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Wirtschaft: „Handwerker ticken anders“

Der Präsident der Berliner Handwerkskammer, Stephan Schwarz, über das Wesen des Handwerks und die EU-Erweiterung

Drei Tage hatte Stephan Schwarz Zeit, um sich zu entscheiden. Die drei Tage nach dem Tod seines Vaters bei einem Flugzeugabsturz. Schwarz entschied sich – gegen die geplante Laufbahn als Historiker und für den elterlichen Betrieb. Seit diesem Tag war klar, Stephan Schwarz würde die Familientradition fortsetzen und das Berliner Reinigungsunternehmen weiterführen. Als Kind hatte er über dem Betrieb in der Reinickendorfer Markstraße gewohnt und seinem Vater häufig die Frühstücksbrötchen nach unten ins Büro gebracht. Doch dann wollte sich der Mann von der „Familientradition frei machen“ und studierte Philosophie und Geschichtswissenschaften. An der Sorbonne in Paris hat er sein Studium abgeschlossen, dann arbeitete er in einem Verlag.

Mit 37 schon Präsident

Seit April ist Schwarz Präsident der Handwerkskammer in Berlin und sagt, dass Handwerker anders ticken als andere Menschen. Sie hätten einfach einen anderen Bezug zu den Menschen. Weil sie enger miteinander arbeiten. „Nun ja, ich selbst habe jetzt 2300 Mitarbeiter.“ Mit dieser Größe ist das Familienunternehmen GRG, die Großberliner Reinigungsgesellschaft, die es seit 1920 gibt, eigentlich kein typischer Handwerksbetrieb mehr. Aber auch sonst fällt der Reinigungsunternehmer Schwarz aus dem Rahmen. Präsident der Kammer ist er geworden, ohne je einen Meister oder eine Ausbildung gemacht zu haben. Dennoch bat man ihn, nach dem langjährigen Kammerpräsidenten Hans-Dieter Blaese das Amt zu übernehmen. Da war es gut, dass Schwarz in seinem Betrieb schon Führungserfahrung gesammelt hatte, und „lieber mit Menschen arbeitet, als in Archiven zu kramen“.

In seinem lichten Kammerbüro in der Kreuzberger Blücherstraße arbeitet Schwarz durchschnittlich anderthalb Tage in der Woche. Dort beschäftigt er sich zum Beispiel mit der EU-Erweiterung im Mai 2004. Die sei lange als Bedrohung für das Handwerk gesehen worden, aber sie böte auch viele Chancen. „Man muss das Lohnniveau Polens mit der Qualifikation deutscher Handwerksbetriebe koppeln.“ Die Kammer biete schon jetzt eine Unternehmerreise nach Polen und Seminare für den kulturellen Austausch an. Vielleicht werde sich die Situation mit der Schwarzarbeit sogar entschärfen, wenn sich die Löhne angleichen zwischen Deutschland und Polen. Die Gesellenstunde jenseits der Grenze koste drei Euro, diesseits sind es 15 Euro. Dafür könnten die Polen etwas Qualifikation gebrauchen. Niemand kenne sich nämlich dort aus mit der ein- und zweistufigen Wischtechnik oder der Reinstraumreinigung.

Schwarz ist das Jammern Leid geworden. „Ich will auf keinen Fall in die Rolle des Bewahrers und Verweigerers geraten“. Er war froh, dass er in diesem Herbst leidlich gute Nachrichten verkünden konnte: „Die Dynamik der Abwärtsbewegung ist gestoppt.“ In Berlin gab es 370 Existenzgründungen mehr als im Vorjahr. Trotzdem, die Auftragslage ist schlecht. „Berlin ist eine kreative Stadt – und diese Kreativität macht auch vor dem Handwerk nicht halt.“ In so einer Situation muss man sich an besonders herausragenden Beispielen festhalten. An einem Metallbetrieb in einem Neuköllner Hinterhof zum Beispiel, der seine innovativen Regalsysteme inzwischen in die ganze Welt liefert. Oder an einer Friseurmeisterin, die nun als Ich-AG mit dem Auto ihre meist älteren Kunden besucht. Kleine Schritte wie diese sind es, die die Hoffnung erhalten.

Schwarz hofft für das nächste Jahr auf eine Stabilisierung der Situation. Dabei weiß er, dass das Handwerk für die Bundespolitik nur einer von vielen Tagesordnungspunkten ist. Kaum ein Politiker kenne die prekäre Lage der Handwerksbetriebe, dennoch mussten Bundestag und Bundesrat jetzt über die Reform der Handwerksordnung entscheiden (siehe Kasten).

Manchmal flüchtet sich der Handwerkspräsident noch in Montaignes Essays. Und vergewissert sich, dass sein Geschichtsstudium keine verlorene Zeit war. Es ging damals darum, „komplexe Zusammenhänge auf einfache Dinge zu reduzieren“ – und nichts anderes mache er ja im Prinzip immer noch, wenn er mit den Politikern in Sachen Handwerk spricht. Schwarz, selbst erst 37 Jahre alt, ist angetreten, die Handwerksordnung ein bisschen zu entstauben, obwohl er auf den Meister selbst nichts kommen lässt. Aber die lange Wartezeit zur Meisterprüfung zum Beispiel oder die Inhalte in deren Lehrgängen könnten durchaus überarbeitet werden, meint Schwarz. Genug Stoff für die nächsten Jahre als Präsident.

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