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Franz-Josef Möllenberg. Der gelernte Bankkaufmann ist seit 44 Jahren Gewerkschaftsmitglied. 1990 wurde er Kassenwart der NGG, zwei Jahre später Vorsitzender.

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Gewerkschaft NGG: Möllenberg geht, der Mindestlohn kommt

Nach 21 Jahren gibt es einen Wechsel an der Spitze der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, der ältesten DGB-Gewerkschaft.

Ein schöner Zeitpunkt, um zu gehen. „Franz-Josef Möllenberg steht davor, die Früchte seines Engagements zu ernten und zu sehen, dass das Ziel erreicht wird.“ So freut sich Verdi-Chef Frank Bsirske über den Erfolg des Kampfgefährten Möllenberg. Die angesprochenen Früchte bestehen aus drei Ziffern: 8,50 Euro. „Der Mindestlohn steht, auch bei Frau Merkel“, ist sich Möllenberg sicher. Seit 1992 hat er die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geführt, Montag ist sein letzter Arbeitstag, am Dienstag wählen die 170 Delegierten des Gewerkschaftstages seine Stellvertreterin Michaela Rosenberger zur neuen Vorsitzenden. Mit Möllenberg geht der mit Abstand dienstälteste deutsche Gewerkschaftschef in Rente.

„Ich bin vom Saulus zum Paulus geworden“, erinnert sich Möllenberg an die Zeit um das Jahr 2000 herum. Ein gesetzlicher Mindestlohn, also das Eingreifen der Politik in die heilige deutsche Tarifautonomie, war für die Gewerkschaften Teufelszeug. Doch es ging nicht mehr anders. Möllenberg spricht heute von einem „Hilferuf“ aus einer zunehmend verzwickten Situation heraus: Immer mehr Firmen wollten keine Tarife mehr mit den Gewerkschaften machen, und die Gewerkschaften konnten die Firmen nicht dazu zwingen, weil sie immer weniger Mitglieder hatten. Also sollte die Politik einschreiten.

Dass Möllenberg der erste Hilferufer war, hängt mit den Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe zusammen. Hier arbeiten 960 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer und gleichzeitig 940 000 geringfügig Beschäftigte; die Löhne sind oft erbärmlich, NGG-Mitglieder trifft man in Hotels und Gaststätten eher selten an. Rund 160 000 Arbeitnehmer in der Branche sind Aufstocker: Das Einkommen reicht nicht zum Leben, sie bekommen zusätzlich Hartz IV. Auf der einen Seite prekäre Arbeit, auf der anderen Seite schwindende Gewerkschaftsmacht: Kurz nach der Vereinigung hatte die NGG 400 000 Mitglieder, davon 270 000 im Westen. Aktuell sind es noch 204 549. Immerhin ist der Schwund gestoppt, und in den vergangenen Jahren konnte bei den erwerbstätigen Mitgliedern die Trendwende erreicht werden.

Michaela Rosenberger. Die 53-Jährige ist Hotelfachfrau und arbeitete als Geschäftsführerin in einem Hamburger Hotel. Seit zehn Jahren sitzt sie im NGG-Vorstand.
Michaela Rosenberger. Die 53-Jährige ist Hotelfachfrau und arbeitete als Geschäftsführerin in einem Hamburger Hotel. Seit zehn Jahren sitzt sie im NGG-Vorstand.

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„Ich freue mich, jetzt gehen zu können“, kommentiert Möllenberg die Entwicklung seiner Gewerkschaft, die zu den kleinsten DGB-Organisationen gehört. Doch mit 148 Jahren ist die NGG die älteste DGB-Gewerkschaft. Und die wichtigste sowieso. „Wenn es unsere Mitglieder nicht gäbe, dann gäbe es auch nichts zu essen“, sagt Möllenberg. Der vor gut 60 Jahren im westfälischen Hagen geborene Möllenberg, ein gelernter Bankkaufmann, ist seit 44 Jahren Gewerkschaftsmitglied. 1990 wurde er Kassenwart der NGG, zwei Jahre später Vorsitzender. Jetzt ist es genug.

„Vor Wände bin ich gelaufen“, erinnert er sich an seine Werbetour für den Mindestlohn in der Politik. Und zwar nicht in der FDP-Fraktion, sondern vor gut zehn Jahren bei der damaligen PDS. „Möllenberg war der Erste, der die Notwendigkeit eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns erkannt hat“, würdigt Verdi- Chef Bsirske den langen Atem des Kollegen, der eine Menge erlebt hat. Die Etikettierung der Gewerkschaften als „Dinosaurier“, das Bündnis für Arbeit Mitte der 90er Jahre, die Euphorie über den Sieg von Rot-Grün 1998. Mit der Agenda 2010 kam die große Ernüchterung, mit Superminister Wolfgang Clement – „die größte Enttäuschung“, wie Möllenberg rückblickend sagt. Der Trend zu Minijobs nahm Fahrt auf, die Gewerkschaften bekamen auf der politischen Bühne kein Bein mehr auf die Erde. Erst mit Angela Merkel verbesserten sich die Verhältnisse. Ob DGB-Chef Michael Sommer, der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber oder Möllenberg, allesamt Sozialdemokraten: Sie kommen mit Merkel besser klar als mit Gerhard Schröder.

Den Arbeitgebern wirft der ausscheidende NGG-Chef vor, sich nicht hinreichend auf den demografischen Wandel eingestellt zu haben. Jetzt bekämen sie die Quittung für die unattraktiven Arbeitsbedingungen: In diesem Jahr beginnen nur noch rund 68 000 junge Leute eine Ausbildung im Gastgewerbe, vor fünf Jahren waren es noch 30 000 mehr. Die Branche aufzuwerten, wird eine Hauptaufgabe für Michaela Rosenberger sein. Die 53-Jährige ist Hotelfachfrau und arbeitete als Geschäftsführerin in einem Hamburger Hotel. Seit zehn Jahren mischt sie mit im NGG-Vorstand, zuständig für Finanzen, Frauen und Bildung.

Künftig muss Rosenberger in der Politik dicke Bretter bohren und sich zum Beispiel auch mit den Brüsseler Beglückungen rumschlagen, über die sich Möllenberg ärgert. Die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln etwa oder überhaupt übertriebene Kennzeichnungspflichten auf Lebensmitteln. Tabak, Alkohol, Zucker und Fette hätten Politiker als „die Feinde der Menschheit“ identifiziert. Möllenberg dagen spricht von Genussmitteln, die man in Maßen konsumieren möge. Die viele Regulierung bringe nichts, höchstens Gefahren für Arbeitsplätze. Aber nicht nur: „Es geht auch um ein Stück Freiheit“, für den Konsumenten und für die Ernährungsindustrie. Da ist Möllenberg eben ein Gewerkschafter von echtem Schrot und Korn.

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