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Wirtschaft: Gentechnik aus den Speisekammern nicht mehr zu verbannen

STUTTGART .In der Schweiz hat das Toastbrot "Leisi" eine gewisse Berühmtheit erlangt.

STUTTGART .In der Schweiz hat das Toastbrot "Leisi" eine gewisse Berühmtheit erlangt.Das Produkt aus dem Hause Nestlé machte Schlagzeilen in der Presse und wurde auch in den Abendnachrichten des Fernsehens gezeigt, denn mit ihm hielt die Gentechnik Einzug in den Brotbeutel.Klar und deutlich ist nun auf der Packung zu lesen, daß in diesem Brot 2,5 Prozent Soja enthalten sind, das gentechnisch verändert ist.

Passiert ist trotz Medienrummels "gar nichts", beteuert Claus Conzelmann, Biotechnologie-Koordinator der Nestlé-Gruppe.Die Schweizer haben genau so oft nach "Leisi" gegriffen wie zuvor auch, nicht häufiger, nicht seltener.Das gleiche gilt nach seinen Worten für etwa hundert Produkte mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen, die in den Niederlanden in den Handel gekommen sind: Veränderungen im Verbraucherverhalten habe man nicht gespürt.

Über die deutschen Konsumenten weiß man bei Nestlé wenig.Erst wenn von September an neue EU-Kennzeichnungsregeln gelten, werden die Nahrungsmittelhersteller testen können, wie genau in deutschen Supermärkten die Zutatenliste beachtet wird."Es steht der gute Ruf der Produkte auf dem Spiel, und den wollen wir uns natürlich nicht versauen lassen, indem wir Gentechnik einsetzen", sagte Conzelmann bei einer Veranstaltung an der Universität Hohenheim.Seine Furcht ist begründet.Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt gentechnisch hergestellte Lebensmittel ab, bestätigte bei dieser Experten-Runde Barbara Kochte-Clemens von der Akademie für Technikfolgenabschätzung.Das habe eine Repräsentativbefragung ergeben, aber auch eine Reihe von Bürgerforen, bei denen die Befragten zuvor die Chance hatten, sich ausführlich über Gentechnik zu informieren.Die Angst vor Allergien läßt die Befragten skeptisch urteilen, aber auch der Zweifel am Nutzen.Zudem halten gut zwei Drittel der Deutschen gentechnische Anwendungen nicht für kontrollierbar.

Aufzuhalten ist der Einzug der Gentechnik in unsere Speisekammern aber nicht.Immer mehr Rohstoffe kommen immer häufiger mit gentechnischen Veränderungen auf den Markt.So sind beispielsweise 80 Prozent des Saatguts für Soja in den USA bereits transgen - und Soja wird in abertausenden von Lebensmitteln verwendet.In Kanada wiederum gibt es beinahe nur noch Gen-Raps.In Großbritannien spielt gentechnisch veränderter Mais bereits eine gewisse Rolle.Was auf den riesigen Anbauflächen in Südostasien tatsächlich geschehe, sei ohnehin kaum abzuschätzen, so Professor Gerd Weber vom Institut für Pflanzenzüchtung der Universität Hohenheim.Da in vielen Ländern keine Kennzeichnungsvorschriften gelten, werde es immer schwieriger, konventionelle Rohstoffe - das heißt ohne Genveränderungen - zu beschaffen, erläuterte Conzelmann."In zehn Jahren werden fast alle Lebensmittel eine Gentech-Komponente haben", so die Überzeugung des Nestlé-Managers: "Dagegen werden garantiert gentech-freie Produkte ein Nischenmarkt sein." "Und", so Conzelmann weiter: "Das Etikett gentechikfrei ist dann etwa so zu verstehen wie alkoholfrei beim Bier - da können ja auch noch 0,5 Prozent Alkohol drin sein."

Gentechnikfrei ist ein relativer Begriff, da ist sich der Nestlé-Vertreter mit Gerald Herrmann vom Bundesverband Naturland e.V.einig: "Verureinigungen wird es geben.An einem bestimmten Punkt endet die Sicherheit." Zwar widerspreche der Einsatz von Gentechnik den Zielen des ökologischen Landbaus, und daher werde jeder einzelne Produktbestandteil soweit wie möglich zurück verfolgt.Aber allein Aromen bestünden aus bis zu 80 einzelnen Stoffen, gibt Herrmann zu bedenken.Die Abgrenzungsprobleme werden deutlich, wenn man sie auf die Spitze treibt: Was ist, wenn die Öko-Kuh öfter mal Gen-Mais von Nachbars Feld nascht? Was passiert, wenn der Dünger dieser Kuh auf Öko-Feldern ausgebracht wird?

Solche scheinbar absurden Fragen haben durchaus ihre Berechtigung.Auch Martha Mertens vom Bund Naturschutz Bayern wies bei der Tagung in Hohenheim darauf hin, daß es große Defizite bei der Risikoforschung gibt.So hält der Bund Naturschutz es durchaus für fragwürdig, was mit den Mikroorganismen im Pansen von Nutztieren geschieht, wenn diese im großen Stil mit dem sogenannten BT-Mais gefüttert werden.Der BT-Mais ist mit einem zusätzlichen Gen ausgestattet, das ihn gegen den gefräßigen Maiszünsler widerstandsfähg macht.Denkbar wäre auch, so die Warnung der Naturschützerin, daß der Maiszünsler selbst resistent gegen das in den Mais eingepflanzte Gen werde.

Das räumt auch Professor Hans-Jörg Buhk ein, der am Berliner Robert-Koch-Institut für Genehmigungen im Bereich Gentechnik zuständig ist: "Auch wir rechnen damit, daß der Maiszünsler resistent werden könnte, wenn BT-Mais großflächig eingesetzt wird", so der Wissenschaftler.

Das Robert-Koch-Institut forciere daher ein entsprechendes Forschungsprogramm der EU.Ebenfalls auf EU-Ebene will das Institut sich für ein Gen-Register einsetzen.Dieses sei notwendig, um feststellen zu können, welche Gene von wo nach wo übertragen worden seien.

Den Ökologen sind die Risiken der Gentechnik zu groß, zu unerforscht: "Wir halten es für verfrüht, solche Pflanzen anzubauen", so Martha Mertens.Ohnehin habe der Verbraucher gar nichts davon: "Noch nicht einmal der Preis ist ein Argument." Immerhin ist der Markt für ökologisch produzierte Lebensmittel schon so groß, daß die Stimmen der Warner nicht ungehört verhallen.Vier Mrd.DM Umsatz in Deutschland, vier Mrd.Dollar in den USA, Zuwachsraten von zehn bis 20 Prozent jährlich, das sind Zahlen, die Gerald Herrmann vom Bundesverband Naturland die Gewißheit geben, gehört zu werden: "Bei so einem Markt können wir davon ausgehen, daß die Industrie durchaus interessiert ist, mit uns zusammenzuarbeiten und unsere Bedingungen zu akzeptieren." Und zwar, so verdeutlicht Herrmann mit einem spitzbübischen Lächeln, auch jene Hersteller, die als Speerspitze der Gentechnik-Forschung von sich reden gemacht haben: Monsanto, Novartis und BASF.

SUSANNE PREUSS

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