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Wirtschaft: Grete Prang

(Geb. 1907)||Sie hatte ein Talent zur Wahrsagerei. Doch keine Lust darauf.

Von David Ensikat

Sie hatte ein Talent zur Wahrsagerei. Doch keine Lust darauf. Es ist nicht ganz klar, welchen Einfluss ihr Vater auf sie hatte, ob er gut war oder schlecht – seine Berufslaufbahn ist jedoch bemerkenswert.

Er war ursprünglich Eisenbahner, doch schlief er im Dienst zu häufig ein. Es blieben Weichen ungestellt, ihn hat man darum bald entlassen. Es war die Zeit, da man beim Stummfilm auch ohne Schauspielausbildung Schauspieler werden konnte, die Gesten mussten nur groß genug sein. Es gab gutes Geld für wenig Arbeit – der Vater wurde Stummfilmschauspieler. Bis er eine noch aussichtsreichere Karriere begann, als Theater- und Varietédirektor. Er leitete das Apollo-Theater in Königsberg, die prächtigste Spielstätte der Stadt. Kaufmännisches Wissen und Wollen waren nicht seine Stärken, er ging Pleite und zog mit der Familie nach Berlin. Dort wurde er Vertreter, wenn auch kein erfolgreicher. Also versuchte er es noch einmal im Showgeschäft. Auf diesem Gebiet lagen tatsächlich seine besonderen Talente. In einem Wanderzirkus trat er als allseits bewunderter Zauberkünstler und Wahrsager auf.

Hier tritt nun Tochter Grete in die Geschichte ein, inzwischen nicht mehr Mädchen, sondern Frau. Ihr Vater, der Wahrsager, brauchte ein Medium. Sie war jünger und hübscher als die Mutter, also wurde sie es. Sie zeigte Talent im zweifelhaften Gewerbe der Schicksalsprognostik. Vom Vater in eine Trance versetzt, beantwortete sie mit feierlicher Stimme die Fragen der Publikumskandidaten. Sie musste sehr flexibel sein, denn im Unterschied zur Trance waren die Fragen nicht abgesprochen. Bei allem Talent war sie nie stolz auf den Zauber. Sie hatte endgültig genug davon, als der Vater sie bat, in Privatsitzungen gut zahlenden Kunden die Geschäftsaussichten zu erläutern. Eine höhere Schulbildung hatten ihr die Eltern nicht zugebilligt, so blieb jetzt allein die Heirat, um sich von zu Hause und vom Mediumsein zu lösen. Kein Wunder, dass Grete zunächst einmal den Falschen heiratete, einen Katholiken.

Sie war sehr oft krank, eine Tuberkulose, die nicht verheilen wollte. Jetzt war die Krankheit ein guter Vorwand, sich aus dem Eheleben vorübergehend zu verabschieden. Die ostpreußische Meeresluft sollte Linderung verschaffen. Es war das Jahr 1936, als Grete in die alte Heimat fuhr. In Königsberg war sie aufgewachsen, auf einem Gut in Heinrichswalde hatte sie die schönsten Sommer ihrer Jugend verbracht. Nun folgte ein noch schönerer Sommer in den Armen ihres Jugendschwarms, der inzwischen Seemann geworden war. Darauf wiederum folgte ihre erste Schwangerschaft, die Scheidung vom Berliner Katholiken und die Vermählung mit dem Seemann namens Max Prang.

Als der Krieg begann, zog Max Prang sofort mit Hurra ins Feld, und Grete blieb mit ihrem Sohn allein. Manchmal kam der Ehemann auf Urlaub, als Resultat von einem gebar sie 1944 ihre Tochter. Im Herbst desselben Jahres packte sie ein Köfferchen, um mit den beiden Kindern ihre Eltern zu besuchen. Die wohnten inzwischen in Petershagen bei Berlin. Mehr als das Köfferchen und ihre Erinnerungen blieben Grete von ihrer Heimat Ostpreußen nicht. Als sie erfuhr, wie es den anderen ergangen war, die später geflohen oder die gar geblieben waren, wusste sie, wie viel Glück sie hatte.

Doch es war nicht die Zeit, um dem Schicksal zu danken. Es war die Zeit, in der sich Grete ums Überleben kümmern musste. Um ihres, das der Kinder und der Eltern. Aus dieser Zeit ist ihr ein Spruch geblieben. Er hing bis zuletzt gerahmt in ihrer Küche: „Wer heute noch sein Leben liebt, / der schiebt, / wem heute noch die Ehrlichkeit im Blute rauscht, / der tauscht, / wem beide Wege sind verbaut, / der klaut, / wer aber so sich nichts erwirbt, / der stirbt.“

Grete schob Zucker und Heringe über die Zonengrenze, sie tauschte Butter aus Brandenburg gegen Spielzeug aus dem Erzgebirge und das Spielzeug wieder gegen Brot. Sie zog Schweine auf, die wurden krank, sie versuchte es mit einer Nutriafarm, bis der Pelzmarkt in der sowjetischen Zone zusammenbrach, sie fuhr mit dem Fahrrad und großen Taschen über die Demarkationslinien, wurde verhaftet, floh. Sie überlebte die schweren Jahre, ihre Eltern und die Kinder ebenso.

1948 kam ihr Mann aus der Gefangenschaft wieder, und nun war er es, der sich um das Geld zu kümmern hatte. Sie kümmerte sich entscheidungsfreudig um den Rest. – „Max, wir brauchen einen Swimmingpool“ – „Aber Grete, woher sollen wir denn die Pumpe nehmen? Und wie soll man das dicht bekommen?“ – „Grab du die Grube! Ich kümmere mich schon.“ Sie lebten zwar in der DDR, einem Land, in dem man gut tat, den Swimmingpool als Relikt überkommener bürgerlicher Vergnügungssucht zu betrachten, doch wenn Grete Prang sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es kein Halten. Sie schickte ihren Sohn los, die Pumpe unter größten Mühen zu besorgen, die Folien zum Abdichten schweißte sie mit dem Bügeleisen zusammen.

1993 war sie war noch einmal in der alten Heimat. Das Apollo-Theater in Königsberg gab es noch, die Straße, in der sie gewohnt hatte, nicht mehr. Viel wichtiger war aber das Gut in Heinrichswalde, wo sie Max Prang kennen gelernt hatte. Grete ist mit ihrem Sohn durchs Unkraut gestapft – und fand es nicht. Verschwunden. Alles weg. Die Häuser, die Erinnerung, wo sie gestanden haben könnten. Die schönsten Monate ihres Lebens hatte sie hier verbracht.

Man könnte meinen, Grete Prangs Leben sei ähnlich unstet und wechselhaft verlaufen wie das ihres Vaters – so etwas setze sich eben über Generationen fort. Sie mag eine selbstbewusste, tatkräftige Person gewesen sein. Doch ihr Jahrhundert war tatkräftiger. Ihr Vater war ein genialer Hallodri, sie hätte sich das nie leisten können.

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