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Wirtschaft: Hand in Hand in den Vorruhestand

Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist die Frührente lukrativ – deshalb hören viele vor 65 auf zu arbeiten

Von Flora Wisdorff

Mit 67 nach Mallorca reisen, seinen Hobbys nachgehen und sich einfach von mehreren Dekaden harter Arbeit erholen, ist für Bert Rürup ein Tabu. „Das Renteneintrittsalter muss von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt werden“, fordert der Ökonom, der der Kommission zu Reform des Renten- und Gesundheitssystems vorsitzt. Der Vorschlag fand viel Anklang: die Präsidenten der Arbeitgeberverbände schlossen sich der Forderung an, das Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn pocht gar auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis auf 70 Jahre innerhalb der kommenden zwei Jahrzehnte.

Die Argumentation klingt plausibel: schließlich werden die Deutschen immer älter und bekommen gleichzeitig weniger Kinder. Da in unserem umlagefinanzierten Rentensystem die Jungen für die Alten zahlen, wird das System extrem belastet. „Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit um drei Jahre würde die Beitragssätze um 0,8 Prozentpunkte entlasten“, heißt es beim der Verband der Rentenversicherungsträger (VDR). Allerdings ist es fraglich, ob man direkt bei der Altersgrenze ansetzen sollte. „Zunächst muss man das tatsächliche Renteneintrittsalter auf 63 erhöhen, bevor man über 67 oder 70 Jahre nachdenkt“, sagt Ulrike Wahl, Rentenexpertin vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn.

Tatsächlich geht der Durchschnittsrentner schon mit 60,5 Jahren in Rente. Und das wird vom Staat gefördert. „Die vom Staat geschaffenen Anreize machen den Vorruhestand für Arbeitnehmer und Arbeitgeber lukrativ“, sagt Hilmar Schneider, Direktor beim Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Die Arbeitgeber stimmen zu: „Beide arbeiten dabei Hand in Hand“, sagt Rentenexperte Volker Hansen vom Bundesverband der deutschen Arbeitgeber (BDA). „Für die Unternehmen sind Konzepte wie die Altersteilzeit ein Anreiz, um die Älteren in die Frührente zu entlassen“, sagt Hansen.

Betriebe nutzen Altersteilzeit

„Wir haben bei uns Altersteilzeit eingeführt, anstatt betriebsbedingt zu kündigen“, sagt eine Sprecherin von RWE. Der Energiekonzern will 7000 Mitarbeiter ab 51 Jahren in den Vorruhestand schicken. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beschäftigt jedes zweite Unternehmen in Deutschland keine Arbeitnehmer, die über 50 Jahre alt sind.

Den Arbeitnehmern geht es ihrerseits offensichtlich finanziell so gut, dass sie die im Zuge der Rentenreformen eingeführten Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat, die sie bei einem früheren Renteneintritt hinnehmen müssen, nicht als Hindernis sehen, um früher mit dem Arbeiten aufzuhören. Eine Umfrage des Forschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der Marseille Kliniken unter den über 55-Jährigen hat ergeben, dass 55 Prozent der Befragten der Meinung sind, sie hätten „gut vorgesorgt“. Die zusätzlichen Abfindungen, die die Unternehmen den Frührentnern oft zahlen, machen die Abschläge erträglicher. Etwa jeder dritte Altersrentner, der 2001 in Rente gegangen ist, habe Rentenabschläge hingenommen, gab der Verband der Rentenversicherungsträger bekannt. Ein Großteil davon sind die verfrühten Altersrenten nach Arbeitslosigkeit und Altersteilzeit sowie für Frauen und langjährig Versicherte.

Zwar ist dieses Vorziehen der Altersrente auf bestimmte Jahrgänge eingeschränkt worden. Dagegen wurde aber gerade mit dem Hartz-Konzept ein weiteres Element eingeführt, das den Trend zur Frühverrentung fördert. Damit können Arbeitnehmer, die nicht mehr arbeiten wollen, ein „Brückengeld“ für den Übergang in die Rente beziehen. Die Wissenschaftler fordern mehr als nur das Auslaufen der vorgezogenen Altersrenten. „Die Abschläge bei der Frührente müssen so erhöht werden, dass der Anreiz, bis 65 zu arbeiten, auch wirklich besteht“, sagt Schneider. Das Brückengeld sei ein Schritt in die falsche Richtung.

Während Schneider aber wie Rürup fordert, die Altersgrenze heraufzusetzen, plädieren andere dafür, zunächst tatsächlich auf 65 zu kommen. „Diese Diskrepanz sollte man vor einer Anhebung der Grenze zunächst beseitigen“, sagt Franz Ruland, Chef der Rentenversicherungsträger. Auch Rentenexpertin Ulrike Wahl ist dagegen: „Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist das eine Illusion“, sagt sie.

Auch den Blickpunkt der Gewerkschaften müsse man berücksichtigen, meint Wahl. Bei schwerer körperlicher Arbeit könne man nicht erwarten, dass jemand bis 65 arbeite. „Damit das in Frage kommt, müssen die Betriebe viel mehr Geld in die Weiterbildung investieren, damit die Älteren andere Arbeitsplätze besetzen können“, sagt Judith Kerschbaumer von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Man könne auch von einer Verkäuferin in dem Alter nicht erwarten, dass sie mit 63 noch Kisten schleppe. Langfristig werden die Betriebe die Älteren brauchen, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge kommen. „Das muss den Betrieben klar gemacht werden“, sagt Hansen.

Rot-Grün jedenfalls lehnt ein höheres Renteneintrittsalters bisher ab. „Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt sind die Bedingungen nicht gegeben“, sagte ein Sprecher.

Flora Wisdorff

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