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Griechenlandkrise: Heulen in Athen

Griechenland steckt in der Kreditklemme: Der Lehrer kann sein Auto nicht mehr zahlen, dem Tavernenwirt fehlen Gäste – und im Nachtklub kreuzt die Steuerfahndung auf.

Sie ahnen, dass etwas Schlimmes kommt, und sie merken, dass sich etwas ändert, aber wann und was genau wird kommen? Immer neue Gerüchte kochen hoch und machen Angst: Schon im Mai werde der Staat keine Renten mehr zahlen!, werde die Regierung alle Guthaben konfiszieren!, über Nacht könne die Drachme zurückkehren!, schon seien die Scheine gedruckt!

Ein Staat trudelt dem Abgrund entgegen, und mancher Bürger fragt sich, ob wirklich jemand weiß, was wird. Die Krise könne die Chance für eine Wiedergeburt des Landes sein, macht Griechenlands Premierminister Giorgos Papandreou seinen Bürgern Mut. Aber für Loukas Papaioannou, 34, Lehrer von Beruf, bedeutet die Krise zunächst einmal 90 Euro netto weniger im Monat und Schwierigkeiten, fällige Raten zu bezahlen.

Er sitzt mit seiner Frau in der Taverna Elia in der kleinen Hafenstadt Rafina. „Die essen hier“, sagt Lambros, der Wirt, über das Paar gleich neben der Küchentür, „weil es sie nichts kostet.“ Loukas ist sein Sohn. Bis auf ihn und seine Familie bleiben die Tische im Lokal leer. Für Vater Lambros Papaioannou bedeutet die Krise, dass er 25 Prozent weniger Umsatz macht als 2009.

Und für den Nachtklubbesitzer, der sich Giannis nennt, bedeutet Krise, dass vergangenen Sonnabend die Steuerfahndung in seinem Etablissement aufkreuzte. Das war bisher nicht üblich. „Früher kannten wir die örtlichen Finanzbeamten“, sagt Giannis, der Zigarre raucht und Whisky trinkt. Jetzt seien es unbekannte Prüfer gewesen.

Unterhalb der Taverne von Lambros Papaioannous liegt der Hafen von Rafina. Hier legen die Fähren nach Andros, Tinos und Mykonos ab. Aber drei Tage lang war diesen Monat der Hafen bereits dicht, Demonstranten des kommunistischen Gewerkschaftsbundes PAME blockierten die Anleger, kein Schiff konnte auslaufen, schlimm für Touristen, aber auch für Fischer und die vielen Fährunternehmer, die die griechische Inselwelt miteinander verbinden. Die nächsten Hafenblockaden plant die Gewerkschaft für den 1. Mai. Auch das sind Reaktionen auf das angekündigte radikale Sparprogramm der Regierung, die damit Kredit- und Glaubwürdigkeit demonstrieren will gegenüber den Euro-Ländern, die aufgefordert sind, Griechenlands Schulden vorzustrecken. Dafür haben die Gewerkschaften kein Verständnis. Als „Angriff auf die allgemeinen fundamentalen sozialen Rechte“ skandalisieren sie das Sparprogramm, als „neoliberales Experiment mit der griechischen Gesellschaft“. Kommenden Mittwoch haben auch die beiden größten griechischen Gewerkschaften einen 24-stündigen Generalstreik angekündigt.

Die Gewerkschaft schreit: Neoliberales Experiment am Bürger!

„Wenn sie jetzt auch noch den Tourismus kaputtstreiken, gehen in Griechenland die Lichter aus“, fürchtet Wirt Papaioannou. Und tatsächlich sitzen in seiner romantischen Taverne gerade vier junge Leute aus Kanada, die zum ersten Mal in Griechenland sind und nie wieder kommen wollen. Dauernd Streiks und viel zu hohe Preise. Der 66-jährige Papaioannou bezieht eine Rente von 550 Euro, davon könne er nicht leben, sagt er. Deshalb führe er die Taverne weiter, „solange es geht“. Sich selbst hat Lambros nichts vorzuwerfen, aber er sagt: „Nicht nur der Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, sondern auch viele Bürger.“ Zum Beispiel sein Sohn, der Lehrer.

1400 Euro verdient der netto, und er hat sich übernommen: erst die Hypothek für die Eigentumswohnung, dann der Kredit für das neue Auto und Ende 2009 der große Flachbildfernseher. Nach Abzug der monatlichen Ratenzahlungen bleiben für ihn, seine Frau Amalia und die kleine Tochter noch 500 Euro für Lebensmittel, Strom, Telefon und Kleidung. Und jetzt wird es also noch enger, denn im April wurden die öffentlichen Gehälter gekürzt – ein Ergebnis des Sparprogramms im öffentlichen Dienst, mit dem Finanzminister Giorgos Papakonstantinou den Staatshaushalt sanieren will. „Ich würde auf das Auto verzichten“, sagt Loukas Papaioannou, „aber verkaufen kann ich es nicht – ich habe ja erst 2000 Euro abbezahlt.“

Es sitzt also nicht nur der griechische Staat in der Schuldenfalle, da sitzen auch viele Bürger. „Zu meiner Zeit gab es keine Ratenkredite“, sagt Vater Lambros, der dafür, dass sich das geändert hat, den Euro verantwortlich macht – wie auch für die ganze Finanzmisere des Landes.

Denn vor der Euro-Ära, also vor 2002, konnten die Griechen nicht nur mit Abwertungen der Drachme ihre Exporte und Tourismusdienstleistungen billiger anbieten. Zu Zeiten der inflationären Drachme waren auch Ratenkredite in Griechenland fast unbekannt. Man sparte, bekam hohe Zinsen von der Bank, und wenn man das Geld beisammenhatte, kaufte man sich eine Waschmaschine oder ein Auto.

Der Euro ermöglichte den Griechen plötzlich Wohlstand auf Pump, den sie sich zuvor nie hätten leisten können. Die Summe der Verbraucherkredite hat sich seit der Einführung des Euro von sieben auf 36 Milliarden Euro verfünffacht. Das Bruttoinlandsprodukt nahm im gleichen Zeitraum aber nur um 50 Prozent zu.

„Man hat uns die Kredite doch regelrecht aufgeschwatzt“, sagt sich Amalia Papaioannou. „Noch vergangenes Jahr bekam ich an manchen Tagen Anrufe von zwei, drei Banken, die mir günstige Darlehen und neue Kreditkarten andrehen wollten.“ Jetzt fürchtet sie, wenn das Telefon klingelt, dass die Bank die Kreditkarten zurückverlangt. Eigentlich ist ihr Mann als Lehrer unkündbar. „Aber was bedeutet das heute noch?“, fragt die junge Mutter. Sie sagt: „Langsam bekomme ich richtig Angst.“

Das griechische Luxusleben, wie es in den Euro-Ländern nun empört in rosigen Farben gemalt wird, ist so rosig in der Regel nicht. „Die Griechen fühlen sich, als müssten sie mitten im Sommer im T-Shirt durch einen Schneesturm marschieren“, sagt Schriftsteller Petros Markaris, Jahrgang 1937. Die Krise sei ein Schock – dennoch werde schleppend reagiert: „Seit sieben Monaten warten wir auf neue Steuergesetze.“ Noch immer werde gestritten, ob die Renten künftig ab 65 oder ab 67 Jahren gezahlt werden.

Ängstlich waren die Griechen nie. Das hat sich jetzt geändert

Markaris, in Istanbul geborener Grieche, ist vor allem für zeitkritische Kriminalromane bekannt. Schattenwirtschaft, Korruption, das sind die Themen seine Bestseller, die oft im Milieu einer arrivierten Linken spielen, die ihre Ideale verloren hat.

Ein gravierendes Problem sei das Fehlen einer solidarischen Zivilgesellschaft, sagt Markaris. Jeder kämpfe jetzt für sich allein: „Und die wirklich Reichen, die griechischen Reeder, die Inhaber der Schiffsgesellschaften haben bisher kein Zeichen gegeben, dass sie sich an der Rettung ihres Landes beteiligen wollen.“ Nun bedauert er vor allem das gestörte Verhältnis zwischen Griechen und Deutschen. „Die Griechen sind erbittert, dass die Deutschen so zögerlich wirken, einem Mitglied der europäischen Familie zu helfen. Europa ist nun mal eine Familie, da darf man einem vielleicht ungezogenen Kind, wenn es dazu noch krank wird, nicht die Medizin und Hilfe verweigern“, so formuliert er es.

Es passt auch nicht zusammen, dass Guido Westerwelle, um seine abgestürzten Sympathiewerte aufzupäppeln, mit populistischer Schneidigkeit Widerstand gegen die Griechenland-Kredite ankündigt, obwohl er es war, der bei seinem letzten Besuch im auch damals überschuldeten Athen der griechischen Regierung sechzig Eurofighter für fünf Milliarden Euro angeboten hat.

Dabei zeichnen die Zahlen, die das Europäische Statistikamt verbreitet, das Bild eines armen Landes. Eurostat hat errechnet, dass das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau in Griechenland bei 73 Prozent des Durchschnitts der Euro-Zone liegt. Und auch die oft zitierten Jubelrenten der Griechen sind, durch die europäische Statistikmühle gedreht, nicht mehr so schrill: Sie liegen bei 55 Prozent des Mittelwerts der EuroZone. Und auch das mittlere Renteneintrittsalter liegt im Normalbereich: Der durchschnittliche Grieche ging 2008 mit 61,4 Jahren in Rente. Der durchschnittliche Deutsche mit 61,7 Jahren.

Aber so wird das Land nicht wahrgenommen derzeit. Die Griechen reagierten empfindlich auf deutsche Häme, was erst mit den noch offenen Wunden aus dem Zweiten Weltkrieg erklärt wurde. Aber vielleicht auch Anzeichen für die sturztiefe Verunsicherung ist. Sechs von zehn Griechen, so eine Zeitungsumfrage, fürchten einen bevorstehenden Staatsbankrott. Bisher gehörte Ängstlichkeit nicht zu den ausgeprägten Befindlichkeiten in Griechenland. Man war zukunftsfroh und der Meinung, irgendwie schon alles hinzubekommen. Allzu viel Staat wollte man nicht und zahlte dafür auch nicht: Die Steuerhinterziehung wird in Griechenland auf rund 30 Milliarden Euro im Jahr beziffert, das entspricht fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Er trägt Kreuz und Rolex, über Steuern spricht er nicht

Gemeinsinn ist ein Wort, das in Griechenland nicht allzu häufig genutzt wird. Das strahlt natürlich aus. „Wir sind Individualisten“, sagt der Philosoph und Gesellschaftskritiker Nikos Dimou, als er aus dem Zentrum von Athen in seine Wohnung zurückgekehrt ist und sich auf dem Weg mal wieder gewundert hat, wie selbst im Straßenverkehr jeder nur an sich selbst denke. „Die Menschen fahren bei Rot und verkehrt herum in Einbahnstraßen“, erzählt er. „Jeder läuft über die Straße, wie es ihm gerade passt.“ Nein, ein solidarisches Volk seien sie nicht.

Von solcherlei Gedanken will Nachtklubbesitzer Giannis jedenfalls im Zusammenhang mit Steuerzahlungen nichts wissen. Denn das nicht versteuerte Geld „fließt doch auch in den Wirtschaftskreislauf zurück“, sagt er. Und klar werde auch bei ihm vielleicht manchmal Geld ausgegeben, das nicht versteuert sei. Giannis pafft eine Zigarre, Gel hält das schüttere Haar in Form. Die drei oberen Knöpfe des weißen Seidenhemds sind geöffnet. Eine Goldkette mit Kreuz ziert die gebräunte Brust. Am Handgelenk blitzt eine schwere goldene Rolex. Nach seiner eigenen Steuererklärung befragt, legt er den Kopf in den Nacken und zieht die Augenbrauen hoch, die endgültigste Art, auf Griechisch die Aussage zu verweigern.

Es ist da schon kurz vor ein Uhr Mittwoch früh, aber es verlieren sich nur ein Dutzend Gäste in den Räumen. Stimmung will nicht aufkommen, trotz der Musik und der hübschen Kellnerinnen. „Dienstag ist immer ein schwacher Tag“, sagt Giannis. Aber der Dienstag war nicht nur ein schwacher, es ist ein schwarzer Tag: Der Tag, an dem die Regierung in Athen erstmals öffentlich zugab, dass sie auf dem Kreditmarkt kein Geld mehr bekommt, und die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit Griechenlands auf Ramsch-Status herabstufte. Die Athener Börse ist um sechs Prozent abgestürzt, die Risikozuschläge für griechische Staatsanleihen sind auf ein neues Zwölfjahreshoch gestiegen. Die Schockwellen reichen bis an die Wall Street und nach Tokio. Vielleicht grübeln Giannis’ Stammkunden statt über Drinks heute lieber über ihrem Depot.

Giannis’ Bar ist im Dorf Loutsa. Vor einem der vielen Nachtlokale an der Uferpromenade parken mehrere schwere Geländewagen, darunter zwei schwarze Porsche Cayenne. Davon soll es in Athen, umgerechnet auf die Bevölkerung, mehr geben als in jeder anderen europäischen Großstadt, Monaco ausgenommen. Der Name seines Klubs soll nicht erwähnt werden, sagt Giannis, die Branche sei „sensibel“. Das erweist sich an der Parkplatzbelegung: „Vor sechs Monaten war der Parkplatz jeden Abend knallvoll, drei Parkwächter hatte ich damals“, sagt Giannis.

Von 1600 griechischen Nachklubbesitzern meldeten vergangenes Jahr 831 Betriebsverluste. Weitere 361 deklarierten Jahreseinkommen von 15 000 Euro. Kein Wunder, dass sich Steuerfahnder für die Branche interessieren. „Aber das bringt doch nichts“, sagt Giannis und verzieht die Miene. Auch Lambros Papaioannou hat am Ende des Tages schlechte Laune. Mürrisch räumt er die Tische ab. „Das war kein guter Tag“, sagt er. „Der Euro ist unser Fluch.“

Mitarbeit Katja Reimann, Andreas Schäfer, Peter von Becker

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