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Gesenkte US-Bonität: Ein Schock für die USA und die Welt

Die gesenkte Bonitätsnote der USA ist ein gewaltiger Einschnitt. Europa ist die Macht von Agenturen wie Standard & Poor’s unheimlich. Man arbeitet an einem eigenen Bewertungssystem.

Berlin - In Zeiten der Not sind Freunde rar. Und so war der französische Wirtschaftsminister François Baroin mit seiner Einschätzung ziemlich allein. „Frankreich hat ein uneingeschränktes Vertrauen in die Stabilität der amerikanischen Wirtschaft“, gab er zu Protokoll, nachdem die Ratingagentur Standard & Poor’s den USA am Sonnabend die höchste Bonitätsstufe aberkannt hatte. Sein deutscher Amtskollege Philipp Rösler teilt das „uneingeschränkte Vertrauen“ offenbar nicht. Jedenfalls ließ der Vize-Kanzler und FDP-Chef auf Anfrage nur erklären, dass er sich nicht äußere. Aus anonymen Regierungskreisen verlautete flankierend, „einfach mal die Klappe halten“ sei das Gebot der Stunde.

Dem politischen Berlin ist nur zu bewusst, wie dramatisch die Lage ist. „Das ist ein gewaltiger Einschnitt“, sagte der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Meister. Vertrauen in die USA gehe verloren, und die höhere Zinslast werde das Wachstum der USA und der Weltwirtschaft dämpfen. „Insofern ist das ein Vorgang, nach dem man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.“

In der Tat dürfte das niedrigere Rating am Montag automatisch für Unruhe an den Finanzmärkten sorgen. Investmentfonds werden umgehend ihre US-Staatsanleihen abstoßen: nicht, weil sie ernsthaft daran glauben, dass die größte Volkswirtschaft der Welt pleitegehen könnte. Sondern weil sie ihren Kunden vertraglich garantiert haben, dass sie von ihrem Geld ausschließlich Produkte kaufen, die eine Spitzenbonität aufweisen. Das sind derzeit unter anderem Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Kanada.

Mit ihren Noten bewerten Ratingagenturen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kredit nicht zurückgezahlt werden kann. Je höher die Wahrscheinlichkeit, desto höher das Risiko für den Investor – und um so höhere Zinsen wird er für sein Geld verlangen. Extrem deutlich wurde das in der europäischen Schuldenkrise. In dem Maße, in dem sich die Schreckensnachrichten über das Haushaltsdefizit von Griechenland häuften, stiegen die Zinsen für die Staatsanleihen des Landes. Zuletzt konnte sich das Land am Kapitalmarkt überhaupt kein Geld mehr leihen und musste mit Krediten der Euro-Staaten und des Internationalen Währungsfonds über Wasser gehalten werden. Auch Spanien und Italien mussten in den vergangenen Wochen immer höhere Risikoaufschläge zahlen, wenn sie Staatsanleihen auf den Markt brachten.

Die Investoren verlassen sich dabei nicht ausschließlich auf die Ratingagenturen, aber die Noten der großen drei, wie Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch oft genannt werden, haben großes Gewicht. Die Unternehmen sind schon seit über 100 Jahren in dem Geschäft, sie haben die meisten Mitarbeiter – und die bekanntesten Namen. Auch die Regierungen haben viel dazu beigetragen, die Marktmacht der Agenturen zu stärken. Versicherungen etwa, die zu den größten Investoren überhaupt zählen, müssen nachweisen, dass sie die Gelder ihrer Kunden sicher anlegen. Dafür verlangen die Aufsichtsbehörden einen Nachweis in Form eines Ratings von einer international anerkannten Agentur. Auch die Europäische Zentralbank schaut auf die Ratings, bevor sie Staatsanleihen als Sicherheiten für die Darlehen akzeptiert, die sie an Banken herausgibt.

Inzwischen ist Europas Politikern die Macht unheimlich geworden, die auch sie den drei großen Agenturen verliehen haben, und sie wollen nun ein europäisches Pendant als Gegengewicht schaffen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat dieses Ziel sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben, auch deswegen, weil die bestehenden Ratingagenturen vor der Finanzkrise grobe Fehler gemacht haben. Damals hatten die Investmentbanken in großem Stil faule Immobilienkredite aus den USA in komplizierten Strukturen versteckt, die aber bei den Agenturen Spitzennoten erhielten. Als der Häusermarkt in den USA zusammenbrach, blieben die Banken auf den Risiken sitzen.

Kritisiert wird auch die mangelnde Unabhängigkeit der Agenturen. Bezahlt werden die Ratings nämlich von der Firma, die das jeweilige Produkt auflegt und verkauft. Markus Krall, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, hält das für einen unauflösbaren Interessenkonflikt. „Das bisherige Geschäftsmodell halten wir für die Wurzel des Problems, weil da der Schuldner die Bewertung seiner eigenen Kreditwürdigkeit bezahlt.“

Sein Unternehmen will die Gunst der Stunde nutzen und eine eigene Ratingagentur in Europa gründen. Roland Berger soll dabei nur beratend tätig sein, betrieben werden soll die neue Agentur von einer Stiftung. Die Ratings sollen von den Investoren bezahlt werden, nicht von den Emittenten der Produkte. „Wir wollen ein Maximum an Unabhängigkeit“, sagt Krall. Etwa 300 Millionen Euro Startkapital werden nötig sein, die 15 bis 25 Investoren aus der Finanzbranche beisteuern sollen, glaubt er. Die Stiftung soll nicht gewinnorientiert arbeiten, aber etwaige Überschüsse an die Investoren abführen. „Wir sind optimistisch, dass wir schon 2012 an den Start gehen werden“, sagt Krall. In ein paar Jahren will er bis zu 1000 Leute an mehreren Standorten beschäftigen. Der Hauptsitz wird voraussichtlich in Frankfurt am Main sein.

Krall ist nicht der erste mit dieser Idee. Immer wieder gab es Bestrebungen für eine europäische Ratingagentur. Ein zentrales Problem ist: Warum sollen Banken und Versicherungen für etwas bezahlen, was es bislang gratis gab? „Wir setzen auf die Gütekraft unserer Ratings“, sagt Krall. Er berät seit langem Banken dabei, eigene Ratingsysteme aufzubauen, mit denen sie die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden bewerten. „Wir werden stärker auf quantitative Methoden setzen und weniger auf weiche Faktoren. Der Investor muss nachvollziehen können, wie wir die Fakten gewichtet haben und wie das Ergebnis zu interpretieren ist. Eine Ratingagentur darf keine Blackbox sein.“

Gemeinsam mit der Deutschen Börse will Roland Berger eine Plattform ins Leben rufen, auf der Unternehmen und Banken alle ratingrelevanten Informationen ihrer Produkte veröffentlichen sollen. Jede in der EU registrierte und kontrollierte Ratingagentur soll dort ihre Bewertungen anbieten dürfen. Die Anleger könnten sich dann eine aussuchen und müssten dafür bezahlen. Damit Unternehmen und Investoren mitspielen, wünscht sich Krall entsprechende Gesetze. „Wir sind bereits in Gesprächen mit der EU-Kommission. Bei vielen europäischen Politikern findet unsere Idee Anklang, aber auch in den USA gibt es Stimmen, die fordern, dass das System reformiert wird.“

Allerdings sollten europäische Politiker keine falschen Hoffnungen hegen. Die EU-Schuldenstaaten würden auch in einem europäischen Ratingssystem nicht besser wegkommen, die Schuldenkrise ließe sich so nicht lösen. So wie die US-Agentur Standard & Poor’s jetzt Zweifel an der Bonität der USA äußert, müsste eine europäische Plattform die Überschuldung Griechenlands negativ bewerten, um glaubwürdig zu bleiben.

Die US-Regierung soll sich bis zuletzt vehement gegen die Herabstufung zur Wehr gesetzt haben. Dabei habe man Standard & Poor’s auch Rechenfehler vorgehalten, heißt es. Das US-Finanzministerium erklärte am Sonnabend, die Bewertung der wirtschaftlichen Lage enthalte einen Fehler über zwei Billionen Dollar. Doch John Chambers, Chef des Bewertungsausschusses bei Standard & Poor’s, rechtfertigte die Herabstufung mit der mittel- und langfristigen Haushaltsentwicklung der USA, „die unter Kontrolle gebracht werden muss“. Die anderen beiden Agenturen haben zwar ihre Ratings für die USA noch nicht gesenkt, aber skeptisch sind auch sie. Moody’s bleibt zwar bei der Bestnote AAA, versieht sie aber mit einer negativen Tendenz, so dass eine baldige Abwertung durchaus möglich ist. Und Fitch will den neuen US-Haushaltsplans bis Ende August genau prüfen.

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