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Wirtschaft: Gewerkschaften üben bei Lohnabschlüssen weiterhin Zurückhaltung

Großen Worten folgen nicht immer die entsprechenden Taten.Mit der Parole vom "Ende der Bescheidenheit" hatten Gewerkschafter eine Wende in der Tarifpolitik angekündigt.

Großen Worten folgen nicht immer die entsprechenden Taten.Mit der Parole vom "Ende der Bescheidenheit" hatten Gewerkschafter eine Wende in der Tarifpolitik angekündigt.Diese Wende ist verschoben, denn mit den Tarifabschlüssen des laufenden Jahres setzt sich die lohnpolitische Zurückhaltung fort.Mehr noch: Nach 1996 und 1997 sinken in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge die Lohnstückkosten in der westdeutschen Wirtschaft.

"Das gab es noch nie", sagt Klaus Peren, Tarifexperte bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände über die Kostenentlastung für die Unternehmen.Und endlich auch habe die "erfolgreiche Tarifpolitik zur Trendwende auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt geführt".Wie immer mit "Verspätung".Denn schon 1997 sanken die Lohnstückkosten in der westdeutschen Industrie mit 3,4 Prozent so stark wie noch nie.Trotzdem ging es auf dem Arbeitsmarkt damals weiter bergab, in der Westindustrie fielen 190 000 Arbeitsplätze weg - seit Anfang der 90er Jahren stieg die "Verlustzahl" damit auf 1,7 Millionen, wie das in Köln ansässige Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt hat.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI) hat eine "offenkundig wachsende Unzufriedenheit in der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft mit der lohnpolitischen Entwicklung" ausgemacht.Vor allem deshalb, weil die Realeinkommensverluste nicht zu den "vielfach versprochenen positiven Beschäftigungseffekten" geführt haben.Da ist was dran.Auch das arbeitgebernahe IW räumt ein, "daß der Großteil der deutschen Arbeitnehmer in der jüngsten Vergangenheit wenig Anlaß zum Lachen hatte".Rund 2700 DM brachte der Durchschnittsarbeitnehmer 1997 nach Abzug von Steuern und Abgaben nach Hause, das waren zehn DM weniger als 1996.Allerdings verlief die Entwicklung in West- und Ostdeutschland höchst unterschiedlich.Im Osten sind die realen Nettolöhne seit 1991 um 25 Prozent gestiegen, im Westen dagegen um vier Prozent gefallen.

Trotz des Rückgangs im Westen ist dort die Arbeitsstunde heute um gut acht Prozent teurer als vor sieben Jahren.Das IW erläutert den Grund: "Die zunehmende Steuer- und Abgabenlast treibt einen immer größeren Keil zwischen die von den Unternehmen zu tragenden Arbeitskosten und die ausgezahlten Löhne." So kassierten Fiskus und Sozialversicherungen im vergangenen Jahr knapp 50 Prozent der Bruttoeinkommen und damit bald fünf Prozent mehr als 1991.Deshalb bleibt auch von den Tariferhöhungen nicht viel bei den Beschäftigten hängen.

Im vergangenen Jahr legten die industriellen Tariflöhne im Schnitt um 1,8 Prozent zu, im laufenden Jahr dürften es knapp zwei Prozent werden.An der Spitze liegt dabei die Stahlindustrie mit einem Zuschlag um 2,6 Prozent, am Ende die krisengeplagte Bauwirtschaft sowie der Öffentliche Dienst mit jeweils 1,5 Prozent.

Mit dem Abschluß im Einzelhandel - in der vergangenen Woche wurden für die rund 1,6 Millionen Beschäftigten in der Branche 2,1 Prozent vereinbart - sind die wichtigsten Tarifrunden dieses Jahres abgeschlossen.Nachdem die Metallindustrie bereits im Vorjahr für 1998 eine Erhöhung um 1,9 Prozent vereinbart hatte, standen in diesem Jahr der Öffentliche Dienst sowie die Chemie im Mittelpunkt des westdeutschen Tarifgeschehens.In Ostdeutschland gab es ein wenig Spektakel im Stahlbereich sowie in der Metallindustrie.Kurz vor Beginn eines Arbeitskampfes gaben die Arbeitgeber Anfang Januar nach und ließen sich auf eine Tarifanhebung um 2,6 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 330 DM für die Stahlkocher ein.In der Metallindustrie Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens schlossen die dortigen Verbände einen Tarifvertrag mit der ein wenig skurrilen Christlichen Gewerkschaft Metall ab.Die IG Metall tat das unter dem Namen "Phönix" vereinbarte Papier als Lachnummer ab.Nicht so der Arbeitgeberverband Gesamtmetall.Verbandschef Werner Stumpfe sieht vielmehr in Phönix "eine Reaktion auf die Absicht der IG Metall, eine Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden mit vollem Lohnausgleich durchzusetzen".

Im Westen betrat wieder einmal die chemische Industrie Neuland: Neben der Erhöhung um 2,4 Prozent gab es hier eine Einmalzahlung, die jedoch gekürzt oder ganz gestrichen werden kann, wenn sich das Unternehmen in Schwierigkeiten befindet.Für Auszubildende vereinbarten die Chemieparteien eine Einmalzahlung von 200 DM, die Vergütungen wurden jedoch komplett eingefroren; auf der anderen Seite gaben die Chemie-Arbeitgeber eine Willenserklärung ab, wonach bis zum Jahr 2000 die Zahl der Lehrstellen im Westen um fünf Prozent erhöht werden soll.

Im Öffentlichen Dienst war aufgrund der leeren Kassen nicht mehr als 1,5 Prozent drin.Insbesondere fiel hier die sogenannte Angleichung der Ostgehälter recht bescheiden aus: Ab September bekommen die Staatsdiener Ost statt bislang 85 Prozent dann 86,5 Prozent der Westgehälter.Bemerkenswert ist hier jedoch noch eine kleine Innovation: In Zukunft müssen sich die Beschäftigen am Anstieg der Kosten ihrer Alterszusatzversorgung zur Hälfte beteiligen.Immerhin erreichte die ÖTV die 100prozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.Aber für den Öffentlichen Dienst gilt ebenso wie für fast alle anderen Branchen auch, daß die Verteidigung der Lohnfortzahlung mit Abstrichen bei den Lohnprozenten erkauft werden muß.So hat die Änderung des Lohnfortzahlungsgesetzes den Unternehmen schätzungsweise Gesamteinsparungen von 15 bis 20 Mrd.DM gebracht - und das, obwohl die 100prozentige Fortzahlung in den wichtigsten Tarifverträgen festgeschrieben wurde.

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