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Zwei Piloten sitzen am 05.06.2014 auf dem Flughafen in Hamburg im Cockpit eines Lufthansa-Airbus A380. Das Flugzeug wurde auf den Namen "Hamburg" getauft. Foto: Daniel Reinhardt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

© picture alliance / dpa

Germanwings-Absturz: Den Piloten berechenbar machen

Seit dem Germanwings-Absturz werden psychologische Tests, mehr Kontrollen und Anlaufstellen diskutiert. Manches ist sinnvoll. Anderes gefährlich.

Fliegen kann ein berauschendes Gefühl sein. Die Welt wirkt ganz klein, oben, über den Wolken. Nichts als Weite liegt vor einem. Es kann aber auch Angst machen. Sich wie Kontrollverlust anfühlen. Panik auslösen. Tausende Fuß über der Erde muss man der Technik im Flugzeug vertrauen, und den Menschen, die vorne im Cockpit sitzen. Vor einem Jahr ist das noch etwas leichter gewesen.

Am 24. März 2015 hat der 27-jährige Co-Pilot Andreas Lubitz einen Germanwings-Airbus in den französischen Alpen absichtlich abstürzen lassen. Er soll psychisch krank gewesen sein. Zu diesem Ergebnis kamen zuletzt die Flugunfallermittler, die ihren Abschlussbericht vergangenen Sonntag vorgestellt haben. Damit so etwas nie wieder geschieht, empfehlen die Experten der französischen Untersuchungsbehörde BEA: Klare Regeln für die ärztliche Schweigepflicht. Nachuntersuchungen bei Piloten-Ausfällen und psychischen Erkrankungen. Mehr kollegiale Unterstützungsprogramme. Ein anderer Umgang mit Antidepressiva. Hilfen für fluguntaugliche Piloten.

In Deutschland streben Union und SPD eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes an. Es geht dabei um die Einführung zufälliger Alkohol-, Drogen- und Medikamententests und den Aufbau einer flugmedizinischen Datenbank. Die Pläne gehen zurück auf eine Arbeitsgruppe, die Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nach dem Unglück eingesetzt hatte.

Bei der Analyse der Psyche gibt es kein EKG

Den Mensch berechenbarer machen. Das ist der Grundansatz. Uwe Beiderwellen ist Vizepräsident des Fliegerarzt-Verbandes. Er befürwortet eine medizinische Datenbank wie in England und Skandinavien. Der Patientenschutz müsste aber bewahrt werden, nur Fliegerärzte dürften Zugriffsrechte haben. Mehr psychologische Tests hält er nicht für sinnvoll. Kommt jemand gesund und zufrieden zum Check-up, kann er Wochen später in eine persönliche Krise rutschen. Leidet er unter einer depressiven Phase oder Erkrankung, kann er seine innere Leere verbergen.

Selbst wenn der Arzt Erfahrungen und ein gutes Bauchgefühl hat – es gibt bei der Analyse des Seelenzustandes kein Messverfahren wie ein EKG. „Die Ärzte sind in Fortbildungen aber für psychische Erkrankungen sensibilisiert worden“, sagt er. Ärzte, nicht Psychologen. Sie sprechen mit Piloten, wenn sie sich für eine Ausbildung bewerben, und bevor sie ihre Lizenz bekommen. Danach sind nur medizinische Untersuchungen Pflicht.

Eine Lockerung der Schweigepflicht findet Beiderwellen gefährlich. Zunächst einmal könnten Ärzte ihr Versprechen schon jetzt brechen, wenn dadurch zum Beispiel ein schweres Verbrechen verhindert werden kann. Und würden Piloten einem Arzt oder Psychologen misstrauen, könnte die Wirkung sein: Dann erzähle ich lieber niemandem von meinen Gedanken. „Es kommt stark darauf an, ob sich ein Patient offenbart und ob er die Wahrheit sagt.“

Die Lufthansa passt ihre Ausbildung an

Reden, ohne direkt Angst vor dem Verlust seiner Lizenz zu haben, könnten „Peer Groups“, wie sie die BEA empfiehlt, durchaus erleichtern. Die Kommunikation mit geschulten Kollegen findet auf Augenhöhe statt. Es ist mehr ein offenes Gespräch als eine Therapiesitzung. Für Piloten, die alkohol- oder drogenabhängig sind, gebe es schon länger solche Angebote. Für Alltagsprobleme und psychische Belastungen erst ein paar. Zum Beispiel bei der Lufthansa.

Momentan vereinheitlicht der Konzern seine Pilotenausbildung. Sie soll für sämtliche Airlines, darunter Swiss und Eurowings, gleich sein. Der letzte Ausbildungsjahrgang an der Flugschule in Bremen startete 2014. Im letzten Jahr gab es keinen. Ob der Absturz bei der Reform eine Rolle spielt? Dazu kann Sprecher Helmut Tolksdorf „gerade nichts sagen“. Ob sich im Arbeitsalltag etwas geändert hat? Das könne er „so nicht sagen“. Gab es seitdem Umfragen, wie es den Piloten im Konzern geht? Wie oft sie krank sind? Das sei ihm nicht bekannt. „Die größtmögliche Flugsicherheit bleibt aber weiterhin das höchste Ziel“.

Was hilft ist ein offenes Betriebsklima

Reiner Kemmler, 75, war bei der größten deutschen Fluggesellschaft von 1998 bis 2005 leitender Referent für Luftfahrtpsychologie. Heute ist er in der Nähe von Frankfurt selbstständig. Er sagt: „Am Auswahlprozedere der Piloten kann man nicht wirklich etwas besser machen.“ Die Tests seien schon sehr ausführlich und streng. Wie Beiderwellen ist er für mehr Anlaufstellen und Coaching, und gegen eine gelockerte Schweigepflicht. „Piloten werden sich sonst hüten, über eine Depression zu sprechen.“ Kemmler glaubt, dass viele Maßnahmen eher zur Beruhigung der Passagiere getroffen werden als dass sie wirklich nützlich sind.

Damit sich ein Pilot traut, über Probleme zu sprechen, damit einem Kollege auffällt, wie sich jemand im Team zurückzieht, sei vielmehr ein besseres Betriebsklima hilfreich: Weniger Druck. Mehr Aufmerksamkeit für den anderen. Keine Null-Fehler-Kultur. Piloten erzählen, dass es noch immer ein Elitendenken gebe: Ich habe die schwierige Auswahl, die schwierige Ausbildung geschafft. Ich habe bewiesen, tough zu sein. Von mir wird erwartet, stressresistent zu sein, Probleme zu lösen, meinen Job hundertprozentig richtig und sicher auszuführen. Da ist kein Platz für Schwächen. Kemmler warnt vor einer Stigmatisierung. Vor dem Stempel, depressiv und damit gefährlich zu sein. Psychische Erkrankungen dürften kein Tabu sein. Eben das kann sie unberechenbar machen.

Verantwortung ist riesig, der Druck nimmt zu

Zur generellen Belastung im Pilotenberuf sagt Markus Wahl. Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit: „Die Verantwortung ist riesig und der Druck nimmt immer mehr zu.“ Auch wegen der harten Konkurrenz. Der europäische Markt sei nahezu gesättigt, die Arbeitslosenquote hoch. Momentan würden 900 Absolventen der Lufthansa-Schule auf der Warteliste für einen Arbeitsplatz stehen. Und wenn sie einen haben, ist er noch lange nicht sicher. Seit der Katastrophe sind psychische Erkrankungen in der Fliegerbranche ein riesiges Thema geworden. Der Mensch kann unglücklich sein, in Krisen rutschen, krank werden. Die Frage ist: Entscheiden sich Behörden, Politiker und Airlines als Konsequenz für den Absturz für mehr Kontrolle oder mehr Gespräch. Kontrolle verspricht Sicherheit. Sie bewirkt aber das Gegenteil, wenn ein Pilot mit Problemen gehemmt ist und lieber schweigt statt redet.

Was Mediziner und Psychologen bei der Debatte betonen: Frust auf der Arbeit, Stress, Existenzsorgen führen noch nicht zu Depressionen. Depressionen nicht zu Suizid. Noch weniger dazu, sich selbst und 149 weitere Menschen zu töten. Fliegen ist nie sicherer gewesen als heute. Und doch lässt sich nicht jedes Unglück vermeiden.

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