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Hauptsache Cockpit. Hartmut Mehdorn, 1989, als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Airbus.

© ullstein bild

Hartmut Mehdorn: Mit 70 hat man noch Träume

An diesem Dienstag wird Hartmut Mehdorn 70 Jahre alt. Mit dem neoliberalen Vordenker Milton Friedman teilt er sich mehr als nur den Geburtstag.

Mitte Januar: Nach etwa drei Stunden Aktenstudium auf dem iPad und einem Nickerchen in seinem Sitz der Business-Class erhebt sich Hartmut Mehdorn und schreitet gen Heck des Airbus, der gerade die Türkei überfliegt. Er schiebt den Vorhang zur Economy-Klasse beiseite, wo die Passagiere offenbar recht froh darüber sind, dass Air Berlin auf dieser neu eingerichteten Route von Abu Dhabi nach Berlin nur wenige Tickets verkauft hat. Viele lümmeln sich der Länge nach zum Schlafen über vier Sitze. Hinten in der Bordküche angekommen, nimmt sich Deutschlands umstrittenster Manager Zeit für ein Gespräch.

Eingeschlafene Füße, Jetlag, Leben aus dem Rollkoffer, Interrail-Feeling, in Plastik aufgewärmte Bordmenüs; zurück am Boden dann Endlos-Sitzungen mit Managern, die seine Kinder sein könnten: Warum tut er sich das noch an? „Es macht Spaß“, sagt Mehdorn damals. Und erklärt dann, dass seine französische Ehefrau Hélène, mit der er seit 1973 verheiratet ist, gesagt habe: „Bevor Du zu Hause rumhängst, geh’ lieber arbeiten. Aber tu’ mir einen Gefallen: Übertreib’s nicht!“

Am heutigen Dienstag wird Mehdorn 70 Jahre alt. Er verbringt den Tag mit seiner Frau, seinen drei Kindern und Enkeln in seinem Haus in Südfrankreich, wo er auch einen Weinberg besitzt, der 22 000 Flaschen Rosé im Jahr abwirft. Das war ein Geschenk seiner Frau zum 60.

Vergangenen September hatte er den sieben Jahre jüngeren Joachim Hunold an der Spitze von Air Berlin abgelöst. In den Wochen darauf fädelte Mehdorn ein Geschäft ein, das der chronisch klammen Gesellschaft zumindest Zeit in ihrem Überlebenskampf verschafft hat: Er überzeugte die Manager der königlichen Etihad Airways, knapp 30 Prozent der Aktien der zweitgrößten deutschen Airline zu übernehmen. Im Gegenzug gewährt sie Mehdorns Truppe Zugriff auf einen unschlagbar zinsgünstigen Millionenkredit. Um das Geschäft zu feiern und die Bindung zu festigen, reiste er im Januar in das Emirat, wo ein persönliches Gespräch mehr zählt als hundert E-Mails.

Dort, so versichern Geschäftspartner, schätzte man Mehdorn wegen seiner klaren Ansagen, auf die man sich verlassen könne. Typisch deutsch sei das. Dort, in Arabien, kennt man diesen einen Mehdorn, den charmanten Bauchmenschen, den hemdsärmeligen Unterhalter, der perfektes Business-English parlieren, aber kein „Tee-Aitsch“ korrekt aussprechen kann. Dort, aber auch im anglo-amerikanischem Raum, liegen viele Geschäftspartner auch wirtschaftstheoretisch mit Mehdorn auf einer Welle. Man teilt seine Abneigung gegen einen sich in Betriebswirtschaft einmischenden Staat, gegen Bürokraten, Funktionäre.

Bildergalerie: Hartmut Mehdorn - Stationen und Sprüche

Es ist nur eine astrologische Spielerei, ein kurioser Zufall, dass Mehdorn seinen Geburtstag mit einem der umstrittensten Vordenker dieser Denkschule teilt: Der US-Ökonom und 1976 mit dem Nobelpreis geehrte Milton Friedman wäre heute 100 Jahre alt geworden. Er beriet republikanische Präsidenten von Richard Nixon bis Ronald Reagan, die dafür sorgten, dass sich der Staat sich immer mehr aus dem Sozialen zurückzog. Friedman lehrte, dass öffentliche Daseinsvorsorge ein Schimpfwort ist.

Ähnliches hat man auch Mehdorn oft unterstellt – gerade in seiner Zeit als Chef des letzten großen staatseigenen Unternehmens, der Deutschen Bahn, die er zehn Jahre lang von 1999 bis 2009 führte. Auf den Posten geholt hatte ihn der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der ihm den Auftrag erteilte, den chronisch defizitären Konzern auf Börsenreife zu trimmen. Aus dieser Zeit stammen die Vorwürfe, Mehdorn habe die Bahn kaputt saniert. Das mag ein Provinzpolitiker, dessen Regionalbahnhof vom Netz getrennt wurde, so sehen. Wahr ist aber auch: Bei Mehdorns Abgang fuhren so viele Menschen wie nie mit der Bahn. Unter seiner Führung konnte der Konzern den Umsatz von rund 30 Milliarden Mark (1999) auf 33,5 Milliarden Euro (2008) mehr als verdoppeln. Er habe damals „eine Mischung aus Behörde und sozialistischem Kombinat“ übernommen, sagte Mehdorn einmal. Das klang wie Spott in den Ohren jener, die nach der Sanierung stundenlang auf Bahnsteigen froren und sich das mit Mehdorns Abbau von 35 000 Stellen ab dem Jahr 2000 erklärten. Dass Mehdorn Wert darauf legte, dass diese Stellen durch Fluktuation und Altersteilzeitregelungen wegfielen, ging dabei oft unter.

So war im Herbst vergangenen Jahres auch die Sorge unter den mehr als 9000 Air-Berlin-Mitarbeitern groß, Mehdorn würde zunächst Personal entlassen wollen, um die endlich wieder in die schwarzen Zahlen zu führen. Mehdorn hingegen beantwortete in den ersten Tagen eingereichte Fragen der Mitarbeiter per Videobotschaft an alle. Betriebsbedingte Kündigungen seien das „allerletzte Mittel“ sagte er da – davon machte er bisher nicht Gebrauch. Dafür blieb er sich treu und rieb sich an der Politik. Kritik, so scheint es, kratzt ihn kaum. Spricht man ihn darauf an, erinnert er an das Sprichwort „Was kümmert’s die deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr reibt?“

So viel Selbstbewusstsein – Kritiker nennen es Ignoranz – speist sich womöglich auch aus dem Mehr an Lebenserfahrung. Er wurde 1942 als jüngstes von vier Kindern eines deutschen Soldaten in Warschau geboren. Er wuchs in Berlin, Bayern und Baden-Württemberg auf, bezeichnet sich aber bis heute als Berliner. Nach seinem Maschinenbau-Studium an der kleinen privaten "Technischen Fachschule Prof. Dr. Ing. Werner" in Berlin-Lichterfelde ging er in die Luftfahrt-Industrie – zunächst zum Bremer Hersteller Focke-Wulf. Er trat ins Berufsleben ein, bevor ab 1968 die Studentenwelt alles politisierte. Mehdorn hielt sich raus, geriet aber immer wieder mit ihr in Konflikte.

Seine größte Niederlage war die Absage des geplanten Teil-Börsenganges der Bahn nur 18 Tage vor dem Termin im Oktober 2008. Da platzte sein Lebensprojekt als Manager. Heute träumt er von der Rettung Air Berlins und hofft, dass der Staat ihm nicht auch dieses Projekt durchkreutzt, etwa durch das Festhalten an der Luftverkehssteuer. Die müsse „ersatzlos weg“, schimpft Mehdorn bei jeder Gelegenheit. Wegen dieser Leidenschaft hoffen Freunde wie Rivalen in der Branche, dass Mehdorn ihnen noch lange erhalten bleibt.

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