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Wirtschaft: Geregelter Verkehr

Franz Müntefering steht zu seiner Kritik an den Finanzinvestoren. Die Gewerkschaften vermissen Taten

Der Ursprung liegt exakt zwei Jahre zurück. Am 19. November 2004 hielt der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine kaum beachtete Ansprache. Es ging um das Grundsatzprogramm seiner Partei, von Freiheit und Verantwortung war die Rede. „Mit politischer Macht verantwortlich umgehen heißt, Fortschritt zu suchen.“ Das gelte auch, „wenn es darum geht, in der globalisierten Wirtschaft die Rechte derer zu schützen, die hilflos sind, wenn anonyme Aktionäre ihnen die Arbeitsplätze zerstören“.

Dann, wenige Minuten vor Schluss, die entscheidenden Sätze: „Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell.“

Die Kapitalismus-Debatte war geboren, und sie wirkt bis heute nach. Der heutige Vize-Kanzler steht zu seinen Worten von damals, auch wenn er nicht mehr von Heuschrecken spricht. „Die Problembeschreibung vom 19.11.2004 stimmt immer noch. Die internationale Finanzindustrie braucht dringend soziale Regeln, denn sie ist nicht von Natur aus sozial. Die soziale Gestaltung der Globalisierung muss auf die Tagesordnung“, sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag.

Damals dauerte es fast ein halbes Jahr, bis der Vergleich einschlug. Müntefering musste mehrfach nachlegen. Kurz vor der entscheidenden Wahl in Nordrhein-Westfalen setzte sich ein ursozialdemokratisches Thema an die Spitze der Tagesordnung. Wer konkret an den Pranger sollte, blieb undeutlich, eigentlich schienen alle Finanzinvestoren gemeint zu sein. Müntefering selbst nannte nie Namen. Auf einer Liste der SPD-Bundestagsfraktion tauchten fast alle Großen der Branche auf: Von Apax bis Goldman Sachs, von KKR bis Permira. Dass die Bundesregierung mit vielen dieser Adressen bereits gute Geschäfte machte, störte nicht. 1998 hatte der Bund seine Anteile am Raststättenbetreiber Tank & Rast an ein Konsortium unter der Führung von Apax verkauft. Zwei Jahre später trennte er sich von der Bundesdruckerei – auch sie ging an Apax. Das größte Geschäft dieser Art machte die Bundesregierung schließlich im April dieses Jahres, als die staatseigene KfW-Bankengruppe 4,5 Prozent der Deutschen Telekom an Blackstone verkaufte. Nun haben die Investoren ein neues Ziel: den deutschen Mittelstand.

In den Ministerien für Wirtschaft und Finanzen steht man den Heuschrecken denn auch wenig feindlich gegenüber. Im Gegenteil, mit einem neuen Private- Equity-Gesetz, das Anfang 2008 zeitgleich mit der Unternehmensteuerreform in Kraft treten soll, will Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) „attraktive Rahmenbedingungen“ für die Branche schaffen. Wie die aussehen sollen, ist allerdings noch ziemlich unklar. Man warte auf ein Gutachten der TU München, heißt es in der Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. Erst wenn der Vorschlag der Experten vorliege, werde man etwa entscheiden, ob die „sehr unterschiedlichen Marktsegmente“ differenziert werden, sprich: ob man zwischen guten und schlechten Investoren unterscheidet.

Auch international sollen Mindeststandards auf die Tagesordnung. Müntefering und Steinbrück sind sich einig, dass der Vorsitz Deutschlands unter den G-8-Staaten – die anderen sind die USA, Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien, Kanada und Russland – im kommenden Jahr eine Plattform dafür bietet. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist skeptisch. „Das wird das schwierigste Thema“, heißt es aus ihrem Umfeld. Denn die USA und Großbritannien haben überhaupt kein Interesse daran, die Finanzplätze New York und London zu schwächen. Mit dem Thema versuchte Deutschland schon beim G-8-Gipfel von Gleneagles im Juli vergangenen Jahres zu punkten – ohne Erfolg. Die Initiative von Gerhard Schröder wurde zur Kenntnis genommen, mehr nicht.

Die Gewerkschaften ficht das nicht an. Für Verdi-Chef Frank Bsirske sind die hohen Ziele „von 20 oder 50 Prozent Rendite im Jahr“ nicht mit traditionellen Methoden machbar. „Das geht nur mit drastischer Kostensenkung zu Lasten der Substanz von Betrieben, etwa durch massiven Stellenabbau, Lohnkürzung oder den Einsatz billiger Leiharbeiter. Deshalb brauchen wir Regeln und Transparenz, um Unternehmen vor räuberischer Übernahme und Ausschlachtung zu schützen.“ Auch IG-Metall-Vorstand Wolfgang Rhode sieht es so: „Statt Steuerprivilegien und weiteren Verbesserungen für Heuschrecken zu Lasten von Arbeitnehmern brauchen wir gesetzliche Regeln, die dem zügellosen Finanzmarktkapitalismus wirksame Grenzen setzen.“

Und DGB-Vorstand Claus Matecki rühmt zwar die wichtige „gesellschaftspolitische Diskussion“, die Müntefering angestoßen habe. Doch der Lackmustest für die Ernsthaftigkeit des Vorstoßes stehe noch aus. „Der weiße Fleck der Debatte liegt jedoch in der politischen Verantwortlichkeit. Die Heuschrecken halten sich an die Gesetze. Sie nutzen Spielräume, die durch die schwarz-gelbe und rot-grüne Finanzmarktpflege erst entstanden sind.“

Um das zu ändern, brauche es eine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, eine Börsenumsatzsteuer, eine Zinsbesteuerung und eine Mindesteigenkapitalquote bei kreditfinanzierten Unternehmensübernahmen. „All dies kann auch national umgesetzt werden. Jetzt ist die Politik am Zug“, sagt Matecki.

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