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Wirtschaft: Herbstgutachter fordern harte Reformen

Wirtschaftsinstitute verlangen Steuersenkungen und Sparmaßnahmen/2006 nur 1,2 Prozent Wachstum

Berlin - Die sechs führenden deutschen Wirtschaftsinstitute haben von der neuen Bundesregierung einen harten Sparkurs und weitere Reformen der Sozial- und Steuersysteme gefordert. „Wenn jetzt nicht gehandelt wird, wäre das schlimm für die Konjunktur“, sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Donnerstag bei der Vorstellung des Herbstgutachtens in Berlin. „Wir brauchen jetzt drastische Maßnahmen“, fügte er hinzu.

Die Wirtschaftswissenschaftler korrigierten ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr von 1,5 auf 1,2 Prozent. Für dieses Jahr erwarten sie ein Wachstum von 0,8 Prozent. Auch die Bundesregierung will ihre Prognose am Freitag senken – von 1,6 Prozent ebenfalls auf 1,2 Prozent, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete. In diesem Jahr geht Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) von 0,8 Prozent aus.

Die Wissenschaftler rechnen damit, dass die staatliche Neuverschuldung im kommenden Jahr 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen wird.

Zweimal im Jahr stellen die Institute ihre Prognose vor. Wegen der vielen Unsicherheiten fällt das Wachstum jedoch oft anders aus als von den Wissenschaftlern prognostiziert. Zu diesen Risiken gehören Inflationsannahmen, Währungskursentwicklungen oder auch der Ölpreis. In diesem Jahr kommt dazu, dass der wirtschaftspolitische Kurs der neuen Bundesregierung noch ziemlich unklar ist.

Die wirtschaftliche Erholung komme in Deutschland nur schleppend voran, weil vor allem der Ölpreis den Aufschwung bremse, stellen die Wissenschaftler in ihrem Gutachten fest. Laut Scheide könnte das Wachstum 0,4 Prozentpunkte höher ausfallen, wenn die Energiepreise nicht so hoch wären.

Im kommenden Jahr bleibe die deutsche Wirtschaft vom Export abhängig – und stehe deshalb auch auf besonders wackeligen Beinen, schreiben die Experten. „Schon kleine Störungen könnten die deutsche Wirtschaft zurück in die Nähe der Stagnation werfen“, heißt es in dem Gutachten. Auch 2006 komme der private Konsum nicht richtig in Schwung.

Auf dem Arbeitsmarkt sehen die Institute kaum Besserung. Sie rechnen mit einer um 120000 Personen niedrigeren durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 4,76 Millionen. Zwar sieht Scheide im kommenden Jahr eine Stabilisierung beim Abbau von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das reiche aber nicht aus. „Wir müssen neue Arbeitsplätze schaffen“, sagte er. Dazu müssten die Arbeitnehmer flexibler bei den Arbeitszeiten werden und die Tarifpartner betriebliche Bündnisse zulassen sowie eine moderate Lohnpolitik fortführen.

Auch müssten die Unternehmenssteuern gesenkt werden, forderte Scheide, damit die „Investitionsdynamik“ in Gang komme und Firmen wieder in Deutschland Arbeitsplätze schafften.

Einen Widerspruch zu dem im Gutachten geforderten harten Sparkurs sehen die Wissenschaftler darin nicht. Wenn gleichzeitig die Grundlage für die Bemessung der Steuern erweitert und Subventionen abgebaut würden, dann könnten Steuern gesenkt und gleichzeitig gespart werden.

Der Konsolidierung des Haushalts geben die Institute eine große Bedeutung. Der Staat müsse weniger Geld ausgeben und die Schuldenlast senken. Dabei soll sich die Regierung an der vor zwei Jahren vorgelegten Sparliste des designierten Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD) und des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) orientieren, die ein Einsparpotenzial von 70 Milliarden Euro über fünf Jahre vorsieht. Die Forscher schlugen auch vor, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt zu senken – möglichst ohne die Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie sowie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag begrüßten die Forderungen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund bezeichnete die Vorschläge dagegen als „reine Ideologie“, die die Regierung nicht berücksichtigen solle.

Flora Wisdorff

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