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Wirtschaft: Gesetzliche Mindestlöhne sind vom Tisch

Gewerkschaften rechnen nicht mehr mit einer Regelung in dieser Legislaturperiode/Wolfgang Clement setzt sich offenbar durch

Berlin - Es wird in dieser Legislaturperiode keine gesetzlichen Mindestlöhne geben. Am kommenden Montag wollen Gewerkschaftsführer und SPD-Spitze das Thema beerdigen – zumindest für die nächsten Jahre. Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), sagte dem Tagesspiegel, es werde zwar auf absehbare Zeit keinen Mindestlohn geben, aber „das bleibt ein Zukunftsthema, weil wir Mindestbedingungen und eine Absicherung nach unten brauchen“. Den Gewerkschaften zufolge hat sich Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in der Regierung mit seiner ablehnenden Haltung durchgesetzt.

Auf Anregung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering hatte sich vor einigen Monaten eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der SPD und der Gewerkschaften gebildet, um die Möglichkeiten eines Mindestlohns zu prüfen. Die Gewerkschaften befürchten ein flächendeckendes Lohndumping durch die Hartz-IV-Gesetzgebung, da Langzeitarbeitslose künftig auch Jobs annehmen müssen, deren Bezahlung bis zu 30 Prozent unter Tarif liegen kann. Deshalb sollte mit einem Mindestlohn der Druck auf die Löhne reduziert werden. In den vergangenen Monaten offenbarten sich dann deutliche Differenzen zwischen den Gewerkschaften. Während NGG und Verdi für Mindestlöhne plädierten, waren die Industriegewerkschaften Chemie und Metall skeptisch. In der vergangenen Woche äußerte sich dann Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals sehr distanziert.

Armin Schild, in der IG Metall zuständig für Tarifpolitik, sieht in der ablehnenden Haltung von Schröder und Clement den entscheidenden Grund für das Scheitern des Mindestlohns. Die Blockade der Regierung habe im Übrigen auch den „Einigungszwang“ unter den Gewerkschaftern aufgelöst. „Wenn wir gesehen hätten, dass es eine ernsthafte Initiative der Regierung gibt, dann hätten wir uns auch geeinigt“, sagte Schild dem Tagesspiegel. Die IG Metall hatte vorgeschlagen, den niedrigsten Tariflohn in einer Branche als Mindestlohn für die gesamte Branche anzusetzen. Und da, wo es keine eigenen Tarife gibt, sollte der Tarif der Zeitarbeitsbranche gelten; der niedrigste Stundenlohn beträgt dort rund sieben Euro.

NGG-Chef Möllenberg und der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske strebten einen flächendeckenden Mindestlohn zwischen 1300 und 1500 Euro an. Gerade diese beiden Gewerkschaften vertreten Wirtschaftsbereiche, in denen Tariflöhne eher selten gezahlt werden, beispielsweise Handel und Gastronomie. Dagegen sind die beiden Industriegewerkschaften in den Branchen Chemie und Metall relativ stark, und entsprechend weit verbreitet sind dort Tarifverträge. IG Metall und IG BCE lehnten deshalb flächendeckende Tariflöhne ab, weil sie darin einen Eingriff in die Tarifautonomie und eine Entwertung der eigenen Position sahen. Die IG Metall versuchte schließlich, mit ihrem Modell einen Kompromiss zu formulieren, der nun auch hinfällig ist. NGG–Chef Möllenberg ist dennoch optimistisch, langfristig Mindestlöhne zu bekommen. „Dass das morgen nicht kommt, das ist mir auch klar. Aber das Thema ist nicht beerdigt, das weiß auch die SPD.“ Wegen des Drucks auf Löhne und Gehälte seien Mindesteinkommen „ein Winner-Thema für die Zukunft“, sagte Möllenberg dem Tagesspiegel. „Wir wollen nicht mehr Bürokratie, sondern eine einheitliche Richtgröße für ganz Deutschland.“

Eigentlich wollten sich SPD und Gewerkschaften am kommenden Montag auf eine einheitliche Linie in Sachen Mindestlohn verständigen. Nun steht auf der Tagesordnung des so genannten Gewerkschaftsrats in Berlin ganz allgemein die „Gesamtproblematik niedrige Einkommen“ (Möllenberg). Weitere Themen sind die Bürgerversicherung, Mitbestimmung sowie die Lage der Wirtschaft und mögliche Impulse für das Wachstum.

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