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„Das ganz große Wunschkonzert“ spiele die große Koalition, kritisiert Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer. Der heute 58-Jährige wollte eigentlich Architekt werden. Nach dem frühen Tod des Vaters musste er als 21-Jähriger aber dessen Maler- und Lackierbetrieb in Hürth bei Köln übernehmen. Er baute den Betrieb von drei auf rund 100 Beschäftigte aus und verkaufte ihn 2009. Seit Anfang des Jahres 2014 ist Wollseifer Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, einer der wichtigsten Wirtschaftsverbände. Rund eine Million Betriebe im Land beschäftigen mehr als fünf Millionen Lehrlinge, Gesellen und Meister. Wollseifer führt zudem die Handwerkskammer Köln – als erster Nicht-Kölner seit 110 Jahren.

© Alice Epp

Handwerkspräsident Wollseifer: "Mindestlohn und Rentenpaket machen uns das Leben schwer"

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer über die Rente mit 63, die Nachwuchssorgen im Handwerk, den Mindestlohn und die Eneregiewende.

Herr Wollseifer, ausgerechnet eine konservativ geführte Regierung plündert die Sozialkassen und erhöht die Löhne. Hätten Sie sich das vor ein paar Monaten träumen lassen?

Anscheinend spielt die große Koalition das große Wunschkonzert. Viele Töne klingen jedoch falsch. Vor allem in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Früher war die Union Ihr traditioneller Verbündeter. Das hat sich wohl geändert.

Die große Koalition hält es offenbar nicht für nötig, auf die Sorgen kleiner und mittlerer Betriebe einzugehen. Wir hoffen nun, dass im parlamentarischen Verfahren bei den Gesetzesvorhaben noch das Schlimmste abgewendet wird.

Was kommt auf das Handwerk zu?

Vor allem der Mindestlohn und das Rentenpaket werden uns das Leben schwer machen. Die Rente mit 63 ist eine ungerechte Klientelpolitik – nur die Jahrgänge von 1950 bis 1963 werden begünstigt, alle anderen zahlen drauf. Die Jungen müssen länger arbeiten, höhere Beiträge zahlen und bekommen weniger Rente. Die Rentenerhöhungen werden kleiner ausfallen.

Norbert Blüm wollte mit Frühverrentungen in den Betrieben Platz schaffen für junge Leute.

Heute brauchen wir die Älteren in den Betrieben. Es gibt weniger Schulabgänger und Berufsanfänger, vielerorts fehlen uns Fachkräfte. Da können wir auf niemanden verzichten. 400 000 Beschäftigte im Handwerk sind älter als 60. Wenn nur jeder Fünfte davon mit 63 ausscheidet, stehen unsere Firmen vor großen Engpässen.

Sie sagen 25 000 neue Jobs im Handwerk für dieses Jahr voraus. Ist das in Gefahr?

Ja. Denn wenn die Beschäftigung steigen soll, müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Davon kann aber nicht die Rede sein. Angesichts der steigenden Belastungen werden sich viele Meister überlegen, ob sie sich neues Personal leisten können.

Einige in der Union wollen ältere Menschen selbst entscheiden lassen, wann sie in Rente gehen. Welche Handwerker können denn länger als 63 oder 65 arbeiten?

Wer körperlich nicht mehr kann, muss in Erwerbsminderungsrente gehen. Und für diese Menschen tut die Regierung bei der Reform zu wenig. Doch viele Handwerker sind jenseits der 60 noch fit und werden von den Kunden geschätzt. Ich hatte einen Mitarbeiter, der war 51 Jahre im Betrieb. Wir empfehlen den Firmen, mit Qualifizierungen und Gesundheitsschulungen ihre Leute möglichst lange im Job zu halten. Wir haben auch der Bundesregierung längst vorgeschlagen, mit einer Kombirente einen Anreiz zu setzen, so lange zu arbeiten, wie es geht, womöglich über das Rentenalter hinaus.

Nicht jeder Ältere hat noch Lust, schwer zu schleppen oder auf dem Dach herumzukrabbeln. Bieten Sie genügend alternative Arbeitsmöglichkeiten in den Betrieben?

Es kann nicht jeder vom Bau ins Büro oder Lager wechseln. Deshalb brauchen wir generelle Lösungen, die für Ältere auch die Möglichkeit vorsehen, nur noch 30 oder 20 Stunden zu arbeiten und Teilrente zu beziehen.

"Die Altersgrenze für den Mindestlohn sollte angehoben werden."

"Qualifizierung und Bildung sind die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben", sagt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. "Wenn aber schon ein 18-jähriger Schulabgänger mit einem einfachen Helferjob 1500 Euro im Monat verdienen kann, werden sich vermutlich einige vom Glanz des schnellen Geldes blenden lassen und auf eine Ausbildung verzichten. Deshalb sollte die Altersgrenze für den Mindestlohn angehoben werden."
"Qualifizierung und Bildung sind die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben", sagt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. "Wenn aber schon ein 18-jähriger Schulabgänger mit einem einfachen Helferjob 1500 Euro im Monat verdienen kann, werden sich vermutlich einige vom Glanz des schnellen Geldes blenden lassen und auf eine Ausbildung verzichten. Deshalb sollte die Altersgrenze für den Mindestlohn angehoben werden."

© Alice Epp

Warum holen Sie nicht ein paar junge Griechen oder Spanier, um Ihre Personallücken zu schließen?

Das tun wir. Wir wollen aber vor allem die jungen Menschen hierzulande erreichen. Mit dem Mindestlohn wird das aber nicht einfacher.

Sie wollen, dass die Lohnuntergrenze erst ab 25 greift, die SPD plädiert für 18 Jahre. Gibt es eine Altersgrenze für Gerechtigkeit?

Qualifizierung und Bildung sind die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben. Wenn aber schon ein 18-jähriger Schulabgänger mit einem einfachen Helferjob 1500 Euro im Monat verdienen kann, werden sich vermutlich einige vom Glanz des schnellen Geldes blenden lassen und auf eine Ausbildung verzichten. Deshalb sollte die Altersgrenze für den Mindestlohn angehoben werden.

Warum heben Sie nicht den Azubi-Lohn an, dann bekommen Sie auch mehr Bewerbungen?

Wir sind eines der wenigen Länder, wo die Betriebe Geld für die Auszubildenden bezahlen. Die Perspektiven sind im Handwerk gut: Mit Gesellenbrief kann man rasch 2500 Euro verdienen, je nach Gewerk.

Sie klagen über Nachwuchsmangel, trotzdem sind im vergangenen Jahr 21 000 Ausbildungsbewerber unversorgt geblieben. Wie passt das zusammen?

Die Zahl gilt für die gesamte Wirtschaft, nicht allein für das Handwerk. Wir tun viel, um junge Leute in die Betriebe zu holen. Lernschwachen helfen die Meister, mit Einstiegsqualifizierungen und Nachhilfe. Und bei den Starken, etwa Abiturienten, arbeiten wir daran, das Bild des Handwerks zu korrigieren. Ausbildung und Studium müssen gleichberechtigte Alternativen werden. Mit einer Lehre kann man eine steile Karriere machen – wie der junge Mann neulich auf der Internationalen Handwerksmesse, der Bauteile für Satelliten herstellt. Die Bundeskanzlerin fragte ihn bei ihrem Rundgang, ob er Ingenieur sei. Nein, antwortete er, Hauptschulabsolvent und angehender Handwerksmeister.

In vielen Berufen gibt es kaum Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt zu wünschen übrig.

Im Straßenbau werden Sie auch künftig selten Frauen finden. Aber Fotograf, Hörgeräteakustiker oder Augenoptiker sind richtiggehende Frauenberufe im Handwerk geworden. Schnelle Karrieren sind möglich, auch ohne ausgefahrene Ellenbogen wie in Großunternehmen. Und in den Familienunternehmen des Handwerks hat man viel Verständnis für Familienbelange. Da wird beispielsweise eine Teilzeitberufsausbildung angeboten, damit Zeit für ein Kind oder die Pflege von Angehörigen bleibt.

"Wir wollen über das Thema Energieeffizienz reden."

Wie bewerten Sie den Kompromiss zur Energiewende?

Sigmar Gabriel war nicht zu beneiden – er musste mit der EU-Kommission verhandeln, mit den vielen Lobbyisten, mit den Ländern. Er hat die Reform schnell zu Papier gebracht. Wir hoffen, dass nun zumindest für eine Zeit lang die Preise stabil bleiben.

Wir merken uns: Das Handwerk schwärmt für einen SPD-Minister.

Nicht so schnell. Die Umlagepflicht beim Eigenverbrauch sehen wir kritisch. Hier werden die benachteiligt, die durch dezentrale Stromerzeugung zur Energiewende beitragen. Und die Zahl der Ausnahmen bei Großunternehmen geht immer noch zu weit. Die Wettbewerbsverzerrungen bei der EEG-Umlage beispielsweise für handwerkliche Bäcker in Konkurrenz zur Backindustrie oder Handel wird allenfalls graduell verbessert. Ganz wichtig: Das Thema Energieeffizienz ist bislang komplett außen vor geblieben. Darüber wollen wir reden.

Sie glauben an eine weitere Energiereform in dieser Wahlperiode?

Man muss sich das ganze Konstrukt noch einmal vornehmen. Die Leidensfähigkeit der Bürger und Betriebe, die vor allem für die Energiewende zahlen, ist nicht endlos. Grundsätzlich kann es nicht sein, dass der Strompreis an der Börse fällt, dadurch die Differenz zum garantierten Abnahmepreis der Ökostrom-Erzeuger wächst und mithin die Umlage steigt. Das ist paradox. Das letzte Wort kann hier noch nicht gesprochen sein. Die Belastung muss perspektivisch sinken. Es darf kein Denkverbot geben, etwa was steuerfinanzierte Zuschüsse angeht.

Der Bundesfinanzminister sagt aber, es gibt noch nicht einmal Spielraum für die Abschaffung der kalten Progression.

Das bezweifle ich. Gute Konjunktur und steigende Löhne bringen zusätzliche Einnahmen. Die kalte Progression kann zurückgeführt werden – auch ohne dass man an anderer Stelle die Steuern erhöht, wie es SPD und Gewerkschaften für nötig halten. Wir werden das Thema im Herbst wieder ansprechen, wenn der erste Transparenzbericht vorliegt.

Zur Person: Hans Peter Wollseifer (58) wollte eigentlich Architekt werden. Nach dem frühen Tod des Vaters musste er als 21-Jähriger aber dessen Maler- und Lackierbetrieb in Hürth bei Köln übernehmen. Er baute den Betrieb von drei auf rund 100 Beschäftigte aus und verkaufte ihn 2009. Seit Anfang des Jahres 2014 ist Wollseifer Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, einer der wichtigsten Wirtschaftsverbände. Rund eine Million Betriebe im Land beschäftigen mehr als fünf Millionen Lehrlinge, Gesellen und Meister. Wollseifer führt zudem die Handwerkskammer Köln – als erster Nicht-Kölner seit 110 Jahren.

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