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Schlagkräftige Argumente. Bevor es soweit kommt, dass ein Streit mit Fäusten ausgetragen wird, sollte ein Mediator eingeschaltet werden. Laut Experten gibt es mehr Bedarf als Schlichter. Foto: ddp

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Wirtschaft: Gleichstand

Mediator werden: In der nebenberuflichen Ausbildung lernt man, wie man Konflikte löst – ohne Verlierer

Es ist Krise. Mitarbeiter bangen um ihren Job, Stress und Druck steigen, die Haut wird dünner, die Luft im Büro dicker. Das birgt Potenzial für die ohnehin häufigen Konflikte unter Kollegen, die die Zusammenarbeit erschweren. „Wenn zwei nicht mehr zusammen arbeiten können, obwohl sie es müssten, kann die Situation für das Team oder die Firma schwierig werden. Entscheidungen werden aufgeschoben, weil man sich nicht mehr grün ist, die Stimmung und die Zahlen werden schlechter – das kann wirtschaftlich gefährlich werden“, sagt Wilfried Kerntke. An diesem Punkt kommt er ins Spiel, der Mediator. Er hört sich alle Sichtweisen an ohne Partei zu ergreifen, arbeitet die Punkte mit den Betroffenen ab und versucht, gemeinsam mit den Streitenden einen Konsens zu finden.

Wer schon immer eher schlichtet und Ruhe bewahrt, wenn sich zwei streitende Gemüter hitzig redeten, hat gute Voraussetzungen für die Arbeit als Mediator. „Man braucht eine gewisse Affinität für Konflikte, eine positive Einstellung dazu“, sagt Kerntke. Seit 1994 arbeitet er als Mediator für Organisations- und Unternehmensentwicklung, berät und vermittelt in beruflichen Situationen. Der gelernte Verlagsbuchhändler und ehemaliger Personalleiter eines mittelständischen Unternehmens ist mit seinem Institut Inmedio mit Sitz in Frankfurt am Main und Berlin auch als Ausbilder tätig. „Der Bedarf ist in den letzten Jahren gestiegen“, sagt Kerntke.

Mediator ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Die meisten haben einen juristischen oder psychozozialen Hintergrund und bilden sich zum Mediator weiter. Anschließend arbeiten sie neben ihrer eigentlichen Profession als Mediator. „Berufserfahrung ist enorm wichtig, dabei können Interessierte aber auch aus anderen Bereichen als Jura oder Psychologie kommen“, sagt Kernkte. Wenig Sinn mache es, direkt nach der Schule oder dem Studium ohne Erfahrung in der Arbeitswelt die Ausbildung zu machen – in erster Linie werden berufsbegleitende Ausbildungen angeboten. „In der Situation zwischen dem Klienten und dem Mediator gibt es immer auch eine heimliche Hierarchie. Hat der Kunde das Gefühl, der Schlichter ist ihm unterlegen, gelingt die Zusammenarbeit nicht“, sagt Kerntke. Man müsse sich auf Augenhöhe begegnen und eine gewisse Lebenserfahrung und Autorität ausstrahlen, um die Konfliktparteien zu einer Lösung zu führen. Sonst bringe jede fachliche Kompetenz nichts.

Wichtig sind gerade deshalb soziale Kompetenz und Einfühlungsvermögen. Jede einzelne Perspektive der Streitenden hat ihre Berechtigung ein Mediator ist für alle da und muss alle ernst nehmen. „Denn für jeden Betroffenen ist seine Seite die richtige“, sagt Kerntke. Verstehen, was in den Einzelnen vorgeht, ohne damit einverstanden zu sein, das sei die Aufgabe eines Mediators.

Was alle lernen müssen, die sich für eine Weiterbildung zum Konfliktexperten entscheiden: „Lösungsabstinenz“. So nennt Kerntke die Schwierigkeit, sich selbst zurückzunehmen. Gerade Juristen hätten damit Probleme, entgegen ihrer eigentlichen Profession nicht mit einer vorgefertigten Position in die Verhandlungen zu gehen, und diese durchsetzen zu wollen, sondern ergebnisoffen in die Situation gehen. Bis dahin ist ein weiter Weg: von der Ausbildung bis zum professionellen Konfliktlöser brauche es viel Zeit.

Die Ausbildung an sich ist ebenfalls zeitintensiv. Gängig sind zwölf bis 15 Monate mit 200 Stunden – eine klar geregelte Ausbildung und Qualitätskriterien gibt es nicht. Der Bundesverband Mediation., der Bundesverband Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt e.V. (BMWA) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM) haben verschiedene Ausbildungskriterien festlegt, nach denen sie Zertifikate ausstellen. Doch alle drei Verbände haben ein Abkommen für die wechselseitige Anerkennung der Zertifikate. Überwiegend sind es privatwirtschaftliche Organisatoren und Hochschulen, die die Ausbildung organisieren. Das Zentrum für Weiterbildung der Technischen Universität Dortmund zum Beispiel bietet die Ausbildung „Mediation und Konfliktmanagement“ an, wo Wilfried Kerntke auch als Referent tätig ist. „Die Welt der Mediation ist klein“, sagt er.

Nicht nur in der Wirtschaft, in Schulen und Organisationen oder Städten, auch privat kann ein Mediator gerufen werden. Bei Paaren, Familien, in Erbstreitigkeiten oder auch bei Scheidungen. Manche Ausbildungen bieten daher Spezialisierungen an. Doch Experten raten, eine allgemein ausgerichtete Ausbildung zu machen und nach einigen Jahren Praxiserfahrung spezialisierte weiterbildende Module zu belegen. So auch Harald Püth, eine Urgestein unter den Mediatoren. 1983 gründete er mit anderen Konfliktexperten das Institut Triangel in Berlin und ist ebenfalls als Ausbilder tätig. Die Weiterbildung zum Mediator decke alle wichtigen Bereiche ab, die in eine Ausbildung gehören. Mit den ersten Praxiseinsätzen merke man, ob einem der favorisierte Bereich überhaupt liegt, ob man lieber in der Wirtschaft, in sozialen Einrichtungen oder mit Paaren arbeitet.

Stichwort Praxisbezug: Wer sich für eine Weiterbildung zum Experten für Konfliktlösungen entscheidet, sollte bei den Trägern ausdrücklich nachfragen, ob die Lernenden in die Praxis begleitet werden – während und vor allem auch nach der Fortbildung, rät Wilfried Kerntke. Auf den Seiten der Berufsverbände kann man sich informieren, dort sind die zertifizierten Anbieter gelistet. Es dauere ein paar Jahre, bis man richtig im Geschäft ist, sagt Kerntke, da könne man jede Unterstützung gebrauchen. Auch deswegen raten Kerntke und Pühl zu einer berufsbegleitenden mindestens einjährigen Ausbildung im Klassenverband – um sich später mit den Absolventen zu vernetzen. Gerade in der Anfangszeit sollte man die Mediation als Nebenberuf ausüben, 40 Stunden im Monat seien für die Anfangszeit normal.

Dann heißt es: Konflikte lösen und begleiten, bis eine Vereinbarung geschlossen wurde. In Verbänden dauere ein Einsatz meist ein bis zwei Tage, sagt Psychologe Pühl. Je nach dem wie verfestigt der Konflikt ist, ist er zehn bis 15 Stunden im Einsatz. Der Weg zur Lösung ist für ihn das Spannende, gerade weil keiner als Verlierer rausgehen soll. Es gehe um eine Win-Win-Situation, einer Lösung, zu der beide „ja“ sagen können.

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