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Wirtschaft: Gut versorgt

Berlins Logistikzentren entwickeln sich zu einem Warenumschlagplatz von überregionaler Bedeutung

Die Entwicklung der Logistikbranche in der Hauptstadtregion gilt heute als Erfolgsgeschichte – aber Rüdiger Hage erinnert sich noch genau daran, dass dies nicht immer so war. Als die drei großen Güterverkehrszentren (GVZ) im Berliner Umland geplant wurden, prophezeiten viele Experten einen Misserfolg. Zahlreiche Logistiker hätten sich doch längst auf der „Grünen Wiese“ angesiedelt, hieß es, als Mitte der 90er Jahre erste Erschließungsarbeiten begannen. „Jetzt sind die GVZ ein Vorzeigeprojekt“, freut sich der Chef der Betreiberfirma Infrastruktur- und Projektentwicklungsgesellschaft mbH (IPG) Potsdam. Politiker loben die Logistiker nun sehr gerne. „Der Erfolg hat viele Väter“, sagt Hage, wohl leicht ironisch.

Und das Wachstum hält an. Am Montag wurde im „GVZ Berlin Süd“ in Großbeeren das Richtfest für ein neues Logistikzentrum gefeiert. Das größte Güterverkehrszentrum der Region liegt fünf Kilometer südlich von Tempelhof, mehr als 100 Firmen haben auf 150 Hektar Fläche etwa 4000 Jobs geschaffen. Der auf Online-Business spezialisierte Logistikdienstleister „docdata“ will den Neubau im Herbst beziehen und seine Mitarbeiterzahl in Großbeeren bis Mitte 2011 von 170 auf bis zu 350 steigern. Das Unternehmen arbeitet für Web-Shops wie „brands4friends“, den Schuhversand zalando oder die Internet-Buchhandlung BOL, für Audi und für den Schreibwarenhersteller Pelikan. Rund zehn Millionen Euro investiert der Bauherr, die Alcaro Invest GmbH. Gleichzeitig beschäftigt sich die Gemeindeverwaltung Großbeeren mit einem Planungsverfahren für die Vergrößerung des Güterverkehrszentrums um 75 Hektar. Durch die Erweiterung könnten bis zu 2000 Arbeitsplätze innerhalb der kommenden drei Jahre hinzukommen, schätzt Hage.

In einzelnen Logistikunternehmen und Speditionen gibt es durch die Wirtschaftskrise zwar Umsatzrückgänge um bis zu 20 Prozent und Kurzarbeit, insgesamt blieben die Auswirkungen auf die Branche aber gering. Denn in und um Berlin bedienen die Transporteure hauptsächlich Handelsbetriebe und nur wenige Industriekunden. „Gegessen wird ja immer“, sagt Geschäftsführer Klaus-Dieter Martens vom Verband Verkehr und Logistik Berlin-Brandenburg. In Großbeeren baut auch der Lebensmittel-Großhändler Lekkerland zurzeit ein neues Logistikzentrum, das in diesem Jahr öffnen soll. Viele weitere Lebensmittelhändler – darunter Aldi, Lidl und der Getränkelogistiker Trinks – liefern ihre Waren bereits von dort nach Berlin. Auch in den zwei anderen GVZ um Berlin gehören Lebensmittelketten zu den Großmietern: Netto zum Beispiel hat sich in Wustermark angesiedelt und Edeka in Freienbrink.

Es geht aber nicht nur um die Versorgung der Hauptstadt. Über die „Ostwind“-Linie kommen in Großbeeren Waggons aus 20 deutschen Bahnhöfen an, die neu zusammengekoppelt werden und Richtung Osten fahren – darunter nach Polen, Russland und in die Mongolei. Außerdem gelangen Container aus aller Welt, die in den Häfen von Bremen, Bremerhaven und Hamburg verladen werden, mit dem „Albatros-Express“ per Bahn nach Großbeeren. Den Großteil aller Transporte übernehmen allerdings weiterhin Lkw, denn der Güter-Schienenverkehr gilt unter Fachleuten als unflexibel. Es dauere zum Beispiel „erschreckend lange“, einzelne Waggons im komplizierten Netz der Deutschen Bahn auf die Gleise zu bringen, sagt Joachim Gollnick, Marketing- und Vertriebschef der IPG Potsdam.

Aus Sicht der Berliner Wirtschaftsverwaltung gehören die „leistungsfähige und effiziente Logistik“ und die gute Erreichbarkeit von Gewerbestandorten in der Stadt zu den wichtigsten Standortfaktoren für die Industrie und Dienstleister. „Vor dem Hintergrund weiter wachsender Spezialisierung und Arbeitsteilung im globalen Maßstab“ werde die Nachfrage nach Logistikleistungen weiter wachsen, sagt Sprecher Stephan Schulz. Außerdem erhalte die Branche durch den künftigen Flughafen BBI in Schönefeld einen Schub – das gelte besonders für Standorte im Süden wie den Technologiepark Adlershof. Im Berliner Norden, etwa in Reinickendorf, befürchten Politiker eine Abwanderung von Betrieben nach der Schließung des Flughafens Tegel. Die Wirtschaftsverwaltung sieht diese Tendenz bisher jedoch nicht, außer bei Firmen mit „speziell flughafenbezogener Tätigkeit“.

Auf dem Tegeler Borsiggelände geschieht zurzeit sogar das Gegenteil. Am Ufer des Tegeler Sees wurde ein Lager, das der Bürowarenhersteller Herlitz ab 1990 aufgebaut hatte, im März zum Gewerbe- und Logistikpark „Dock 100“ mit Kunden aus verschiedenen Branchen. Zur Anlage gehören ein automatisches Hochregallager mit 71 000 Palettenplätzen und weitere 50 000 Quadratmeter Logistikfläche. Hinzu kommen ein „Factory Dock“ mit Räumen für produzierendes Gewerbe und ein „Office Dock“ mit Büros. Dortige Mieter könnten an dem „multifunktionalen Wirtschaftsstandort“ von der Nachbarschaft zum Versandzentrum profitieren, wirbt die Betreiberfirma. Sie ist eine eigenständige Tochter von Herlitz beziehungsweise des Schreibgeräteproduzenten Pelikan, der den insolventen Berliner Konzern übernommen hat.

„Dock 100“-Chef Andreas Schulz lobt die „günstige Verkehrsanbindung mit S- und U-Bahnstationen sowie eigenem Autobahnzubringer“. Der Flughafen Tegel, der wegen der Bauverzögerungen beim Airport BBI mindestens bis Mitte 2012 geöffnet bleibt, sei für ihn und seine Kundschaft dagegen gar nicht so wichtig.

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