren häufiger in Deutschland

In Zeiten der Globalisierung ist es Alltag geworden, dass ein ausländischer Investor eine deutsche Firma kauft. Neu ist, dass zunehmend Kapitalgeber aus Schwellenländern Interesse zeigen. Sie interessiert der Markt, aber auch die Technologie

Rathenow/Berlin - Das Büro von Herrn Jiang erreicht man über eine rostige blaue Stahltreppe. Von oben blickt man auf das sandige Fabrikgelände, die grauen Dächer der Produktionshallen und den havelländischen Himmel. An der Wand hängt ein Plakat mit chinesischen Schriftzeichen und, etwas versteckt, eine Landkarte von China. Herr Jiang kann den Besuchern mit dem Finger etwas wehmütig seinen Heimatort zeigen.

Ziqiang Jiang lebt seit drei Jahren in Deutschland, er spricht kein Deutsch und kein Englisch – und er ist der Arbeitgeber von 40 Brandenburgern. Denn Jiang leitet ein erfolgreiches deutsches Mittelstandsunternehmen: die Welz Gas Cylinder AG. Für 2,4 Millionen Euro hat der Chinese das Unternehmen 2003 gekauft. Ziqiang Jiang ist in China ein „wohlhabender, beinahe legendärer Unternehmer“, so steht es auf der deutschen Firmenhomepage. In ganz Asien sei er mit seiner Huasheng-Gruppe Branchenführer in der Gasflaschenproduktion.

Nach Rathenow, in die brandenburgische Kreisstadt mit rund 23 000 Einwohnern, kam Jiang 2002. Die 1923 gegründete Welz Gas Cylinder AG war insolvent. Doch die Jiang Trading GmbH interessierte sich für das Unternehmen und seine Nischenprodukte – Druckbehälter kleiner Bauart, die in Bierzapfanlagen, Getränkesprudlern, Aquarien und Feuerlöschern eingesetzt werden. Jiang kannte die Rathenower, weil sei zu seinen deutschen Kunden zählten. Er stieg ein – und war damit das erste private chinesische Unternehmen, das eine deutsche Firma übernahm. Heute ist Welz mit seinen Produkten Marktführer. Seit Ziqiang Jiang investiert hat, steigt der Umsatz. Von 2008 auf 2009 sogar um 30 Prozent auf rund vier Millionen Euro.

„Wir hatten am Anfang schon große Bedenken“, erzählt Betriebsleiter Steffen Hahn, der seit zwölf Jahren im Unternehmen ist. Die Sorge verflog aber bald, als er die vielen Investitionen der neuen Eigentümer in Maschinen und Anlagen sah. Heute ist es normal, dass im Raum nebenan der chinesische Geschäftsführer sitzt, der sich beim Gang durch den Betrieb auch gerne mal selbst an eine der röhrenden Maschinen stellt.

In Zeiten der Globalisierung ist es Alltag geworden, dass ein ausländischer Investor eine deutsche Firma kauft. Neu ist, dass zunehmend Kapitalgeber aus Schwellenländern Interesse zeigen. Neben großen Namen wie Escada fanden sich zuletzt auch etliche kleine Übernahmegeschichten darunter. Beispielsweise der Mittelständler Betapharm. Das pharmazeutische Unternehmen vertreibt Generika, also patentfreie Arzneimittel. 2006 kaufte das indische Pharmagroßunternehmen Dr. Reddy’s das deutsche Unternehmen für geschätzte 480 Millionen Euro. Ein Inder schlug auch bei der Textilhandelskette Wehmeyer zu – der Unternehmer Rajive Ranjan.

Gab es 2003 insgesamt nur acht Übernahmen deutscher Firmen, waren es 2008 bereits 34. Nach einem leichten Einbruch durch die Krise im vergangenen Jahr prognostiziert das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG, dass sich der Trend 2010 fortsetzt. Schon 2008 beliefen sich die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland auf 568 Millionen Euro, Inder investierten 310 Millionen.

Die Gründe für das steigende Interesse sind vielfältig: Viele Unternehmen in den Schwellenländern haben sich in den letzten Jahren durch fortschreitende Technologie und Globalisierung gut entwickelt und trotz Krise Gewinne erwirtschaftet. Jetzt ist Geld für Einkaufstouren in verschiedensten Branchen da.

Einige Regierungen, China etwa, fördern die internationale Expansion massiv. Und warum Deutschland? Viele Investoren lockt das deutsche Technik-Know-how, von dem die eigenen Ingenieure profitieren wollen. Auch die Aussicht auf neue Absatzmärkte ist anziehend. Ein weiterer Vorteil: Deutschlands Lage im Zentrum Europas. „Wir sind führend, was die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft angeht, das schätzen die Unternehmer. Außerdem haben wir einen stabilen rechtlichen Rahmen, etwa im Verhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, sagt Friedolin Strack, der beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) den Asien-Pazifik-Ausschuss leitet. Und: Ressentiments gegenüber Übernahmen aus Schwellenländern hätten in Deutschland abgenommen, sagt Thorsten Amann, Berater von KPMG. „Oft sind Investoren aus den Schwellenländern vor allem an Marktzugängen und etablierten Markennamen interessiert.“ Kleine, spezialisierte Marktführer ergänzten die Produktion der Unternehmen oftmals sehr gut.

Laut BDI-Mann Strack beleben die ausländischen Investoren die deutsche Wirtschaft: „Die Käufe führen zu einem intensiveren Wettbewerb – und das muss nicht unbedingt schlecht sein.“ Bei guten Unternehmern mit langfristigen Zielen spiele die Nationalität des Investors keine Rolle, fügt er hinzu.

Doch nicht immer überwiegen die Vorteile: „Technologietransfer ist durchaus ein Problem“, betont KPMG-Experte Amann. Deutsches Know-how sei begehrt. Ihr technischer Vorsprung sei aber für die Deutschen ein wichtiges Instrument im Wettbewerb. Auch ist das Verhältnis von Arbeitnehmern und neuen Eigentümern nicht immer konfliktfrei. „Es ist wichtig, dass die Investoren unsere Unternehmenskultur wie etwa das Mitbestimmungssystem akzeptieren“, sagt IG-Metall Sprecherin Ingrid Gier.

Von unterschiedlichen Gebräuchen lässt sich im deutsch-chinesischen Unternehmen Welz Gas Cylinder AG heute niemand mehr aus der Ruhe bringen. Da ist es selbstverständlich, dass neben den deutschen Adventstagen ebenso der chinesische Neujahrstag gefeiert wird. Und Herr Jiang findet nur lobende Worte für seine deutschen Mitarbeiter, sie seien „sehr fleißig, verlässlich und arbeiten oft eigenständiger als die chinesischen Kollegen“. Nur eine Sache lässt ihm bis heute keine Ruhe. In China sei es selbstverständlich, dass Mitarbeiter auch mal über den Feierabend hinaus oder am Wochenende arbeiteten. „In Deutschland ist Arbeit Arbeit und Urlaub Urlaub“, sagt der Geschäftsführer und lächelt fein.

Laura Gitschier

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