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Doppelrolle. Der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch war früher Finanzchef des Konzerns - und muss sich Fragen nach seiner Verantwortung im Dieselskandal gefallen lassen.

© dpa

Hauptversammlung von Volkswagen: Wie rechtfertigt sich der VW-Vorstand - was sagen die Aktionäre?

Volkswagen erreichen vor der Hauptversammlung in Hannover an diesem Mittwoch neue Hiobsbotschaften. Die Finanzaufsicht Bafin hat offenbar den gesamten früheren VW-Vorstand im Visier.

Das wird kein schöner Tag für den Vorstand und Aufsichtsrat der Volkswagen AG. An diesem Mittwoch werden rund 3000 Aktionäre zur 56. Ordentlichen Hauptversammlung auf dem Messegelände in Hannover erwartet. Die Akteure auf der Bühne – vor allem Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller – werden sich über Stunden Kritik und Häme der Kleinanleger anhören müssen.

Die im September 2015 ausgebrochene Diesel-Krise und die Frage, wer im Konzern mit seinen 600.000 Beschäftigten dafür verantwortlich ist, wird die Diskussion bestimmen. Für zusätzlichen Ärger sorgen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenvorstand Herbert Diess wegen des Verdachts des Marktmissbrauchs.

US-Pensionsfonds verklagt VW auf Schadenersatz

Und: Die Finanzaufsicht Bafin hat nach ihren Untersuchungen zum VW-Dieselskandal offenbar den gesamten Vorstand bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Der VW-Vorstand sei nach Auffassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht insgesamt verantwortlich für die mutmaßliche Marktmanipulation, sagte ein Insider am Dienstag.

Die Ermittler könnten daher den Personenkreis noch ausweiten. Die Strafverfolger gehen dem Verdacht nach, dass Volkswagen im September 2015 möglicherweise bewusst verspätet über die finanziellen Folgen der Abgastricks informierte, um den Aktienkurs zu manipulieren. Dem Vorstand gehörten vor dem Rücktritt Martin Winterkorns zehn Männer an, darunter der jetzige Vorstandschef Matthias Müller und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, damals noch Finanzvorstand.

Einen Tag vor der Hauptversammlung wurden am Dienstag außerdem weitere Klagen gegen VW bekannt: Einer der größten US-Pensionsfonds und weitere institutionelle Anleger verlangen wie angekündigt Schadenersatz. Die Anwaltskanzlei Quinn Emanuel teilte mit, im Namen des Pensionsfonds für Lehrer in Kalifornien und weiterer Investoren Klage beim Landgericht Braunschweig eingereicht zu haben.

Wie wollen die Aktionäre die VW-Führung in Hannover unter Druck setzen?

Zahlreiche Investoren und Kleinaktionäre haben angekündigt, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen. Mit Spannung wird zudem die Abstimmung über den Einsatz eines externen Sonderprüfers erwartet, der die Vorgänge rund um „Dieselgate“ untersuchen soll. Der Hintergrund: Neun Monate nach Bekanntwerden des Skandals hat der Konzern einen ausführlichen Untersuchungsbericht der US-Kanzlei Jones Day immer noch nicht veröffentlicht, weil die US-Behörden dies angeblich nicht zulassen. Aktionärsvertreter rügen dieses Intransparenz scharf und verlangen Aufklärung, wie es zur Diesel-Affäre kommen konnte.

„Wo war die vielbeschworene technische Sachkenntnis der obersten Management-Ebene?“, wird Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), in Hannover fragen. „Wo war der Vorstandschef, der sehr erfolgreich den Eindruck erweckte, er sei mit jeder Schraube in den gebauten Autos per ‚Du‘? Wo war das mit Vertretern der Großaktionäre und der Gewerkschaften gespickte Kontrollgremium ‚Aufsichtsrat‘, das den Vorstand hätte überwachen und die Risikokontrollsysteme auf Geeignetheit hätte überprüfen sollen?“ Hocker wirft dem Gremium „komplettes Versagen“ vor.

Wird nach der Hauptversammlung klar sein, wer die Manipulationen an elf Millionen Diesel-Fahrzeugen zu verantworten hat?

Diese Frage wird am Mittwochabend nicht beantwortet sein. Wegen der laufenden Ermittlungen der Behörden in den USA und einer vom Gericht in San Francisco verhängten Nachrichtensperre meidet VW bisher jegliche Aussagen mit Details und Inhalten. Ursprünglich sollte die Frist, die VW von US-Bezirksrichter Charles Breyer gesetzt wurde, am Dienstag enden.

Sie wurde in der vergangenen Woche aber auf kommenden Dienstag verschoben. Dies wurmt Aufsichtsrat Pötsch. Nicht nur, dass die erhoffte Einigung jenseits des Atlantiks damit weiter auf sich warten lässt. Auch auf der Hauptversammlung wird Pötsch bei Fragen zu den Hintergründen des Skandals auf laufende Ermittlungen verweisen und schweigen müssen. Die Frage nach den Gesamtkosten des Diesel-Dramas wird wohl ebenfalls nicht beantwortet werden.

Müssen Aktionäre und Mitarbeiter fürchten, dass VW insgesamt gefährdet ist?

VW-Chef Müller sagt: Würden auch in Deutschland so strenge Gesetze und Schadenersatzregeln gelten wie in den USA, könne es „eng werden“ für das Unternehmen. Das klingt dramatischer, als es ist. Denn Müller kennt die nach wie vor soliden Kennzahlen des Konzerns: Ende März hatte allein der Bereich Automobile 26 Milliarden Euro Netto-Liquidität in der Kasse. Der Autoabsatz steht unter Druck, ist aber nicht abgestürzt. In China, wo der Diesel keine Rolle spielt, verkauft VW 40 Prozent seiner Autos. Die Rendite der Marke VW ist zwar miserabel, aber dafür laufen Porsche, Audi und Skoda prächtig.

Müller will mit solch demonstrativen Aussagen vor allem klar machen, dass Kunden und Investoren in Europa nicht freiwillig so entschädigt werden wie jene in den USA. Dort wird VW für den Rückkauf und die Reparatur von 500.000 Autos sowie die finanzielle Entschädigung der Kunden wohl zehn Milliarden Dollar ausgeben müssen. Auf einen entsprechenden Vergleich steuert der Konzern mit den US-Behörden zu. Zahlt VW noch in zwei Umweltfonds ein, könnte das US-Justizministerium auf eine angedrohte Strafe wegen Umweltverstößen verzichten. Hier war von bis zu 46 Milliarden Dollar die Rede.

Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen. Würde man die in den USA fällige Summe hochrechnen, hätte VW tatsächlich ein Problem. 16,2 Milliarden Euro hat der Konzern zur Behebung von „Dieselgate“ zur Seite gelegt und meint, damit auskommen zu können. Das dürfte knapp werden. Analysten wie Frank Schwope von der NordLB rechnen mit weltweiten Gesamtkosten des Diesel- Skandals von 20 bis 30 Milliarden Euro – „und eher von einem Überschreiten als einem Unterschreiten dieser Spanne“. Die Existenz des Unternehmens wäre damit aber nicht gefährdet.

Welche finanziellen Risiken drohen VW nach den Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwälte zusätzlich?

Die Wahrscheinlichkeit weiterer Klagen auf Schadenersatz ist gestiegen. Unklar sind die wirtschaftlichen Folgen die Ermittlungen. Würde die VW-Führung tatsächlich wegen vorsätzlichen Marktmissbrauchs angeklagt – hätte sie also die Börse Ende September 2015 vorsätzlich zu spät über die Diesel-Manipulationen informiert –, hätten große und kleine Investoren Aussicht auf Erfolg mit ihren Schadenersatzforderungen.

Deren Gesamthöhe lässt sich aktuell nicht beziffern. Der deutsche Anlegeranwalt Andreas Tilp kündigte schon im März im Tagesspiegel an, er werde bis September Schadenersatzklagen institutioneller Anleger gegen Volkswagen im Gesamtvolumen von dann mehr als zehn Milliarden Euro einreichen. Weitere Kanzleien haben Klagen in Milliardenhöhe angekündigt. Allein beim Landgericht Braunschweig sind nach Gerichtsangaben rund 120 Klagen von Anlegern auf Schadenersatz anhängig.

Können die Aktionäre in Hannover Vorstand und Aufsichtsrat entmachten?

Nein, denn die Mehrheitsverhältnisse im Konzern stehen dem entgegen. Nur elf Prozent der VW-Stimmrechte befinden sich im Streubesitz, also in der Hand kleinerer oder größerer Einzelaktionäre. 52 Prozent gehören den Familien Porsche und Piëch, 20 Prozent dem Land Niedersachsen und weitere 17 Prozent dem Großaktionär Katar. Die Hauptanteilseigner sind schon seit Monaten in die Krisenbewältigung eingebunden, der Aufsichtsrat hat dem amtierenden Vorstand bereits sein Vertrauen ausgesprochen.

Es wird erwartet, dass sie das Management stützen – allerdings wurde bei der Aufsichtsratsitzung am Dienstag kontrovers über die Konsequenzen diskutiert, die man aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ziehen könnte. Am Ende der Hauptversammlung dürften – trotz aller Kritik – bei der obligatorischen Abstimmung Vorstand und Aufsichtsrat entlastet werden.

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