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Dagegen. Immer wieder gibt es Streiks und Proteste – womöglich wieder im Januar, wenn die Renten sinken und die Steuern steigen.

© dpa

Griechenland: Hoffnung oder Havarie

2013 soll es in Griechenland endlich wieder bergauf gehen. Zum Jahresende gab es zwar unerwartet gute Nachrichten, aber ausruhen kann sich die griechische Regierung auf diesen Lorbeeren nicht. Denn sonst steht die gesamte Reformpolitik auf dem Spiel.

„Hope“ – in riesengroßen weißen Buchstaben, ausgesägt aus Styropor und mit silbernem Glitter bestreut, steht das Wort in der künstlichen Winterlandschaft eines Schaufensters an der Athener Vouliagmenis Avenue. Hoffnung – nichts wünschen sich die Griechen in diesen Tagen so wie Hoffnung. Aber die meisten wagen nicht einmal mehr, daran zu glauben. Ein schwarzes Jahr geht zu Ende. Um sechs Prozent brach die Wirtschaft ein, die Einkommen gingen sogar um durchschnittlich 15 Prozent zurück. Seit dem Beginn der Krise ist die Wirtschaftsleistung bereits um ein Fünftel geschrumpft. Zwei von drei börsennotierten Unternehmen schrieben 2012 Verluste. Allein im nordgriechischen Thessaloniki meldeten im Schnitt 20 Firmen pro Tag Insolvenz an. Landesweit gingen seit Beginn der Krise rund 90 000 Klein- und Mittelbetriebe in Konkurs. Kein westeuropäisches Land hat seit Kriegsende eine so steile und so lange wirtschaftliche Talfahrt erlebt.

Der Absturz hat verheerende Folgen für den Arbeitsmarkt. Von den elf Millionen Griechen sind nur noch 3,7 Millionen erwerbstätig. Mehr als jeder Vierte ist ohne Job, unter den bis zu 24-Jährigen sogar fast sechs von zehn. Nur jeder siebte Arbeitslose bekommt noch staatliche Unterstützung, jeder dritte Bewohner Griechenlands lebt an der Armutsschwelle oder darunter. Immer mehr Eltern müssen ihre Kinder in Heime geben, weil sie nicht mehr für sie sorgen können. Allein die SOS-Kinderdörfer in Griechenland bekamen im vergangenen Jahr rund 700 solcher Anfragen.

Jetzt geht Griechenland ins sechste Jahr der Rezession. Was bringt 2013? Ministerpräsident Antonis Samaras glaubt: „2013 wird das Jahr der Wende!“ Schon bald werde man „das Licht am Ende des Tunnels sehen“, verspricht er. Er muss so reden – sein Job ist es, den verzagten Landsleuten Hoffnung zu machen. Davon hängen die Zukunft seiner Dreiparteienkoalition und sein eigenes politisches Schicksal ab. Aber wenn er ehrlich ist, muss Samaras gestehen: Bevor es aufwärts geht, wird es erst weiter bergab gehen. Die Athener Industrie- und Handelskammer erwartet für das erste Quartal rund 36 000 neue Pleiten. Inzwischen geraten auch gesunde Firmen in den Strudel der Krise, weil die Banken ihnen die Kreditlinien für das laufende Geschäft kündigen und der Absatz einbricht. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erwartet für 2013 einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 29,3 Prozent und für 2014 sogar 31 Prozent.

Im kommenden Jahr wird Griechenlands Wirtschaft um weitere 4,2 Prozent schrumpfen, fürchtet die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Aber womöglich kommt es viel schlimmer. Denn in der Vergangenheit lagen EU und IWF mit ihren Vorhersagen stets daneben, schätzten die Entwicklung viel zu positiv ein. Womöglich auch dieses Mal: Fast sieben von zehn Griechen sind nach einer Eurobarometer-Umfrage unzufrieden mit ihrem Leben. Acht von zehn sehen ihr Land „auf dem falschen Weg“. Nur sechs von hundert glauben, dass sich die Lage in den kommenden zwölf Monaten bessern wird.

Dabei gab es gerade zum Jahresende unerwartet eine Reihe guter Nachrichten: Die Ratingagentur Standard & Poor’s stufte Athens Kreditwürdigkeit um gleich sechs Stufen herauf, die Rendite der griechischen Zehnjahresanleihe fiel daraufhin auf den tiefsten Stand seit März 2011 – die Anleger fassen wieder Vertrauen. Das demonstrieren auch Konzerne wie Unilever, Philip Morris und Royal Friesland, die in neue Produktionslinien im Land investieren. Und der Computerkonzern Hewlett-Packard macht nächstes Jahr den Hafen von Piräus zur Drehscheibe für die Verteilung seiner in Asien gefertigten Produkte nach Zentraleuropa, den Mittelmeerraum, Nahost und die GUS-Staaten. Auch Finanzminister Giannis Stournaras kann punkten: Erstmals seit Beginn der Krise wird Griechenland in diesem Jahr sein Etatdefizitziel erreichen oder sogar übertreffen: Ende November lag das Primärdefizit mit 1,4 Milliarden Euro deutlich unter der Planvorgabe von 3,5 Milliarden.

Ausruhen kann sich die Regierung von Ministerpräsident Samaras aber darauf nicht. „Lorbeeren riechen gut, verwelken aber schnell“, sagt Samaras. In den Meinungsumfragen zeigt sich das bereits. Da hat die radikal-linke Partei Syriza die seit Juni regierende konservative Nea Dimokratia (ND) auf den zweiten Platz verdrängt. Syriza-Chef Alexis Tsipras will Gehälter und Renten erhöhen, Reformen zurückdrehen, die „Knebel-Kreditverträge“ mit der EU annullieren, den Schuldendienst einstellen und 100 000 Jobs im Staatsdienst schaffen. Woher das Geld kommen soll, sagt Tsipras nicht.

Wenn ab Januar die neuen Gehalts- und Rentenkürzungen des jüngst verabschiedeten Sparpakets sowie die Steuererhöhungen greifen, könnte das Parteien wie Syriza und den Neonazis der „Goldenen Morgenröte“ noch mehr Zulauf verschaffen. Premier Samaras beteuert, seine Regierung werde die vierjährige Wahlperiode bis Mitte 2016 voll ausschöpfen. Bis dahin könnte tatsächlich die Wende geschafft sein. Aber die Frage ist nicht nur, ob die Koalition so lange hält, sondern ob das politische System intakt bleibt. Der Aufstieg der Neonazis, die in Umfragen bereits drittstärkste Partei sind, ist ein Alarmsignal. Manche Beobachter fürchten Weimarer Verhältnisse, wenn die Talfahrt anhält. Finanzminister Stournaras ist Realist. Die Gefahr eines Staatsbankrotts sei noch nicht endgültig gebannt, warnt er. Stournaras sieht 2013 als „das Jahr der Entscheidung“ – das Jahr, in dem Griechenland „es schafft oder scheitert“.

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