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Wirtschaft: Hans Tietmeyer: Ein katholischer Marktwirtschaftler

Zur Ruhe kommt er nicht wirklich: Seit einem Jahr kämpft Hans Tietmeyer für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Früge man ihn, was daran so neu ist, die Antwort fiele knapp aus: Nichts.

Zur Ruhe kommt er nicht wirklich: Seit einem Jahr kämpft Hans Tietmeyer für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Früge man ihn, was daran so neu ist, die Antwort fiele knapp aus: Nichts. Die neue ist die alte Marktwirtschaft. Das ist das Erbe Ludwig Erhards und Walter Euckens. Die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft in den späten 40er Jahren wollten einen starken Staat, damit Wettbewerb und Märkte möglichst gut funktionieren können. Das alles ist nicht neu. Hans Tietmeyer kämpft dafür seit seinem Studium bei Alfred Müller-Armack.

Tietmeyer ist ein Ordoliberaler, kein Neoliberaler. Das und noch viel mehr hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu übersehen, als er sich über "Le système Tietmeyer" hermachte. Bourdieu warf dem deutschen Bundesbankchef vor, die restriktive Geldpolitik Deutschlands sei schuld an der hohen Arbeitslosigkeit in Europa. Das ist eine groteske Verkennung des Ordoliberalismus. Denn die Bundesbank ist für die Geldwertstabilität und nichts anderes zuständig. Wer Verantwortliche für den Arbeitsmarkt sucht, wird fündig, aber bei den Verbänden und Gewerkschaften.

Tiemeyer ist ein katholischer Ordoliberaler. Anders als viele romantische Katholiken weiß er aber, dass sozialstaatliche Umverteilung - entgegen ihrer guten Absicht - rasch kippt und unsozial wird. Der kontrollierte Wettbewerb ist das bessere Verfahren zur Herstellung von Gerechtigkeit. Gerade deshalb macht Tietmeyer sich Sorgen, der Prozess der Globalisierung, woraus doch so viele einen Nutzen ziehen, könnte gestoppt werden. Er sorgt sich aber auch, dass in einer globalen Wissensgesellschaft vor allem die Begabten aller Länder zu den Gewinnern zählen könnten. Und seit der Finanzkrise in Asien denkt er darüber nach, welche Regeln für die Kapitalmärkte nötig - und welche störend sind.

Tietmeyer ist einer der wenigen Intellektuellen in Deutschland, der immer mit Macht ausgestattet war. Aus seiner westfälische Herkunft bezieht er die nötige Sturheit. Das Bild, er habe politisch in der zweiten Reihe gestanden, stimmt nur äußerlich: 1982 hat er - als Referent im Wirtschaftsministerium - zusammen mit Otto Schlecht das so genannten Lambsdorff-Papier verfasst: eine ganz entscheidende Zäsur der Nachkriegsgeschichte. Sein wirtschaftspolitischer Einfluss in den 80er und 90er Jahren, als Staatssekretär im Finanzministerium und als Bundesbankpräsident, kann kaum überschätzt werden. Als Sherpa Kohls hat er die Weltwirtschaftsgipfel vorbereitet, als Ostbeauftragter desselben hat er die Währungsunion vorbereitet und als letzter einflussreicher Bundesbankpräsident dafür gesorgt, die Struktur der Europäischen Zentralbank (EZB) so unabhängig wie möglich zu bauen. Die europäische Geldpolitik soll nicht politischem Einfluss gehorchen, sondern Regeln der Gelmengensteuerung, damit die Währung stabil bleibt.

Ein sensibles Verständnis für die Weltwirtschaft lobt der US-Notenbankpräsident Alan Greenspan an Tietmeyer. So viele von dieser Sorte gibt es in Deutschland nicht. An diesem Sonnabend feiert Tietmeyer seinen 70. Geburtstag.

Rainer Hank

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