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Wie geht's? Tierhaltung ist ein großes Thema auf der Messe.

© Jensen/ dpa

Grüne Woche: Die Bauern klagen ihr Leid

Graue Woche: Deutschlands Bauern geht es schlecht. Zum Auftakt der Agrarmesse in Berlin mahnen Verbraucher- und Umweltschützer, ein Strategiewandel müsse her.

Von Maris Hubschmid

Berlin - Gedrückte Stimmung zum Auftakt der Grünen Woche: Ein schlimmes Jahr für die Landwirte – das war 2015 laut Bauernpräsident Joachim Rukwied. „Und die Aussichten sind nach wie vor trüb“, erklärte er am Mittwoch bei der traditionellen Eröffnungs-Pressekonferenz unterm Funkturm.

Da wäre zum einen der andauernde Handelsstreit mit Russland, das erstmalig die Messe-Teilnahme aussetzt. Das Land sei für Deutschlands Bauern der größte ausländische Abnehmer nach der Schweiz und den USA gewesen – mit einem Exportvolumen von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. „Dieser Markt ist weggebrochen, und damit insgesamt 500 bis 600 Millionen Euro Einkommen für unsere Landwirte“, sagte Rukwied. Hinzu komme der anhaltende Preisverfall, bestimmt durch die internationalen Börsen und Druck des Handels – „die Landwirte bekommen für ihre Produkte immer weniger Geld.“

Infolgedessen hätten etliche Bauern Liquiditätsprobleme. „Einigen tausend“ Betrieben habe der Verband zu Finanzhilfen verholfen, und trotzdem nicht verhindern können, dass vier Prozent aller deutschen Milchbauern im vergangenen Jahr aufgegeben hätten. Bei den Ferkelzüchtern seien es sogar sechs Prozent. Das monatliche Einkommen pro Arbeitskraft liegt in der Branche dem Verband nach bei durchschnittlich 1100 Euro brutto. „Bauernfamilien müssen 2016 mit einem weiteren Einkommensrückgang von 20 bis 30 Prozent rechnen“, sagte Rukwied.

Knapp die Hälfte der Deutschen kocht so gut wie nie

Auch die Lebensmittelindustrie habe 2015 das schlechteste Ergebnis seit 2011 eingefahren, verkündete Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Der Umsatz betrug mit 166,3 Milliarden Euro gut 3,4 Prozent weniger als im Vorjahr. „2,2 Prozent Preisverfall, 1,1 Prozent geringere Absatzmenge.“ Der Verbandschef urteilt: „National werden wir diese Probleme nicht lösen können.“ Er appellierte deshalb an die Politik, sich dafür einzusetzen, dass die Exportbeschränkungen bald aufgehoben werden.

Auch im Inland gibt es den Herstellern zufolge jedoch großen Handlungsbedarf. Das Essverhalten der Bundesbürger habe sich stark verändert, sagte Minhoff – nur noch vier von zehn Kindern äßen mittags zuhause. „42 Prozent der Verbraucher kochen so gut wie nie.“ Der Umsatz mit Fertiggerichten habe sich binnen drei Jahren fast verdreifacht. „Wir brauchen wieder mehr Wertschätzung für Lebensmittel.“

Laut BVE achten gleichzeitig jedoch immer mehr Verbraucher darauf, „was sie essen“. Nicht nur die Nachfrage nach Bio-Produkten steigt, auch der Umsatz mit Fleischersatz- und laktosefreien Produkten legte binnen drei Jahren um 88 beziehungsweise 93 Prozent zu. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) bescheinigt den Konsumenten ebenfalls ein großes Qualitätsbewusstsein – einer von ihm in Auftrag gegebenen Umfrage der Marketingberatung Zühlsdorf und Partner zufolge ist nur einem Prozent aller Käufer Tierschutz egal. 68 Prozent dagegen finden ihn in der Landwirtschaft wichtig oder sehr wichtig. „Bloß sieben Prozent der Bevölkerung sind völlig preisorientiert“, erklärte Studienleiter Achim Spiller am Mittwoch. „Damit geht die Strategie der Produzenten am Interesse der Konsumenten vorbei“, konstatierte Klaus Müller, Vorstand des VZBV. „Die Gruppe der Schnäppchenjäger, die wegen eines Sonderangebots einen Händler aufsucht, ist weit kleiner als die Kernzielgruppe für Tierschutzprodukte.“

Verbraucher würden mehr für Tierschutz zahlen

Der repräsentativen Umfrage zufolge würden zwei Drittel der Konsumenten mehr für Fleisch zahlen, wenn sie sicher wären, dass sich dadurch die Haltung verbessert. So sind sie den Angaben nach bereit, für 500 Gramm Schnitzel mit Tierschutzlabel 4,15 Euro auszugeben – also 39 Prozent mehr als für herkömmlich erzeugtes Fleisch (2,99 Euro). Die meisten wüssten aber nicht, woran man Produkte aus artgerechter Haltung erkennt, sagte Müller. „Es fehlt an Orientierung und Verfügbarkeit.“ Das Tierschutzlabel sei im Handel zu selten zu sehen, die Tierwohlinitiative gehe nicht weit genug. 86 Prozent der Verbraucher fiel auf Nachfrage auch gar kein Tierschutzlabel ein. Der VZBV fordert deshalb ein nationales, staatliches Label statt diverser Einzelinitiativen.

Die Erzeuger müssten umdenken. „Sie sollten stärker auf Qualität setzen“, appellierte Müller. Bislang verbänden Verbraucher Tierschutz vor allem mit Bio, doch nicht alle könnten sich Bioprodukte leisten. „Es gibt aber eine breite Zielgruppe zwischen Bio und Billigfleisch“, ist er überzeugt.

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) mahnte zum Auftakt der Messe indes, sich der anderen Aspekte des ökologischen Landbaus stärker bewusst zu werden. Er warb für eine verstärkte Förderung nachhaltiger Produktionsmethoden mit Verzicht auf Chemikalien. Dass im Klimavertrag von Paris das Wort Landwirtschaft nicht vorkomme, sagte der Vorstandsvorsitzende Felix zu Löwenstein, sei schockierend.

Die Grüne Woche begeht 2016 ihr 90-jähriges Jubiläum. Deutschlands Brauer feiern 500 Jahre Reinheitsgebot. Die Ausstellungsfläche ist diesmal jedoch kleiner als zuletzt: Parallel öffnet auf dem Gelände die Fashion Week ihre Tore. Begleitend zur Grünen Woche reisen rund 70 Landwirtschaftsminister zum Gipfeltreffen an. Messechef Christian Göke nannte die Grüne Woche „das Davos der Agrarindustrie“.

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