zum Hauptinhalt
Ein Arbeiter setzt ein VW-Firmenlogo auf einen Golf-Kühlergrill.

© Rainer Jensen/dpa

Update

Golf-Produktion gestoppt: Volkswagen droht Zulieferer mit Gerichtsvollzieher

Weil ein Zulieferer keine Teile mehr liefert, stellt Volkswagen die Bänder ab. Hintergrund ist ein Rechtsstreit. Voraussichtlich müssen mehr als 20.000 Mitarbeiter in den Zwangsurlaub.

Der Streit mit einem Lieferanten wächst sich für Volkswagen zu einem Desaster aus. Weil ein Zulieferer keine Teile mehr an die Bänder liefert, muss der vom Abgasskandal schwer erschütterte Konzern voraussichtlich mehr als 20.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub schicken. Für Teile der Produktion in den Werken Wolfsburg, Braunschweig, Kassel und Zwickau werde Kurzarbeit geprüft, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies am Donnerstag im Landtag in Hannover. Dies sei an den Standorten inzwischen intern bekanntgemacht worden. Details würden derzeit mit der Bundesagentur für Arbeit geklärt. Die Kurzarbeit sei zunächst für fünf Tage geplant.

Allein im Stammwerk Wolfsburg dürfte die Ausweitung der Kurzarbeit einem Insider zufolge mehr als 10.000 Beschäftigte betreffen. Ein VW-Sprecher sagte, man habe die Logistikunternehmen darüber informiert, dass die Produktion des wichtigen Kompaktmodells Golf am Stammsitz von Montag bis Freitag kommender Woche stillstehen werde. Über Kurzarbeit sei noch nicht entschieden. Am Donnerstag waren nach VW-Angaben 8000 Mitarbeiter des Passat-Werks in Emden in Zwangsurlaub geschickt worden, weil Zulieferteile fehlen.

Hintergrund ist ein Rechtsstreit mit der Wolfsburger Unternehmensgruppe Prevent. Zwei Töchter des Konsortiums haben die Lieferung von Bauteilen an VW eingestellt. Lies, der das Land im VW-Aufsichtsrat vertritt, sagte, es sei nicht einfach, die Hintergründe der Auseinandersetzung mit der Prevent-Gruppe vollständig zu durchschauen. Volkswagen selbst habe erklärt, Hintergrund sei ein eskalierter Streit über einen Entwicklungs- und Liefervertrag mit den Unternehmen der Prevent-Gruppe. Noch reichten die Information nicht für eine abschließende Bewertung aus. Die bisherigen Schilderungen ließen jedoch den Schluss zu, dass dies ein unglaubliches und für ihn nicht nachvollziehbares Verhalten von Prevent sei.

Volkswagen will offenbar hart gegen den Lieferstopp vorgehen. Der Automobilkonzern sei dazu gezwungen, die "zwangsweise Durchsetzung der Belieferung vorzubereiten", teilte Volkswagen der "Süddeutschen Zeitung" mit. Zu diesem Zweck werde man alle Mittel nutzen, die laut dem Gesetz möglich seien. "Dazu gehören Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme, die über das Gericht beantragt werden", erklärte VW gegenüber der "SZ". Parallel dazu bemühe man sich weiterhin um "eine gütliche Einigung".

Es gibt aber der "SZ" zufolge weiterhin keine Hinweise auf eine gütliche Einigung, obwohl Volkswagen in beiden Fällen bereits vor dem Landgericht Braunschweig vorläufig Recht erhalten hatte. Laut der einstweiligen Verfügung des Gerichts müssten die für die Produktion bei Volkswagen benötigten Teile ausgeliefert werden, was weiterhin nicht erfolge. Wie das Braunschweiger Landgericht der "SZ" mitteilte, hat VW nun das Recht, zwecks Pfändung der Teile Gerichtsvollzieher zu schicken.

Die Engpässe machten dem Konzern auch an der Börse zu schaffen: Die Aktie verlor in einem freundlichen Umfeld zeitweise rund ein Prozent, schloss später aber unverändert.

Extrem empfindliche Abläufe

Der Fall zeigt nach Ansicht von Experten, welche verheerenden Auswirkungen ein Lieferstopp auf die komplexen Produktionsabläufe bei Autobauern haben kann, bei denen Lieferanten direkt an die Bänder liefern. Wenn ein Teil fehlt, weil ein Lieferant ausfällt oder sich sperrt, gerät die ganze Produktion ins Stocken. Bei VW sind es fehlende Sitzbezüge und Getriebegehäuse, die die Wolfsburger von den Prevent-Töchtern Car Trim und ES Automobilguss beziehen.

Blick auf einen Firmensitz des Automobilzulieferers Prevent in Warmenau bei Wolfsburg. Der Zulieferer zwingt VW in die Knie.
Blick auf einen Firmensitz des Automobilzulieferers Prevent in Warmenau bei Wolfsburg. Der Zulieferer zwingt VW in die Knie.

© dpa

Car Trim aus dem sächsischen Plauen schickt schon seit einiger Zeit keine Sitzbezüge mehr an die VW-Tochter Sitech, die dann die Autositze für VW-Modelle fertigt. Deshalb meldete Volkswagen für einen Großteil der Belegschaft in Emden Kurzarbeit an. In dem VW-Werk mit insgesamt gut 9000 Beschäftigten läuft das Mittelklassemodell Passat in verschiedenen Varianten vom Band, darunter auch der CC. Im Schnitt werden dort 1250 Fahrzeuge am Tag produziert. Beim Landgericht Braunschweig hatte Volkswagen vergangene Woche eine Einstweilige Verfügung erwirkt - das Gericht befand, Car Trim müsse wieder liefern. Über diesen Beschluss habe sich das Unternehmen jedoch hinweggesetzt, erklärte VW. Prevent hat Car Trim erst im April übernommen. Im Juni hatte die Chemnitzer Regionalzeitung "Freie Presse" über eine Kündigungswelle bei der sächsischen Firma berichtet.

Es geht offenbar um ein gescheitertes Projekt

Weil ein weiteres Unternehmen aus diesem Firmengeflecht, die ES Automobilguss GmbH, die Lieferung für Gussteile für Getriebe an Volkswagen einstellte, kam nun auch das Werk Kassel unter Druck. Dort können laut VW bestimmte Getriebe nicht gefertigt werden, wodurch wiederum Teile der Produktion von Golf und Sportsvan in Wolfsburg beeinträchtigt seien. Auch Zwickau ist davon betroffen. ES Automobilguss, eine alteingesessene Zulieferfirma aus dem Erzgebirge, äußerte sich nicht. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage, man sei wegen des Rechtsstreits mit VW zur Vertraulichkeit verpflichtet. Car Trim war ebenso wenig für eine Stellungnahme zu erreichen wie ihre Muttergesellschaft Prevent.

Bei Volkswagen in Wolfsburg sind rund 20.000 Mitarbeiter in der Fahrzeugproduktion beschäftigt. Mehr als die Hälfte wäre einem Insider zufolge von der geplanten Kurzarbeit betroffen. In dem größten VW-Werk laufen die Modelle Golf, Sportsvan, Tiguan und Touran vom Band. Analysten befürchten, dass sich der Stillstand auch auf den Gewinn der Marke VW auswirken wird, die ohnehin wegen des laufenden Umbaus und der Abgaskrise derzeit hohe Lasten zu tragen hat.

Grund für den Konflikt mit den Lieferanten ist nach Angaben des Braunschweiger Landgerichts ein gescheitertes Projekt. "Es werden Ansprüche geltend gemacht, die aus einer anderen, letztlich nicht zustandegekommenen Geschichte hergeleitet werden", sagte ein Sprecher. Deswegen halte die Firma ihre Lieferungen zurück. Die beklagte Firma Car Trim habe nun die Möglichkeit, Berufung gegen die Einstweilige Verfügung beim Oberlandesgericht einzulegen. Gegen eine weitere Verfügung, in diesem Fall gegen ES Automobilguss, habe das Unternehmen Widerspruch eingelegt. Dieser Fall soll Ende August vor dem Landgericht Braunschweig verhandelt werden. (Reuters, AFP)

Zur Startseite