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Wirtschaft: Geringe Chancen auf einen Tarifkompromiss

In Potsdam läuft die letzte Runde im Lohnstreit des öffentlichen Dienstes/Längere Arbeitszeit kommt für Gewerkschaft nicht in Frage

Berlin (alf). Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst sind am Mittwochabend in die letzte Runde gestartet. Bis zum heutigen Donnerstag soll in Potsdam ein Kompromiss gefunden und somit ein Streik vermieden werden. Vor den Verhandlungen warnte Bundesinnenminister Otto Schily die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor einem Streik. In dem Fall „ist unser Angebot vom Tisch“, sagte der Minister im ZDF.

Am vergangenen Sonntag hatten die Arbeitgeber in den Schlichtungsverhandlungen eine Erhöhung der Einkommen in zwei Stufen um insgesamt 2,8 Prozent bei einer Vertragslaufzeit von 20 Monaten vorgeschlagen. Auf Grundlage dieses Angebots wollten die Arbeitgeber die Gespräche in Potsdam fortsetzen. Dagegen will Verdi auf keinen Fall unterhalb der Schlichtungsempfehlung abschließen, die der Gewerkschaft schon genug abverlangt habe, wie VerdiVorstand Kurt Martin am Mittwoch sagte. Die Gewerkschaft hatte zusammen mit dem Schlichtungsvorsitzenden Hans Koschnick für die Schlichterempfehlung gestimmt, die Arbeitgeber hatten diese abgelehnt.

Die Gewerkschaft beharrte auch kurz vor den Potsdamer Gesprächen auf einem Tarifabschluss, mit dem den Mitgliedern eine dreiprozentige Entgelterhöhung „verkauft“ werden kann. Die Arbeitgeber ihrerseits beharren auf einem Kostenausgleich für höhere Löhne und Gehälter. Für eine Erhöhung der Wocharbeitszeit um eine halbe Stunde, die von den Arbeitgebern vorgeschlagen worden war, gibt es aber kaum eine Chance. „Das kommt für uns nicht in Frage“, sagte Verdi-Sprecher Harald Reutter auf Anfrage.

Ähnlich sieht das der DGB-Tarifexperte Reinhard Dombre. Mit Blick auf die Arbeitslosigkeit passe eine Verlängerung der Arbeitszeit „nicht in die Landschaft“. Im Übrigen hätten die Gewerkschaften nicht Jahrzehnte für eine kürzere Wochenarbeitszeit gekämpft, um diese nun in einer Tarifrunde wieder aufzugeben. Schließlich gebe es auch im öffentlichen Dienst das Instrument der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, um damit Beschäftigung zu sichern. Eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit passe dazu nicht. Bedenken gegen eine längere Arbeitszeit hat auch Hagen Lesch, Tarifexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Das bringt nur was, wenn dadurch Stellen eingespart oder Neueinstellungen vermieden werden“, und sei alles in allem „keine gute Lösung“.

Wirkungsvoller sei dagegen eine Reform des so genannten Senioritätsprinzips, wonach alle paar Jahre die Löhne und Gehälter automatisch angehoben werden. „Eine Aussetzung oder Streckung der Stufenanpassung bringt Volumen“, sagte Lesch. Bei den im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitern werden alle zwei Jahre in insgesamt acht Stufen die Löhne automatisch erhöht. Bei den Angestellten von Bund und Ländern läuft dieser Automatismus sogar über 13 Stufen, in den Gemeinden über zwölf Stufen. „Solche ,Sitzprämien’ gibt es sonst nicht“, sagte Lesch und plädierte dafür, in der aktuellen Tarifrunde eine Reform des Entgeltsystems anzustreben. Die Kopplung der Bezüge an das Lebensalter sowie die Berücksichtigung der Kinderzahl für das Bruttogehalt sei „nicht zeitgemäß“, sagte der IW-Tarifexperte Lesch.

Die Aussetzung einer Stufe bei der automatischen Entgelterhöhung hält auch der DGB-Tarifpolitiker Dombre für erwägenswert. Alles in allem ist er aber skeptisch, was die Einigungschancen anbelangt, die Parallelen zu 1992, als es letztmals einen Streik gab, seien groß. „Die Arbeitgeber müssen aufpassen, dass sie das nicht überdrehen, auch emotional nicht überdrehen“, sagte Dombre. Die Arbeitnehmer seien entschlossen, ihre Forderung im Arbeitskampf durchzusetzen.

„Ich befürchte, dass wir einen Streik kriegen“, sagt auch Hagen Lesch vom IW. Es führe wohl kein Weg an einer „Drei“ vorbei, damit die Gewerkschaft das Gesicht wahren könne. Aber auch wenn man die drei Prozent aufteile und nach und nach zahle, sei ein entsprechender Kostenausgleich für die Arbeitgeber kaum denkbar. Hilfreich für die Arbeitgeberseite könnten Lesch zufolge Öffnungsklauseln sein, mit denen zum Beispiel Gemeinden mit besonderen Problemen aus der Tarifbindung austreten könnten. Ebenso sollte die Möglichkeit gegeben sein „die Jahressonderzahlung auszusetzen“, wenn eine Kommune klamm ist. Das Problem dabei: „Fast alle Kommunen würden davon Gebrauch machen.“

Unterdessen entzündete sich eine Diskussion um den Schlichter Hinrich Lehmann-Grube. Lehmann-Grube war von den Arbeitgebern als Schlichter benannt worden und soll nun Berichten zufolge abgelöst werden. Verdi-Vorstandsmitglied Kurt Martin meinte, „weil sich Lehmann-Grube nicht völlig den Interessen der Arbeitgeberseite gebeugt hat“, distanzierten sich diese jetzt von ihrem Schlichter. Im Arbeitgeberlager hieß es dagegen, eine Ablösung Lehmann-Grubes sei kein Thema. Darüber werde mit dem Auslaufen der jetzt abzuschließenden Tarifverträge im Jahr 2004 entschieden.

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