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Wirtschaft: Gerda Plewa

(Geb. 1921)||Für den Gewinn im Toto eine neue Küche und Würstchen für alle.

Für den Gewinn im Toto eine neue Küche und Würstchen für alle. Drei Zimmer und ein halbes in Neukölln, in der Mainzer Straße, Ecke Karl-Marx. Keine schlechte Gegend, damals. Überall Bäcker, Gemüse- und Kohlenhändler, auf der Straße spielen Kinder. Oben steht sie in der Küche und kocht: Bohneneintopf, Linseneintopf, Gemüseeintopf, Kartoffelsuppe. Zur Abwechslung Spinat mit Ei und am Sonntag Hasen, falschen natürlich. Es muss für viele reichen. Für Mann, Opa, acht Kinder, vielleicht auch noch für die beiden Großen, die schon aus dem Haus sind.

Jeder, der sich an sie erinnert, kennt sie umgeben von Kindern. Die ersten zwei bekam sie während des Krieges, die anderen neun in den 15 Jahren danach, ein Mädchen starb mit drei Monaten. Sechs Kinder schliefen im Kinderzimmer, ein Junge teilte sich mit dem Opa das halbe Zimmer, und für den Kleinsten stand ein Bett im Schlafzimmer der Eltern.

Nach dem Essen fand sich die Familie im Kinderzimmer ein, Gerda Plewa nahm eine Handarbeit mit, und der Vater brachte den Kindern das Spielen bei: Schach, Skat und Schlesische Lotterie. Abends wurden Geschichten erzählt: Einer fing an, der nächste musste weitererzählen, bis es hieß: Ab ins Bett, Kinder, morgen ist auch noch ein Tag. Die gute Stube, mit Schleiflackmöbeln, Stuck und Parkett, blieb meist verschlossen, reserviert für Geburtstage, Weihnachten, Besuche von Nachbarn oder auch mal vom Amt. „Man muss jederzeit hereinbitten können. Niemand soll sagen, hier geht es zu wie bei den Hottentotten.“

Das Geld war knapp, obwohl Helmuth Plewa hart arbeitete: als Kunstschlosser, Kaffeeröster, Bäcker, Drucker, Müll- und Taxifahrer. Für den Ofen im Badezimmer holten die Kinder die leeren Holzkisten vom Obsthändler, die Kartoffelschalen tauschten sie bei der Nachbarin gegen Kohlen. Bettwäsche, Nachthemden, alles nähte Gerda Plewa selbst.

Waren sie arm? Mit dem Kostgeld konnte sie zaubern, heißt es. Gäste wurden eingeladen, Geburtstage gefeiert. Und die Kinder fuhren bei jeder Klassenfahrt mit. Später reichte das Geld für ein kleines Auto, auch hin und wieder für ein schönes Kleid.

Ab und zu hat man ja auch mal Glück. Erst das Größte: der Krieg war vorbei. Anfang der fünfziger dann einen Totogewinn: eine neue Küche und Würstchen für alle, bis es weh tat. Oder 1960, da wurden die Plewas mit 24 anderen Berliner Familien ausgesucht vom Hilfswerk Berlin und düsten für drei Wochen mit dem Omnibus ins Allgäu. Willy Brandt kam damals zu Besuch, und alle Zeitungen schrieben darüber.

Mit der S-Bahn waren sie während der Blockade von Prenzlauer Berg nach Neukölln umgezogen, hatten die Wohnung mit einem Kommunisten getauscht. Der wollte nach vier Wochen zurück, doch getauscht war getauscht. Die Plewas wurden glücklich in Neukölln, ein Leben lang, auch als Paar. Als sie sich kennen lernten, war sie gerade 19, hatte die Hauswirtschaftsschule besucht. Die Hochzeitsreise machten sie des Krieges wegen zwar nur „von der Küche in die Stube“, doch die Kinder erinnern sich an Eltern, die flirteten, lachten, zum Tanzvergnügen der Stadtreinigung gingen oder zum romantischen Essen ins Restaurant. Ein bloßes Muttertier wurde Gerda Plewa nie. Sie achtete stets darauf, dass niemand ein zu begehrliches Auge auf ihren attraktiven Mann warf, der ihr in Hemdsärmeln und mit Zigarrenstumpen im Mund im Haushalt half, der bei all ihren Geburten bei ihr war. In den 50er Jahren keine Selbstverständlichkeit.

Eine der Töchter hat ausgerechnet: Wenn man die Lebensjahre ihrer Kinder, Enkel und Urgroßenkel zusammenzählt, ergibt das 1132 Jahre. „Ach“, hätte Gerda Plewa erstaunt gesagt. Sie selbst hat die Summe ihrer Muttertaten nie addiert. Ihre Familie war ihr Leben, nicht immer leicht – doch niemals eine Last. Im Alter ruhte sie sich aus. Lebte nach dem Tod ihres Mann ein paar Jahre ganz allein. Sie fuhr gern mit dem Bus durch Berlin, las historische Bücher, reiste bis nach Kanada, immer auf Familienbesuch und hütete haufenweise Enkelkinder. Und sammelte Zuckertütchen, noch so eine Leidenschaft.

Kirsten Wenzel

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