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Wirtschaft: Glitzernde Globalisierung

Im Diamantenhandel, einst jüdische Domäne in Antwerpen, gewinnen Inder die Oberhand – sie sind aggressiver

Als die Gegend um den Antwerpener Hauptbahnhof noch fest in der Hand der jüdischen Diamantenhändler war, rühmte man die Geschäftsstraße Hovenierstraat für ihre Köstlichkeiten aus der koscheren Küche. Inzwischen sind es vornehmlich indische Geschäftsleute, die mit den jüdischen Einkäufern um die kostbaren Steine feilschen. Und auch die Restaurants bieten heute vor allem indische Spezialitäten.

Nach und nach werden die orthodoxen europäischen Juden, die das berühmte Diamantenviertel in Antwerpen aufbauten, von indischen Geschäftsleuten verdrängt. „Viele der jüdischen Händler konnten nicht mit der Globalisierung mithalten“, sagt Ramesh Mehta, einer der Väter des indischen Erfolgs. Seit Anfang der Neunzigerjahre hat der Diamantenhändler mehr als 50 indischen Familien dazu verholfen, in Antwerpen Fuß zu fassen. Weltweit gehören die Inder zu den erfolgreichsten Geschäftsleuten. Sie haben die Juwelier-Meilen von New York und Hongkong sowie das amerikanische Motel-Geschäft wiederbelebt und sind gefragte Software-Experten von Silicon Valley bis Berlin.

Die indische Erfolgsstory geht so weit, dass sie den jüdischen Diamanten-Händlern sogar in Tel Aviv den Rang ablaufen. Derzeit gehen 80 Prozent der auf dem Weltmarkt verkauften Diamanten durch die Hände der Inder. Die stetige Verschiebung der Marktanteile verläuft nicht ohne Spannungen. Viele der jüdischen Händler, die ihre Geschäfte für gewöhnlich in der imponierenden Markthalle von Antwerpen abwickelten, sind argwöhnisch geworden. Aus Furcht, andere Händler könnten ihnen Kunden abspenstig machen, ziehen sie sich mit den Klienten immer häufiger in die Abgeschiedenheit ihrer Geschäftsräume zurück. Um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, lassen bereits einige jüdische Juweliere ihre Läden am Sabbat offen. „Auch den nicht-religiösen unter ihnen gefällt es nicht, wenn der Rabbi sie mahnt, das Geschäft zu schließen. Aber sie hören nicht auf ihn“, sagt Henri Rubens, ein ehemaliger Diamantenhändler und führendes Mitglied in der jüdischen Gemeinschaft, der sich jetzt auf Grundstücksgeschäfte verlegt hat.

Die Alteingesessenen wehren sich

Den 22 Milliarden Euro schweren Diamanten-Markt von Antwerpen beherrschen die Inder bereits zu 65 Prozent – verglichen mit nur 25 Prozent vor zwanzig Jahren. In der gleichen Zeit schrumpfte der Marktanteil der jüdischen Händler von 70 auf 25 Prozent. Da verwundert es kaum, dass die Inder jetzt mehr Einfluss im High Diamond Council einfordern, der mächtigen Institution zur Regulierung des Diamantengewerbes in der belgischen Stadt. Erst im Februar wurden die ersten beiden indischen Vertreter in den Rat gewählt. Doch da es insgesamt 20 Sitze zu vergeben gibt, sehen viele Inder in dem Schritt wenig mehr als ein Almosen.

Hinter dem Streit um die Mitsprache in Antwerpen steht ein gewaltiger Markt: Die flämische Hafenstadt mit ihren 500000 Einwohnern ist der weltweit bedeutendste Umschlagplatz für Diamanten. Zirka 90 Prozent aller Rohdiamanten und die Hälfte aller geschliffenen Steine, die in den Minen Südafrikas oder Australiens ans Tageslicht gefördert wurden, wechseln hier ihren Besitzer. Mehr als 1500 Groß- und Einzelhändler leben von dem Geschäft und den vier großen Diamanten-Börsen. In einer der ältesten, der Beurs voor Diamanthandel, sitzen Großhändler und ihre Abnehmer an langen Tischen und schauen mit Lupen auf kleine Häufchen von Diamanten. Die Händler kommen aus aller Welt, nur nicht aus Indien.

„Die Inder kommen nicht hierher, sondern sitzen in ihren Büros, wo die wirklich großen Geschäfte über die Bühne gehen“, klagt Yves Szerer, ein geschniegelter jüdischer Jungunternehmer. Heute bereut er, dass er nicht auf die Warnungen seines Schwiegervaters hörte, der ihm vom Diamantengeschäft abgeraten hat. „Mit den Indern und ihren riesigen Familien und guten Verbindungen konnten wir nicht mithalten“, sagt er.

Der Diamantenhandel in der Stadt geht bereits auf das 15. Jahrhundert zurück, als jüdische Emigranten aus Spanien und Portugal kamen. Das Diamantenviertel von Antwerpen zählt heute mehr als 25 Synagogen und mehrere jüdische Schulen. Doch immer mehr versprüht es die Atmosphäre von Bombay. Die indischen Händler wurden in den Siebzigerjahren auf das lukrative Diamantengeschäft aufmerksam und profitierten von den liberalen belgischen Einwanderungsgesetzen. Viele von ihnen praktizieren den Jainismus, eine indische Glaubensrichtung, die Gewaltlosigkeit, Vegetarismus und Respekt vor allen Lebewesen predigt.

Die religiöse Ausrichtung ist ebenso wie die jüdische Kultur ein Plus im Diamanten-Geschäft, sagt Ramesh Mehta: Zusammengehörigkeit, Fleiß und Kontakte über die Grenzen hinaus sind nützliche Qualitäten, wenn es um darum geht, Geschäfte in einer globalen Industrie zu machen.

Den wohl entscheidenden Wettbewerbsvorteil sicherten sich die indischen Händler, als sie die Rohdiamanten zur Verarbeitung nach Indien schickten, wo ihre Familienbetriebe bis zu 80 Prozent unter den Lohnkosten Antwerpens blieben. Die jüdischen Händler hingegen haben es lange versäumt, nach kostengünstigen Produktionsstätten zu suchen. Kaum einer wollte die wertvollen Steine aus den Augen verlieren und den Einfluss auf die Verarbeitung preisgeben.

Kostenvorteil von 80 Prozent

Und während die jüdischen Händler Steine minderer Qualität nur selten verarbeiteten, spezialisierten sich die Inder auch auf die Veredelung solcher Diamanten. „Wir haben Baumwolle in Seide verwandelt“, sagt Bharat Shah, Chef der Handelsgesellschaft Dimapex, die es inzwischen auf einen Umsatz von jährlich 35 Millionen Euro bringt. Inder handeln schon seit Jahrhunderten mit Diamanten, sagt Shah. Schließlich wurden dort im achten Jahrhundert die ersten Diamanten gefunden. Sie verloren erst im 18. Jahrhundert an Bedeutung, als in Brasilien und Südafrika der große Diamanten-Rausch einsetze.

Für den jüdischen Grundstücksmakler Rubens hat nun das Ende des jüdischen Diamantenhandels in Antwerpen begonnen: „Wir waren lange Zeit zu selbstzufrieden“, kritisiert er. „Jetzt, da wir es einsehen, ist es bereits zu spät.“

Texte übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Diamanten), Karen Wientgen (Irak), Christian Frobenius (Analysten, Internationaler Gerichtshof) und Svenja Weidenfeld (Schlager).

Dan Bilefsky

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