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Wirtschaft: Genforschung: "Wir haben keine Zeit zu verlieren"

Günter Stock ist seit 1989 im Vorstand des Berliner Pharmakonzerns Schering für Forschung und Entwicklung zuständig. Der 57-jährige Medizinprofessor, der 1983 von der Universität Heidelberg nach Berlin kam, gehört seit 1993 auch dem Senat der Max-Planck-Gesellschaft an.

Günter Stock ist seit 1989 im Vorstand des Berliner Pharmakonzerns Schering für Forschung und Entwicklung zuständig. Der 57-jährige Medizinprofessor, der 1983 von der Universität Heidelberg nach Berlin kam, gehört seit 1993 auch dem Senat der Max-Planck-Gesellschaft an. Vor wenigen Wochen hat er dort den Vorsitz übernommen.

Herr Stock, forscht Schering an embryonalen Stammzellen?

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Nein, wir arbeiten weder an Stammzellen an sich noch an embryonalen Stammzellen. Trotzdem interessiert uns das Thema sehr. Wir versuchen, Therapien zur Heilung von Krankheiten, etwa von Parkinson, zu finden, mit Hilfe der Zelltherapie. Aber ich kann nicht garantieren, dass dieser Weg erfolgreich sein wird. Deshalb muss es unser Interesse sein, dass auch andere Optionen, zum Beispiel Stammzellen, der Forschung zugänglich werden. Mir geht es hier um die grundsätzliche Offenheit für die Forschung.

Dann müssen wir uns mit der gesellschaftlichen Debatte doch gar nicht so beeilen?

Bei der Debatte wird sehr häufig übersehen, dass sich die Forschung noch in einem sehr frühen Stadium befindet. Bevor irgendjemand therapeutisch einsetzbare Gewebe oder Organe aus Stammzellen züchten kann, werden mindestens noch 20 Jahre vergehen. Ob daraus jemals ein großes wirtschaftliches Potenzial entsteht, hängt davon ab, ob diese Methode sich zur Generalisierung anbietet. Diese Zeiträume tauchen in der gegenwärtigen Diskussion so gut wie gar nicht auf. Ich plädiere trotzdem für eine konsequente Diskussion, die schnell zu einem Abschluss kommen sollte.

Wie groß ist Ihr wirtschaftliches Interesse an dieser Grundlagenforschung?

Ein Unternehmen wie Schering muss sich Geschäftsfelder für die Zukunft erschließen. Wir leben weltweit in einer alternden Gesellschaft. Und wir beobachten mit zunehmendem Alter einen generellen Funktionsverlust, zum Beispiel am Herzen, im Gehirn, bei den Nervenzellen und im motorischen System. Für diese Krankheitsfelder haben wir heute noch keine Therapie. In den Stammzellen könnte aber das Potenzial für solche Therapien liegen. Und was man nicht vergessen darf: Das, woran wir heute forschen, bringen wir als Medikament erst in 20 Jahren auf den Markt. Wir haben sehr lange Entwicklungszyklen.

Aber dann haben wir doch noch sehr viel Zeit.

Falsch. Wie haben keine Zeit zu verlieren. Gerade weil die Zyklen so lang sind, dürfen wir am Anfang keine Zeit versäumen. Wir werden sonst in einer Phase, in der Therapien und Produkte möglich sind, nicht mehr dabei sein. Deshalb muss uns daran gelegen sein, uns an dieser Forschung zu beteiligen.

Schering ist ein global strukturiertes Unternehmen. Wenn Sie nicht in Deutschland mit embryonalen Stammzellen forschen dürfen, könnten Sie das doch einfach anderswo auf der Welt tun.

Das würden wir dann gegebenfalls auch tun. Dennoch liegt uns viel an der Diskussion. Wenn wir in Deutschland nicht an der vordersten Front der Biomedizin mitforschen, dann schneiden wir Zukunft ab. Nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Medizin. Deutschland würde an Attraktivität für junge, hochbegabte Wissenschafter verlieren. Die Wirkung würden wir erst in fünf oder zehn Jahren erkennen.

Sie befürworten den Import und die Forschung an embryonalen Stammzellen. Sollten Forscher diese Zellen in Deutschland auch selbst produzieren dürfen?

Wenn es nicht gelingt, genügend Zelllinien aus den importierten und den hier in Deutschland überzähligen Embryonen herzustellen, bekenne ich mich dazu, dass ich auch die Herstellung von embryonalen Stammzellen in Deutschland befürworten würde - allerdings unter sehr engen und sehr gut kontrollierten Bedingungen.

Und wer sollte das kontrollieren?

Ich denke, dass wir schon jetzt gute Kontrollinstitutionen haben, zum Beispiel in der Form von Ethik-Komissionen. Aber auch mit einer staatlichen Aufsichtsbehörde, wie sie Bundesforschungsministerin Bulmahn vorschlägt, hätte ich keine Probleme.

Wieviel Sinn macht die Forschung an embryonalen Stammzellen ohne den Rückgriff auf therapeutisches Klonen?

Wir wünschen uns, das wir mit den adulten Stammzellen möglichst erfolgreich sein werden. Denn das Problem des therapeutischen Klonens besteht darin, dass es ethisch nicht unproblematisch und technisch außerordentlich schwierig ist. Wir beherrschen die Technik heute noch keineswegs in allen Aspekten. Hier ist noch sehr viel Forschung nötig.

Und wenn es möglich ist?

Dann müssen wir uns überlegen, ob der therapeutische Nutzen so groß ist, dass wir diese Methode wirklich einsetzen wollen. Es gibt in der Forschung keine Zwangsläufigkeit. Wenn sie aber wirklich zentrale Vorteile bietet, wird sie wahrscheinlich kommen.

Sie wären für eine Aufhebung des bestehenden gesetzlichen Verbotes?

Ich wäre für eine Lockerung, damit die Forschung auf diesem Gebiet vorangehen kann. Ich stelle mich jeder gesellschaftlichen Kontrolle - aber ein Forschungsverbot ist nicht die klügste aller Lösungen.

Finden Sie es richtig, dass Forscher, während die Debatte noch in vollem Gang ist, bereits an embryonalen Stammzellen forschen?

Ich kenne niemanden in Deutschland, der aktiv an humanen embryonalen Stammzellen forscht. Und wenn, dann bewegen sich diese Forscher auf dem Boden der Gesetze. Es ist nicht richtig, Forscher jetzt zu brandmarken, wenn sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen. Denn es könnte theoretisch sein, dass bereits vor Beginn der öffentlichen Debatte an Stammzellen geforscht wurde.

Setzt die Diskussion die Beteiligten zu sehr unter Druck?

Es wird gefährlich, wenn sich die Diskussion darauf verengt, dass man Forschung an adulten Stammzellen zulässt und die Forschung an embryonalen Stammzellen und das therapeutische Klonen verbietet. Hier wird über Stammzellentnahme bei befruchteten Eizellen gesprochen.

Wann ist eine befruchtete Eizelle ein Embryo?

Für mich ist der Zeitpunkt der Implantation, also der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter, zentral. Denn bei 70 Prozent der natürlich befruchteten Eizellen kommt es nicht zu einer Einnistung, sie sterben ab. Erst, wenn sich eine befruchtete Eizelle in der Gebärmutter eingenistet hat, besitzt sie die Möglichkeit zur weiteren Entwicklung.

Das entspricht der britischen Annahme, wonach das menschliche Leben nach dem 14. Tag absolut schutzwürdig ist.

Dieser Auffassung schließe ich mich an. Das eröffnet mir auch den Spielraum für eine differenziertere Betrachtung. Wir wissen doch noch gar nicht, welche Potenziale in adulten oder embryonalen Stammzellen oder in dem therapeutischen Klonen liegen. Ich wünschte mir, dass sich die deutsche Gesellschaft allen drei Bereichen öffnet und sich das Recht nimmt, zu jedem notwendigen Zeitpunkt der Forschung neu darüber zu entscheiden, welchen Weg sie für technologisch erfolgversprechend und ethisch vertretbar hält. Das wäre sinnvoller, als von vornherein einen oder zwei Wege völlig auszuschließen. Ich würde gerne sehen, dass wir verantwortungsvolle, transparente und kontrollierte Forschung betreiben, um dann zu entscheiden, wofür welche der Methoden am besten geeignet ist.

Brauchen wir dafür neue Gesetze?

Ich respektiere den Wunsch der Gesellschaft, gut informiert zu sein und gesetzliche Regelungen haben zu wollen. Wir sollten dabei aber zunehmend in europäischen Dimensionen denken. Solche grundsätzlichen Entscheidungen sollten nicht länger im nationalen Rahmen getroffen werden.

Europa scheut in vielen ökonomischen und politischen Fragen den Konsens. Warum sollte man sich ausgerechnet in ethischen Fragen annähern?

Das wird mir zu sehr in Staatengrenzen gesehen. Überall in Europa leben Menschen unterschiedlicher Konfession und Auffassung - wir sind eine pluralistische Gesellschaft und sollten diesen Pluralismus auch in der Stammzellendiskussion zulassen, ohne einzelne ethische Auffassungen zu hoch zu schätzen.

Angenommen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen würden wider Erwarten doch restriktiver, als es im Moment aussieht. Welche Folgen hätte das für den Forschungsstandort aber auch den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt?

Wenn wir bestimmte Techniken der Zellbiologie, und um die geht es hier, nicht anwenden dürfen, dann würde diese Forschung in Deutschland nicht stattfinden. Wichtige Erkenntnisse wrden dann im Ausland entstehen - und vielleicht als Ergebis, als Produkt zurückkommen. Aber es wäre eine Schwächung nach der erfreulichen Öffnung der letzten Jahre. Wir schicken uns gerade an, ein Bio-Forschungsstandort erster Güte zu werden. Es wäre ein Schlag, wenn wir bestimmte Themen nicht behandeln dürften.

Wie schnell muss die Diskussion zum Ende kommen?

Ich würde mir - wie der Bundeskanzler auch - wünschen, dass wir nach ausführlicher Debatte im Ethikrat Ende des Jahres wissen, wie wir uns verhalten wollen.

Herr Stock[forscht Schering an embryonalen Stammz]

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