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Gesundheit: Nadelprobe für die Kassen

Die Kostenübernahmen von Akupunkturbehandlungen sind nicht klar geregelt. Manche Kassen zahlen, andere nicht.

Stechen im Rücken, Ziehen im Knie – und selbst die Pillen und Kapseln der Schulmediziner helfen nicht immer. Ein Grund für viele Schmerzpatienten, eine Akupunkturtherapie zu beginnen. Die Methode, die ihren Ursprung in der mehrere tausend Jahre alten Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) findet, wird erst seit vergleichsweise wenigen Jahren in Europa angewendet. Das Prinzip: Durch Reizung von festgelegten Punkten auf der Haut, unter der laut Chinesischer Tradition Körperenergie auf bestimmten Leitbahnen („Meridianen“) fließt, sollen Schmerzen gelindert und Krankheiten bekämpft werden. Ausgelöst werden die Reize durch Nadeln, Wärme oder Druck. Seit 2006 übernehmen in manchen Fällen sogar die Versicherungen alle Unkosten. Doch: Was ist wirklich dran an der Nadel-Medizin?

Um das herauszufinden, haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2000 verschiedene Modellversuche zur Akupunktur gestartet: Fünf Jahre lang wurden in diesem Rahmen bei mehreren 100 000 Patienten Kosten für Körperakupunktur übernommen, insbesondere bei chronischen Kopf- und Rückenschmerzen sowie chronischen Schmerzen der großen Gelenke, die länger als sechs Monate andauerten. „Der Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen wurde für diese Zeit umgangen“, sagt Kai Fortelka vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem obersten Beschlussgremium von Krankenkassen und Ärzten. „Wir wollten herausfinden, ob Akupunktur ähnliche Ergebnisse liefert wie die Schulmedizin.“

Das Resultat: Bei der Behandlung von Rücken- und Kniegelenksschmerzen liegt die Erfolgsrate der Akupunktur wesentlich höher als bei der Standardtherapie. Bei Patienten mit Kreuzschmerzen besserte sich der Zustand in 71 Prozent der Fälle nach der Nadel-Behandlung, die Standardtherapie mit Medikamenten und Krankengymnastik half nur 57 Prozent der Erkrankten.

Verblüffend jedoch: Ob die Patienten nach den strengen Regeln der Traditionellen Chinesischen Medizin behandelt wurden oder nicht, spielte keine Rolle – Hauptsache, sie wurden mit Nadeln gestochen. Während der Studie wurden die Akupunkturpatienten nämlich zufällig einer von zwei Behandlungsgruppen zugeordnet: Die eine Gruppe wurde an den überlieferten Akupunkturpunkten, die andere an bewusst falschen Punkten behandelt. Letzteres half bei der Behandlung von Rückenbeschwerden immerhin in 68 Prozent der Fälle – die Wirkung der echten Akupunktur ist kaum höher. Heilen die pieksenden Nadeln nur durch den Placebo-Effekt, einer positiven Körperreaktion aufgrund von Einbildung?

Andreas Michalsen, Leitender Oberarzt der Klinik für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen hält das für möglich. „Untersuchungen haben ergeben, dass der Placebo-Effekt auch bei allen anderen medizinischen Standardtherapien zwischen 30 und 50 Prozent des Erfolgs ausmacht“, sagt der Fachmann. „Und zwar von der Operation bis zur Behandlung mit Medikamenten.“ Ebenso möglich ist laut Michalsen jedoch, dass an dem chinesischem Prinzip aus Meridianen und Energieströmen etwas dran ist: „Wir wissen noch nicht genau, wie diese Systeme funktionieren“, sagt der Experte. „Wir kennen nur das Ergebnis: dass die Behandlung in der Schmerztherapie Erfolge bringt.“

Das gilt Michalsen zufolge auch für starke Kopfschmerzen: „Viele Migräne-Patienten fühlen sich nach einer Akupunkturbehandlung entspannter, der Kopfschmerz lässt nach“, sagt er. Der Gemeinsame Bundesausschuss dagegen kann bei derartigen Beschwerden keinen Vorteil der Akupunktur gegenüber der Standardtherapie feststellen – und hat die Kostenerstattung für die alternative Migräne-Behandlung nicht in den Leistungskatalog aufgenommen. Patienten, die sich während der Modellphase für die Akupunktur entschieden haben, müssen seit vergangenem Jahr die Kosten selber tragen. Ein möglicher Grund für die Skepsis der Krankenkassen: Den Studienergebnissen über Rücken- und Gelenkschmerzen zufolge ist die Akupunkturbehandlung teurer als die Standardtherapie.

„Manche Krankenkassen gehen jedoch freiwillig über den Leistungskatalog hinaus“, sagt Ann Hoerath vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK). Durch den starken Konkurrenzkampf versuchen einige Versicherungen, durch alternative Behandlungen Mitglieder zu gewinnen. Stefan Etgeton, Referent für Gesundheit beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, meint: „In jedem Fall ist es für Patienten empfehlenswert, die Krankenkasse auf eine Kostenübernahme anzusprechen.“ Denn auch bei der Behandlung von Nebenerscheinungen schwerwiegender Krankheiten – zum Beispiel in Form von chronischen Schmerzen – könnten die Kassen für alternative Therapien aufkommen. Philipp Eins

Philipp Eins

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