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Wirtschaft: Gewerkschaften gegen Gewerkschaften?

Die kleineren Spartenverbände stellen sich auf Tarifeinheit - ein Gesetz, dass CDU und SPD nach langen Widerständen nun durchbringen könnten: Es könnte die kleinen Fachgewerkschaften benachteiligen und die großen DGB-Verbände bevorzugen.

Nicht alle Gewerkschaften sind glücklich mit dem Koalitionsvertrag. Im Gegenteil: In Fachgewerkschaften und Berufsverbänden bereitet man sich auf das umstrittene Tarifeinheitsgesetz vor. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD heißt es, es solle nur noch der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft in einem Unternehmen gelten – womit meist eine der acht DGB-Gewerkschaften infrage käme. Auf den DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände geht auch die Initiative für das Gesetz zurück. In der vergangenen Legislatur scheiterte das Vorhaben noch an der FDP und an Vorbehalten innerhalb der CDU. Jetzt steht ein neuer Anlauf an. Sollte das Gesetz tatsächlich kommen, wollen Spartengewerkschaften dagegen in Karlsruhe klagen: Der Zwang zur Tarifeinheit sei verfassungswidrig, weil er gegen Tarifpluralität und Koalitionsfreiheit verstoße.

Doch die kleinen Gewerkschaften schließen auch gewerkschaftspolitische Offensiven nicht aus. So wollen Ärzte in einigen Kliniken anregen, den Marburger Bund (MB) für Schwestern und Pfleger zu öffnen und die Medizinergewerkschaft dadurch zu vergrößern. Seit 2006 handelt der MB die Tarife für Ärzte aus – und schon damals hatte der MB-Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery eine breitere Gesundheitsgewerkschaft ins Spiel gebracht: Der MB würde dann auch um Pflegepersonal werben, das bislang eher in der DGB-Gewerkschaft Verdi organisiert ist. Der MB gilt als durchsetzungsstark, in vielen Kliniken organisiert er mehr als 65 Prozent der Ärzte. Das könnte durchaus Pflegekräfte zum Beitreten ermuntern. „Wir wären schlecht beraten, wenn wir nicht an Alternativen dächten“, sagte MB-Sprecher Hans-Jörg Freese. In vielen Kliniken sind nur zehn Prozent der Schwestern und Pfleger überhaupt Verdi-Mitglieder.

Und so böte sich dem MB auch eine andere Möglichkeit, sollte das Gesetz vom Verfassungsgericht bestätigt werden. In einigen Krankenhäusern ist der MB schon jetzt die mitgliederstärkste und im Sinne der Tarifeinheit bestimmende Gewerkschaft. Das lässt sich am Beispiel einer norddeutschen Klinik mit 900 Beschäftigten skizzieren: Von den 140 dort angestellten Ärzten sind 100 Mitglieder des MB. Von den 700 Schwestern, Pflegern und Technikern gehören rund 80 zu Verdi. Der MB müsste – sollte das Gesetz zur Tarifeinheit in Karlsruhe bestehen – die Erlaubnis bekommen, für die gesamte Belegschaft zu verhandeln.

Und so heißt es auch bei der Lokführergewerkschaft GDL, dass die Frage, „wer denn nun wirklich die größere Gewerkschaft ist“, noch interessant werde. Die DGB-Großgewerkschaft EVG hat zwar mehr als 200 000 Mitglieder, die GDL dagegen nur knapp 35 000. Doch die EVG ist vor allem bei der Deutschen Bahn stark vertreten. Bei den kleineren Privatbahnen ist sie weniger präsent, dort aber hat die GDL massiv um Mitglieder geworben. Und auch bei der Lufthansa ist nicht immer klar, welche der drei aktiven Gewerkschaften – Ufo, Cockpit, Verdi – die meisten Mitglieder hat.

Ähnliches gilt für die Medien. In vielen Sendern und Verlagen dürfte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), der nicht zum DGB gehört, stärker als Verdi sein. Beim DJV rechnet man aber nicht damit, dass sich die Politik mit Ärzten, Journalisten, Lokführern und Piloten gleichzeitig anlegen wird.

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