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Herbstgutachten: Deutschland hinkt Eurozone weiter hinterher

Die deutsche Wirtschaft wird in diesem und im nächsten Jahr nur um etwa 1,2 Prozent wachsen. Die kommende Bundesregierung müsse entschlossenere Reformschritte ergreifen und die Abhängigkeit vom Export reduzieren, so die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.

Berlin - Die deutsche Wirtschaft wird nach Auffassung der führenden Forschungsinstitute im kommenden Jahr den Aufschwung verpassen. In ihrem am Donnerstag vorgestellten Herbstgutachten rechnen sie für 2006 nur mit einer leichten Belebung von 1,2 Prozent. Damit wurde die Prognose des Frühjahrsgutachtens von 1,5 Prozent deutlich nach unten korrigiert. Für das laufende Jahr erhöhten die Experten ihre Vorhersage zwar leicht auf 0,8 Prozent von zuvor 0,7 Prozent. Mit diesen unterdurchschnittlichen Wachstumsraten hinkt Deutschland in der Eurozone aber weiter hinterher.

Die deutsche Konjunktur lebt nach Einschätzung der Institute nach wie vor hauptsächlich von Impulsen aus dem Ausland, während der private Konsum schwach bleibe. «Deshalb können schon kleine Störungen von außen die deutsche Wirtschaft in die Nähe der Stagnation zurückwerfen», warnen die Experten. Mit zu den größten Risiken zählen auch im kommenden Jahr die hohen Energiepreise. «Ohne den Ölpreiseffekt hätte das Wachstum in diesem Jahr bei 1,2 Prozent liegen können», sagte Roland Döhrn vom RWI Essen, das zu den sechs Instituten zählt, die das Herbstgutachten erstellten.

Von der kommenden Bundesregierung verlangen die Forscher eine entschlossene Reformpolitik. Wirtschaftsverbände werteten das Gutachten als Bestätigung ihrer Forderungen nach mehr Reformen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wird am Freitag die Projektion der scheidenden Bundesregierung vorlegen. Nach internen Streitigkeiten verständigte sich Clement dpa-Informationen zufolge darauf, die Wachstumsprognose für 2006 ebenfalls auf 1,2 Prozent - nach 1,6 Prozent im Frühjahr - abzusenken. Für dieses Jahr rechnet er nun auch mit 0,8 Prozent. Clement wollte die Prognose für 2006 bislang nur um 0,2 Punkte auf 1,4 Prozent senken.

Die Forschungsinstitute erwarten auch 2006 keine durchgreifende Wende am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahl werde nur leicht auf durchschnittlich 4,76 Millionen bei einer Quote von 10,9 Prozent sinken. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dürfte aber in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erstmals seit Ende 2000 wieder geringfügig zunehmen, hieß es.

Deutschland wird nach Einschätzung der Gutachter mit einem Haushaltsdefizit von 3,1 Prozent die Maastricht-Kriterien im kommenden Jahr abermals verletzten. Sie rechnen außerdem damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen um zwei Viertelpunkte anheben wird.

Gedämpfte Töne werden weiter für die Binnenkonjunktur angeschlagen: Sie stagniere seit einem Jahr mehr oder weniger. Vor allem der private Konsum sei schwach geblieben, auch weil der Energiepreisanstieg die Kaufkraft der privaten Haushalte geschmälert habe. Die Bauinvestitionen gingen weiter zurück. Ein Lichtblick seien aber die Ausrüstungsinvestitionen, die in der ersten Jahreshälfte 2005 gestiegen seien.

Trotz des Anstiegs der Ölpreise expandiere die Weltwirtschaft in diesem Herbst weiter kräftig. Die höheren Preise für Rohöl und andere Rohstoffe hätten zwar einen dämpfenden Effekt, positiv wirkten jedoch vor allem die niedrigen Kapitalmarktzinsen, kräftig steigenden Vermögenswerte und eine sehr günstige Ertragslage der Unternehmen.

Von der kommenden Bundesregierung verlangten die Forscher unter anderem, die öffentlichen Finanzen nur über Ausgabenkürzungen zu konsolidieren. Der Staat müsse die Eigenverantwortung von Bürgern und Unternehmen stärken. Alle Staatsaufgaben gehörten auf den Prüfstand. Der Kurs der moderaten Lohnentwicklung der vergangenen Jahre müsse fortgesetzt werden.

Verfasser des Herbstgutachtens sind das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin), das Hamburgische Welt-Wirtschafts- Archiv (HWWA), das Münchner ifo Institut für Wirtschaftsforschung, das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das RWI Essen, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung. (tso/dpa)

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