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Wirtschaft: Handel durch Annäherung

Die Entwicklungsländer wollen endlich einen größeren Anteil am weltweiten Wohlstand – doch die Industrienationen verlangen Gegenleistungen

WTO-KONFERENZ IN CANCÚN – STREIT UM OFFENE MÄRKTE UND GERECHTIGKEIT

Von C. Brönstrup, D. Dehmer

und F. Wisdorff

Für Straßenschlachten ist die Stadt eigentlich viel zu schön. Weiße Strände, türkisblaues Wasser, Sonnenschein, 27 Grad Durchschnittstemperatur im Sommer – Cancún, das ehemalige Fischerdörfchen an der mexikanischen Ostküste, ist ein Ferienparadies. Doch die Besucher, die dieser Tage anreisen, haben mit Planschen, Party und Pina Colada nicht viel im Sinn. Die einen, mehrere hundert Delegierte und Minister, werden versuchen, dem Welthandel auf die Sprünge zu helfen. Die anderen, bis zu 150000 Bauern, Umweltaktivisten und Globalisierungsgegner, wollen genau dies verhindern.

Es steht eine Menge auf dem Spiel bei dieser Welthandelskonferenz, die am Mittwoch beginnt. 146 Staaten wollen über den Abbau von Zöllen, Subventionen und Handelsschranken reden. Das Thema ist brisant – es geht um Wohlstand, Einfluss und Gerechtigkeit, um das Wachstum in den reichen Ländern und die Entwicklungschancen der armen. Denn auch im Zeitalter der Globalisierung stehen Unternehmen und Arbeitern an den Landesgrenzen noch immer Hürden im Weg: Die USA, Japan und die Europäische Union alimentieren allein ihre Bauern mit 300 Milliarden Dollar im Jahr. Mit Zöllen und Ausfuhrbeihilfen verhindern sie, dass ärmere Staaten wie Bangladesch ihren preiswerter hergestellten Reis exportieren können. Aber auch die Entwicklungsländer schotten sich ab: So liegt der Durchschnittszoll auf Agrarimporte in Indien bei 41 Prozent.

Doch es geht nicht nur um die Bauern. Die Industriestaaten drängen die Entwicklungsländer, ihre Grenzen für Dienstleistungen zu öffnen. Daneben geht es um den Austausch hochwertiger Güter, um den Abbau von Zollbürokratie, um den Schutz von Investitionen, um die Umwelt, die Gültigkeit von Patenten und die schlichte Frage, ob allein Schinken aus Parma als Parmaschinken bezeichnet werden darf.

WTO-Vertrag als Konjunkturmotor

Alles hängt an einer Einigung bei der Landwirtschaft. Ohne die wollen die Entwicklungsländer alle anderen Punkte blockieren. Doch das wird nicht passieren, hoffen Fachleute. „Die Länder haben sich akribisch vorbereitet, deshalb wird der Freihandel in Cancún ein Stück vorankommen“, sagt Jagdish Bhagwati, Handelsökonom an der Columbia University in New York. Allein die Globalisierungskritiker könnten dem im Weg stehen, fürchtet er und kritisiert die Protest-Parolen. „Das Gerede von den bösen Industrieländern und den armen Entwicklungsländern ist Quatsch.“ Die armen Länder schotteten ihre Märkte viel stärker ab. „Ich fürchte, dass viele Nicht-Regierungsorganisationen in puncto Welthandel keine Ahnung haben und mit ihren Parolen für Legendenbildung sorgen. Und viele junge Leute glauben es – das schürt die Proteste", kritisiert Bhagwati.

Dabei wäre eine Einigung auf einen neuen WTO-Vertrag wichtig: Sie könnte der Weltkonjunktur auf die Sprünge helfen, haben Experten der Universität Michigan ausgerechnet. Würde ein Drittel der Handelsschranken abgebaut, könnte das Exportvolumen um 600 Milliarden Dollar zunehmen, glauben sie. Für Deutschland könnten 30 Milliarden Dollar abfallen, hofft der Industrieverband BDI. Auch die Bürger könnten vom Abbau der Subventionen profitieren – sie kosten den Durchschnittshaushalt in der EU, in Japan und den USA mehr als 1000 Dollar pro Jahr, sagt die Weltbank. Zudem würden Lebensmittel im Supermarkt billiger. Und auch die armen Länder würden profitieren: „Eine Reform der globalen Agrarhandelspolitik hat vielleicht am schnellsten Aussicht, den Lebensstandard von Millionen von armen Menschen zu heben“, sagt Horst Köhler, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Das ist leichter gesagt als getan. Denn die Industrieländer bauen nicht selbstlos ihre Subventionen ab, sondern verlangen Gegenleistungen. „Unilaterale Entwaffnung gibt es nicht“, beschied EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler jüngst den WTO-Partnern.

Außerdem bringt Freihandel oft nur in der Theorie mehr Wohlstand. In der Realität werden die armen Länder oft von der wirtschaftlichen Macht der Industriestaaten erdrückt, wenn sie ihre Grenzen öffnen. So leiden mexikanische Maisbauern unter einem massiven Preisverfall, seit ihr Land 1994 ein Freihandelsabkommen mit den USA schloss. Dort wird Mais hoch subventioniert – das arme Mexiko kann nicht mithalten.

Der Aufstand der Armen gegen die Reichen wird in Cancún gleichwohl ausbleiben. Dazu sind die Interessen der Entwicklungsländer zu unterschiedlich. Brasilien als Agrarexporteur mit seinen Zuckerplantagen hat andere Sorgen als Paraguay oder Guatemala, wo die Erzeugnisse allenfalls den Eigenbedarf decken. Zudem operieren die Mächtigen bei den Verhandlungen mitunter mit Tricks – da wird schon einmal mit der Einstellung von Entwicklungsprogrammen gedroht, wenn ein Land zu selbstbewusste Forderungen stellt.

Weil es ohnehin schwierig ist, die Interessen aller 146 WTO-Mitglieder unter einen Hut zu bekommen, wächst die Zahl der bilateralen Handelsabkommen, die direkt zwischen zwei Staaten geschlossen werden – oft auch zwischen sehr starken und sehr schwachen Partnern. Und es gibt immer mehr Freihandelszonen: Die EU wächst in wenigen Monaten um zehn Mitglieder, der Asean-Verbund wirbt um neue Mitglieder, und in Amerika soll es bis 2005 eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland geben.

So wird die Kraft der WTO geschwächt, fürchten Kritiker. Das dürfte auch die Globalisierungskritiker interessieren. Dieses Mal kündigen sie noch ein Großaufgebot von Demonstranten an. Ob auch zum nächsten WTO-Treffen mehrere zehntausend Teilnehmer kommen, ist fraglich. Dann könnte sich das Feindbild WTO mangels Macht erledigt haben.

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