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Philipp Rösler

© Mike Wolff

Gesundheitsminister Rösler: "Finanzierungsmodell steht noch nicht fest"

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler berät am Dienstag mit Fachleuten über den Umbau der Pflegebranche. Mit dem Tagesspiegel spricht er über den Mangel an Fachkräften, schlechte Bezahlung und leere Kassen.

Herr Rösler, hadern Sie manchmal damit, den schwierigsten Posten in der Bundesregierung abbekommen zu haben?

Gesundheitsminister zu sein, ist deutlich schwieriger als all die Ämter, die ich vorher auf Landesebene innehatte, dafür kann man aber auch viel mehr gestalten.

Das Echo auf die Gesundheitsreform war verheerend. Finden Sie das unfair?

Natürlich sind die Menschen nicht begeistert, wenn ihnen die Botschaft überbracht werden muss, dass das Gesundheitssystem teurer wird. Das macht keinen glücklich, auch wenn es vernünftig und sachlich durch technischen Fortschritt und Demografie begründet ist. Die Menschen wissen aber auch: Durch die Gesundheitsreform ist es gelungen, das erwartete Milliardendefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern und darüber hinaus die Finanzgrundlage der Krankenkassen für die Zukunft zu stärken. Das gibt den Menschen die Sicherheit, dass das hohe Niveau der Gesundheitsversorgung weiterhin gewährleistet ist.

Ihre nächste Baustelle ist die Pflegereform. Die Arbeitgeber rechnen mit einem massiven Fachkräftemangel. Was wollen Sie dagegen tun?

Im Pflegebereich ist teilweise schon jetzt ein Mangel an Fachkräften festzustellen. Wegen der demografischen Entwicklung wird sich die Situation noch verschärfen. Mit Verbänden und Fachleuten will ich deshalb an diesem Dienstag darüber sprechen, wie dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden kann. Der Pflegeberuf muss wieder attraktiver werden. Das fängt bei der Ausbildung an. Ich halte es beispielsweise für sinnvoll, die Ausbildung von Kranken- und Altenpflegern stärker zu verzahnen. Das gibt dem Pflegenachwuchs mehr Möglichkeiten, in dem Pflegesektor mit immerhin rund 800 000 Beschäftigten, einen reizvollen Arbeitsplatz zu finden.

Die Attraktivität eines Berufs hängt aber auch von der Bezahlung ab.

Deshalb war ich immer für den Mindestlohn in der Pflege. Die Mindestlöhne können aber nur die Grenze nach unten sein. Wer gute Mitarbeiter sucht, kommt nicht weit, wenn er nur den Mindestlohn zahlt.

Ein Altenpfleger hält es im Schnitt nur acht Jahre im Altersheim aus. Müssen Sie nicht vor allem die Arbeitsbedingungen verbessern, wenn Sie mehr Menschen für den Beruf gewinnen wollen?

Wenn ich mit Pflegekräften spreche, bekomme ich zwei Dinge zu hören: Erstens fühlen sie sich seelisch nicht aufgefangen. Arbeitgeber sind daher gut beraten, ihren Mitarbeitern eine Verarbeitung des Erlebten beispielsweise durch Supervision zu ermöglichen. Das schafft notwendige Entlastung. Und zweitens klagen viele Pflegekräfte über zu viel Bürokratie. Das muss man ernst nehmen. Man könnte doch beispielsweise prüfen, sie durch die Einstellung von Hilfskräften von Tätigkeiten zu befreien, die mit der Pflege am Menschen nichts zu tun haben. Das könnte eine echte Entlastung für Pflegefachkräfte sein.

In Deutschland sind 41 000 Pflegehelfer arbeitslos gemeldet. Warum?

Da sehen Sie, wie wichtig es ist zu überlegen, wie wir die Pflegekräfte auch durch Pflegehilfskräfte sinnvoll entlasten können. Zudem müssen Pflegehilfskräfte weiter qualifiziert werden. Eine Zeitlang hat die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des Konjunkturpakets die Weiterbildung von arbeitslosen Hilfskräften zu Fachkräften finanziert. Es wird zu diskutieren sein, ob es hier eine Fortführung geben sollte. Aber auch die Arbeitgeber sind beim Thema Ausbildung in der Verantwortung. Wir können nicht auf Dauer mit Steuergeldern Fachkräfte ausbilden.

Wird in Zukunft ein Großteil unserer Pflegekräfte aus Osteuropa kommen – oder sogar aus China und Indien?

Gesteuerte Zuwanderung kann den Arbeitsmarkt entlasten, aber das Fachkräfteproblem im Pflegebereich alleine nicht lösen. Man darf die Sprachbarrieren und die kulturellen Hürden nicht unterschätzen, gerade in einem menschlich so sensiblen Bereich. Also ist es wichtig, sich um die Gewinnung von Fachkräften in Deutschland selbst zu bemühen.

Beim umstrittenen Pflege-TÜV, der Heime benotet, können Mängel in der Pflege durch gute Noten für schöne Gardinen überdeckt werden. Was bringt das?

Die jetzigen Transparenzvereinbarungen sind verbesserungsbedürftig. Das haben wir den Vereinbarungspartnern auch schon sehr deutlich gemacht. Es muss darum gehen, dass elementare Bedürfnisse des zu Pflegenden entsprechend berücksichtigt werden, also dass er nicht wund liegt und genügend zu trinken bekommt. Die Kriterien für die Pflegenoten sollten stärker darauf ausgerichtet sein. Und deshalb bin ich regelrecht verärgert, dass eine greifbar nahe Weiterentwicklung der Pflegenoten von ein paar kleinen Pflegeverbänden verhindert werden konnte. Das wollen und werden wir so nicht hinnehmen.

Werden Sie denn jetzt dafür sorgen, dass der TÜV aussagekräftiger wird?

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen besser vergleichen können, welche Einrichtungen gut arbeiten und welche nicht. Wenn die Selbstverwaltung im Pflegebereich sich nicht doch noch einigen kann, wird es eine gesetzliche Lösung geben müssen. Das kann die Einrichtung einer Schiedsstelle sein, die dann bessere Kriterien für die Benotung festlegt.

Bisher ist die Pflegeversicherung nur schlecht auf die Bedürfnisse der Altersverwirrten zugeschnitten. Wie wollen Sie deren Angehörige entlasten?

Bisher berücksichtigt die Pflegeversicherung nur den körperlichen und nicht den geistigen Zustand. Darunter leiden vor allem Demenzkranke. Wir wollen künftig den Grad der Selbstständigkeit stärker zum Maßstab machen. Das hilft den Demenzkranken. Und das wäre ein wichtiger Schritt nach vorne. Wir wollen weg von der „Minutenpflege“.

Den Pflegekassen droht noch in dieser Wahlperiode das Geld auszugehen. Werden Sie den Beitrag erhöhen müssen?

Wegen des Wirtschaftsaufschwungs steht die Pflegeversicherung finanziell besser da, als es noch vor ein paar Monaten schien. Nach aktuellen Prognosen ist die Finanzierung der Pflegeversicherung bis 2014 gesichert.

Warum wollen Sie dann eine Pflege-Pauschale einführen?

Wie das Finanzierungsmodell für die Zukunft aussehen soll, steht noch nicht fest. Der Koalitionsvertrag zielt darauf ab, dass die Finanzierung der Pflege für die weitere Zukunft trotz fortschreitender Alterung der Gesellschaft weiterhin auf ein sicheres Fundament gestellt wird. Das ist es, was die Menschen zu Recht von uns erwarten.

Ob eine Pauschale von zehn bis zwanzig Euro im Monat erhoben wird, ist aber noch nicht klar?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unseriös, über Zahlen zu spekulieren, weil zuerst geschaut werden muss, was in der Pflege an Veränderungen notwendig und sinnvoll ist. Dann gibt es erst eine Grundlage für die Diskussion um die Finanzierung.

Mit dem Aufbau des Kapitalstocks soll aber schon in dieser Wahlperiode begonnen werden?

Wie schon gesagt: Erst geht es um Verbesserungen für die Menschen. Dann beschäftigen wir uns damit, wie die Finanzierung aussehen soll. Das ist eine logische Reihenfolge.

Halten Sie sich mit Details so zurück, weil Sie wieder Streit mit der CSU fürchten?

Die christlich-liberale Koalition verfolgt gemeinsame Ziele – auch im Pflegebereich. Wir wollen Pflege besser machen. Wenn die Menschen wissen, dass das Geld gut eingesetzt wird, dann gibt es auch die Bereitschaft, Reformen mitzutragen. Deshalb ist es ja so wichtig, mögliche Verbesserungen in der Pflege gesellschaftlich breit zu diskutieren. Denn fast jeder ist mit dem Thema in seinem Leben bereits konfrontiert worden. Nicht jeder hat Kinder, aber alle haben Eltern.

Mit Ihren Reformen bleibt den Menschen immer weniger Netto von ihrem Bruttogehalt. Wie verträgt sich das mit dem Versprechen, die Mittelschicht zu entlasten?

Mehr Netto vom Brutto versetzt die Menschen in die Lage, mehr Geld zur Verfügung zu haben, um besser privat vorsorgen zu können. Das wird in Zukunft immer wichtiger werden. Wegen der demografischen Entwicklung werden die kollektiven sozialen Sicherungssysteme von weniger Beitragszahlern getragen. Deswegen muss gehandelt werden.

Zur Person

HERKUNFT

Geboren 1973 in Vietnam, wuchs Philipp Rösler bei seinem deutschen Adoptivvater in Norddeutschland auf. Rösler studierte Medizin in Hannover und machte im Hamburger Bundeswehrkrankenhaus seine Facharztausbildung. Der heute 37-Jährige ist mit einer Ärztin verheiratet, seine Frau lebt mit den beiden zweijährigen Zwillingstöchtern bei Hannover.

POLITIK

Mit 18 Jahren trat Rösler in die FDP ein, wo er schnell Karriere machte: Er wurde Generalsekretär der FDP Niedersachsen, Fraktionschef und schließlich Wirtschafsminister. Als Union und FDP 2009 die Bundestagswahlen gewannen, wurde Rösler überraschend zum Bundesgesundheitsminister berufen.

Das Interview führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov

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