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Wirtschaft: Hartz am Ziel vorbei

Die Reformen haben es nicht geschafft, die Massenarbeitslosigkeit zu senken. Die Union will es besser machen, aber das kostet bis zu 40 Milliarden Euro

Berlin - Bestechung, Bordells, Brasilianerinnen, das süße Leben – all das verbinden die Deutschen jetzt mit Peter Hartz. An neue Jobs und die vermeintliche Jahrhundertreform des Arbeitsmarktes denkt indes niemand mehr, wenn es um den Manager aus Wolfsburg geht – dafür hat spätestens die VW-Affäre gesorgt. Deshalb muss der Sieger der Bundestagswahl als erste Amtshandlung eine Kreativaufgabe lösen: Der Arbeitsmarktumbau braucht einen neuen Namen.

Und nicht nur das. Noch acht Monate, nachdem der bislang größte Umbau des deutschen Sozialstaates abgeschlossen wurde, bringen die Hartz-Reformen der rot-grünen Regierung nichts als Ärger. Die Juli-Arbeitslosenzahl, die am kommenden Donnerstag in Nürnberg veröffentlicht wird, könnte um bis zu 100000 gestiegen sein, warnen Experten – auf 4,8 Millionen. Im Herbst 2002, bevor das erste Hartz-Gesetz in Kraft trat, lag die Marke noch unter vier Millionen.

Dabei sollte alles ganz anders kommen, hatte Kanzler Gerhard Schröder dereinst angekündigt. Arbeitslose sollten schneller in neue Jobs vermittelt, doppelte Bürokratie abgeschafft, die Kosten für den Bürger gesenkt werden. Geklappt hat das bislang nicht. Die Betreuung wird, wenn überhaupt, erst ganz allmählich besser. In den neuen Ämtern herrscht erbitterter Streit um Kompetenzen und Zuständigkeiten. Und die Kosten für die Arbeitslosigkeit sind auch nicht gesunken, im Gegenteil: Schätzungen gehen davon aus, dass der Bundesetat vor allem wegen der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit fünf, vielleicht gar mit zehn Milliarden Euro zusätzlich belastet wird – allein 2005. Denn rund eine Million mehr Menschen als eigentlich geplant beziehen das neue Arbeitslosengeld II.

Doch nicht erst seit Anfang 2005 erfüllt die Hartz-Reform nicht, was sich die Republik von ihr erhoffte. Die Personal-Service-Agenturen (PSA), als das Herz von Hartz gepriesen, verschafften mit ihrer Leiharbeit nicht einmal 33000 Menschen eine neue Stelle. Ich-AGs und Mini-Jobs brachten den Arbeitsmarkt zwar in Bewegung – stehen aber im Verdacht, zu Leistungsmissbrauch einzuladen und auf Kosten regulärer Beschäftigung zu gehen. „Viele der Reform-Instrumente mit den schönen englischen Namen haben sich schlicht als Flop erwiesen“, urteilt Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Nach der Wahl soll nun alles besser werden. Während die SPD keine deutlichen Änderungen plant, will die Union allen Kommunen die Option einräumen, in Eigenregie Arbeitslose zu vermitteln. „Kommunen sind näher an den regionalen Gegebenheiten des örtlichen Arbeitsmarktes“, sagt CDU-Arbeitsmarktexperte Ronald Pofalla. Ich-AGs sollen außerdem wegfallen, Arbeitslosengeld-II-Empfänger zehn Prozent unter Tarif eingestellt werden können, Kombilöhne Problemgruppen Jobs verschaffen und unwirksame Arbeitsmarkt-Maßnahmen gestrichen werden.

Experten sind da skeptisch. „Ich bezweifle, ob das Rezept richtig ist. Die Städte und Gemeinden sind hier nicht kompetent“, sagt DIW-Chef Zimmermann. „Am besten wäre eine Institution, die sich nur um Langzeitarbeitslose kümmert und mit den Kommunen und der Arbeitsagentur nichts zu tun hat“. Die Abschaffung der Ich-AGs wäre laut Zimmermann „gefährlich“. Selbstständigkeit sei für viele in der Krise ein rettender Anker, der eine Rückkehr in das Arbeitsleben ermögliche. „Es gab zwar viel Missbrauch, aber deshalb ist das Instrument nicht grundsätzlich schlecht.“

Auch von Kombilöhnen hält Zimmermann wenig. „Das ist eine nette Idee, aber viel zu teuer.“ Je nach Ausgestaltung würde sie 20 bis 40 Milliarden Euro kosten. „Das kann die Union nicht bezahlen.“ Sinnvoll wären Wiedereingliederungshilfen, bei denen die Firmen Arbeitslose einstellen und für einige Zeit Teile ihrer Unterstützung kassieren. Daneben müssten sich aber die Leistungen für die Arbeitslosen stärker an der Bedürftigkeit orientieren, Missbrauch müsse bekämpft werden. „Hartz IV ist vermarktet worden als neoliberales Zerschlagen des Sozialstaates. Es ist aber das Gegenteil passiert – viele bekommen mehr Geld als früher“, sagt der DIW-Chef. „Das war nicht das Ziel der Operation.“ Andere warnen vor zu harten Kürzungen. „Es gibt Einsparpotenziale – aber wir brauchen weiter Förderung für Leute, die auf dem Jobmarkt noch keine Chance haben“, sagt Ulrich Walwei, Vizechef am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das zur Bundesagentur gehört. Man könne nicht Tabula rasa machen. „Die Agenturen können sich nicht nur auf Vermittlung und Beratung konzentrieren, sonst bleiben zu viele Leute auf Dauer im sozialen Abseits.“

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