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Wirtschaft: Gold

Von Tobias Symanski Für uns Kontinentaleuropäer gelten die Briten ja nicht umsonst als etwas wunderlich: Sie essen Lamm in Pfefferminzsoße, fahren mit ihren Autos permanent auf der falschen Straßenseite, und es gilt als Volkssport, splitterfasernackt durch vollbesetzte Fußballstadien zu rennen. Daneben halten sie schon seit jeher an Traditionen fest, die hier zu Lande keiner nachvollziehen kann.

Von Tobias Symanski

Für uns Kontinentaleuropäer gelten die Briten ja nicht umsonst als etwas wunderlich: Sie essen Lamm in Pfefferminzsoße, fahren mit ihren Autos permanent auf der falschen Straßenseite, und es gilt als Volkssport, splitterfasernackt durch vollbesetzte Fußballstadien zu rennen. Daneben halten sie schon seit jeher an Traditionen fest, die hier zu Lande keiner nachvollziehen kann.

Das gilt auch an der Börse. Selbst in Zeiten von elektronischen Handelssystemen, mit deren Hilfe 24 Stunden am Tag Geschäfte abgewickelt werden können, vertrauen die Briten beim Goldhandel auf zwischenmenschliche Beziehungen und rituelle Spielereien. Dem Finanzplatz London hat das freilich nicht geschadet, kann „The City" doch für sich beanspruchen, beim Goldhandel eine Schlüsselstellung in Europa einzunehmen.

Der Sieg des Absonderlichen spielt sich in einem Raum des Handelshauses von N.M. Rothschild & Sons ab. Jeden Tag gegen 10 Uhr 30 und 15 Uhr 30 Greenwich-Zeit halten fünf vornehm gekleidete Menschen, zumeist Männer, ihr seltsames Ritual ab.

Durch Herumspielen an Miniaturausgaben der britischen Nationalflagge, die vor ihnen auf dem Tisch stehen, fixieren sie den aktuellen Goldpreis und bewegen so bis zu 20 Tonnen Gold. Telefonisch mit ihren Stammhäusern in Kontakt, signalisieren sie durch das Einholen der Spielzeugfähnchen ihre Bereitschaft, bei einem vom Chairman vorgeschlagenen Goldpreis als Käufer oder Verkäufer aufzutreten. Der „Chairman" ist ein Vertreter von Rothschild, der sozusagen als Spielführer fungiert. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage gilt als geglückt, wenn alle fünf Fähnchen eingeholt wurden. Und erst dann hat der Chairman die Möglichkeit, den Goldpreis als fixiert zu erklären.

Für einen Europäer kontinentaler Prägung hören sich die Regeln kompliziert an. Unsereins staunt nicht schlecht, dass wir diesen Traditionalisten einen seit eineinhalb Jahren steigenden Goldpreis zu verdanken haben. Erst Mitte dieser Woche konnte das Edelmetall mit 318 Dollar je Feinunze einen neuen Höchststand seit zweieinhalb Jahren feiern.

Die Prozedur mit den Fähnchen dauert fünf bis zehn Minuten. Die Briten hatten ja genug Zeit zu üben, denn das Spiel wird seit 1919 ausgetragen. Nur einmal, am 23. Mai 1990, wurde den Fünfen ein Strich durch die Rechnung gemacht, als sich das Fixing auf zweieinhalb Stunden ausdehnte. Ob die Händler mit dem Hissen der weißen Flagge ihre kampflose Aufgabe erklärten, ist nicht überliefert. Foto: TG

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