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Wirtschaft: Große Koalition hält am Atomausstieg fest

Union rückt von der Forderung nach längeren Laufzeiten für Kernkraftwerke ab – auch die Industrie bestätigt Energiekonsens

Berlin - Der Atomausstieg wird auch unter der geplanten großen Koalition Bestand haben. Das jedenfalls ist aus beiden Fraktionen zu hören. So rückt die Union von ihrer Forderung nach längeren Laufzeiten für Kernkraftwerke inzwischen ab. „Das ist kein Feld für unnötige Auseinandersetzungen“, sagte der CDU-Atomexperte Jens Spahn dem Tagesspiegel. „Längere Laufzeiten sind nicht das drängendste Problem im Land.“

Auch SPD-Umweltexperte Hermann Scheer sieht den Atomausstieg nicht als Streitpunkt. „Das Verhandlungsstadium ist in dieser Frage zwar noch nicht erreicht“, sagte er. „Aber das Thema wird auch nicht besonders heftig diskutiert werden.“ Die Energiewirtschaft hatte die Idee längerer Laufzeiten ohnehin nur sehr zurückhaltend aufgenommen.

Zusammen mit den Grünen hatte die SPD die Laufzeiten der Kernkraftwerke im so genannten Atomkonsens mit der Energiewirtschaft begrenzt. Das letzte Kraftwerk, Neckarwestheim, soll demnach im Jahr 2021 vom Netz gehen. Die Union hatte diese politisch festgelegte Grenze stets kritisiert. Im Wahlkampf plädierte sie dafür, die Laufzeiten wieder zu verlängern – vorausgesetzt, es sprächen keine Sicherheitsbedenken dagegen.

Offiziell steht noch nicht fest, welche Linie sich in einer großen Koalition durchsetzt, wenn die am Montag beginnenden Koalitionsverhandlungen erfolgreich sind. Aber eine wichtige Vorentscheidung deutet bereits auf einen Verhandlungserfolg der Sozialdemokraten hin: So soll der Bereich Atomaufsicht im Umweltministerium angesiedelt bleiben, und das wird künftig von Sigmar Gabriel (SPD) geleitet. Eine Zusammenarbeit mit Gabriel kann sich die Union gut vorstellen. „Natürlich ist er ein Kernkraftgegner“, sagte CDU-Umweltexperte Klaus Lippold dieser Zeitung. „Aber er ist auch ein pragmatischer Mensch.“ Vorerst will die Union zwar an einer Verlängerung der Laufzeiten festhalten. „Warum sollten wir etwas Vernünftiges vom Tisch nehmen?“, sagte Lippold.

Bei seinem Parteifreund Spahn hört sich das schon ganz anders an: „Ich sehe nicht ein, die Laufzeiten zu verlängern, nur damit die Energiekonzerne noch höhere Gewinne einfahren.“ Allerdings erwartet Spahn auch unter einem Umweltminister Gabriel die weitere Erkundung des möglichen Endlagers Gorleben. „Wenn erst einmal ein Endlager gefunden ist, haben wir schon einiges gewonnen.“

Einer der Architekten des Atomausstiegs, der damalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), heute Vorstandschef des RAG-Konzerns, sieht eine Rücknahme des Atomkonsenses nicht als drängendes Thema. „Mit und ohne einen solchen Vertrag zur Gestaltung der Kernenergienutzung bleibt Deutschland immer auf einem Ausstiegskurs. Denn wenn nichts Neues gebaut wird, sind Sie irgendwann definitiv ausgestiegen“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Den Neubau von Kernkraftwerken wolle aber niemand in Deutschland, „auch die Stromwirtschaft nicht“. Das letzte Kernkraftwerk in Deutschland sei vor mehr als 25 Jahren bestellt worden. „Da können Sie ein noch so flammender Befürworter der Kernenergie sein, der Ausstieg ist leider programmiert“, sagte Müller.

Erst auf längere Sicht werde sich das wieder ändern. „Die Entwicklung der Kernenergie in anderen Regionen der Welt geht weiter, oftmals auf Basis deutscher Forschungsergebnisse“, sagte der RAG-Chef. „Die Kernenergie werde in einigen Jahrzehnten nach Deutschland zurückkommen – mit Reaktoren, die es im Ausland dann schon lange gibt.“

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