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Die Milchpreise sinken.

© dpa

Gesunkene Milchpreise: Landwirte stehen unter Druck

59 Cent für einen Liter Milch haben Folgen. Denn mit Preissenkungen steigt der Druck auf die Landwirte, die häufig schon jetzt am Existenzminimum kalkulieren.

Der Liter Frischmilch kostet beim Discounter Aldi seit Anfang November zehn Cent weniger. Auch Milchprodukte sind günstiger geworden. Man freue sich, die niedrigen Preise am Markt an die Verbraucher weitergeben zu können, teilte Aldi dazu mit. Schon kurz darauf fielen auch die Preise bei der Konkurrenz. „Aldi ist beim Milchpreis unangefochtener Tonangeber“, sagt Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM).
Deshalb wird auch der Erzeugerpreis fallen - die Summe, die die Molkereien den Landwirten für ihre Milch zahlen. Etwa 33 Cent pro Liter Milch sind das inzwischen im Bundesdurchschnitt, sagt der BDM-Sprecher. „Am Jahresende werden es höchstens noch 30 sein.“ Drei Cent weniger. „Für Verbraucher sind solche Summen unerheblich“, sagt die Göttinger Agrarsoziologin Karin Jürgens. Am Anfang der Lieferkette machten ein paar Cent aber viel aus. „Der gesunkene Milchpreis geht den Landwirten an eine Substanz, die schon vorher nicht da war.“ Das zeigt auch Jürgens' Gutachten für den europäischen Milcherzeugerverband Milkboard.

Was die Milchproduktion die Landwirte kostet

Mit amtlichen Buchführungsdaten berechnete sie, wie viel die Milcherzeugung Landwirte tatsächlich kostet. Diese Kosten könnten die Grundlage für einen gerechten Preis sein, „wobei sich darüber streiten lässt, wie gerecht die niedrigen Einkommen in der Landwirtschaft überhaupt sind“, sagt Jürgens. Sie kommt auf 50 Cent für süddeutsche Milch und mindestens 40 Cent für norddeutsche Milch.
„Alles darunter funktioniert nur mit Niedriglöhnern, unbezahlten Familiengliedern, schlechter Altersvorsorge und wachsenden Schuldenbergen.“ Dass letztere immer höher werden, analysiert ein weiteres Forschungsprojekt.

Das Überangebot lässt den Marktwert sinken

Als 2008 der Milchpreis in den Keller fiel, streikten viele Milchbauern und lieferten keine Milch mehr an die Molkereien: Mit sinkender Milchmenge stieg der Preis wieder. Auch jetzt ist zu viel Milch am Markt: Russland hat einen Import-Stopp verhängt, und auch die Chinesen kaufen weniger deutsche Milch. Das Überangebot des verderblichen Lebensmittels lässt seinen Marktwert schrumpfen - die Kosten der Bauern jedoch nicht.
„Die Preissenkung von Aldi zwingt sie in eine fatale Preisspirale“, sagt Clemens Dirscherl, Vorsitzender des Evangelischen Bauernwerkes Württemberg und Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für agrarsoziale Fragen. Viele stünden unter Druck, ihr Einkommen jetzt über die Menge zu halten. Noch mehr Milch am Markt lasse jedoch die Preise noch weiter fallen - was die Arbeitsbedingungen der Landwirte und langfristig die Haltungsbedingungen der Tiere verschlechtere.

Landwirte sparen bei Kosten für Haltung und Tierarzt

„Der Preis der Milch ist geradezu sündhaft billig, weil er so viele wirtschaftethisch problematische Folgen hat.“ Die Verantwortung sieht der EKD-Beauftragte beim Handel, der den Preisdruck überhaupt erst erzeugt hat. „Aber auch Verbraucher müssen sich Frage stellen, wie weit sie dabei mitgehen - und als kundige Kunde solche Billigpreise auch mal verweigern.“ Der Tierschutzbund fordert Verbraucher auf, Aldi wegen der aktuellen Preissenkungen zu meiden. „Die Niedrigpreise provozieren Tierleid, weil sie die Bauern an die Existenzgrenze treiben“, sagt Sprecher Marius Tünte.

So werde an Haltungs- und Tierarztkosten gespart, dabei seien die Lebensbedingungen der meisten Milchkühe schon heute schlecht. „Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auf vier Jahre gesunken, artgerecht gehalten sind 20 Jahre möglich.“ Stoffwechselstörungen oder Eutererkrankungen häuften sich bei den auf Hochleistung gezüchteten Tieren - die dann eben früh zur Schlachtung aussortiert werden. „Und jetzt steigt der Druck noch mehr.“ Der Verband der Milchviehhalter fordert jetzt von der Politik, alle am Milchmarkt Beteiligten an einen Tisch zu holen und über Preissicherungen und eine verbesserte Marktstellung der Hersteller zu diskutieren - und darüber wie ihre Verluste verringert werden können. epd

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