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Neue Staffel von "The Walking Dead"? Es ist ein Plakat des Modelabels "Heroin Kids".

© Deutscher Werberat

"Heroin Kids": Rüge des Werberates lässt Modelabel kalt

Der Deutsche Werberat hat ein Plakat der kleinen Berliner Modefirma Heroin Kids gerügt. Das dürfte ihr mehr helfen als schaden.

Dieses Werbefoto einer jungen Frau, eher eines Mädchens, augenscheinlich nicht mehr als 40 Kilo leicht und mit einem Blick, als habe man es gerade aus einer 48-Stunden-Technoparty (oder aus dem Tiefschlaf) gezerrt: Es verschafft einem Kunstunternehmerpaar aus der oberbayrischen Provinz, tätig im Berliner Wedding, nun bundesweite Aufmerksamkeit. Der Deutsche Werberat sprach am Donnerstag öffentlich eine „Rüge“ gegen das in Berlin eingetragene Unternehmen Heroin Kids für besagtes Plakatmotiv aus. Damit adelte die Institution, die seit 1972 im Auftrag der Werbewirtschaft auf die Einhaltung der selbst gesetzten Regeln achtet, ein Projekt, das womöglich erst noch dabei ist, ein kommerziell erfolgreiches Geschäft zu werden.

Der Rat bewertete das Motiv als „entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche“. Der Gesichtsausdruck des Models wirke abwesend. Mit den Mitteln von Sex, Underground-Ambiente und Drogenanmutung würden einschlägige Assoziationen geweckt, kritisiert das Gremium und schloss sich damit der Auffassung einer auch auf Nachfrage nicht genannten Zahl von „Beschwerdeführern“ an, wonach solche Bilder nicht für den öffentlichen Raum geeignet seien.

Der Rat sprach 2016 bisher 18 Rügen aus

Eine Sprecherin des Rates erklärte, dass es nicht maßgeblich sei, wie weit verbreitet eine Werbekampagne sein muss, um gerügt werden zu können. In der Vergangenheit waren sowohl bundesweite Kampagnen wie auch Motive betroffen, die man nur in einem einzelnen Schaufenster sehen konnte. Im Gesamtjahr 2015 hatte sich der Rat mit 379 Kampagnen beschäftigt und elf Rügen an uneinsichtige Unternehmen ausgesprochen. Im laufenden Jahr dürften es am Ende 18 oder 19 Rügen sein.

Man habe den Fall intensiv mit dem Unternehmen Heroin Kids beraten, erklärte der Werberat und stellte klar, dass er das Motiv nicht als sexistisch oder diskriminierend betrachte. Tatsächlich ist das gerügte Plakat mit dem Model in modisch unaufregendem trägerlosen BH samt Unterhose subjektiv betrachtet eines der weniger polarisierenden Motive der Fotokünstler Christian Kaiser und Corinna Engel. Die ehemaligen Pädagogikstudenten aus der 10000-Seelen-Gemeinde Kirchseeon in Oberbayern waren bereits 2011 wegen ihres Foto-Projektes „HeroinKids“ in Konflikt mit der Bayerischen Landesanstalt für Neue Medien geraten. Die Wächter aus dem Süden monierten vor allem, dass Fotos mit Models in Junkie-Ästhetik frei im Internet zu betrachten waren. Als Engel und Kaiser sich weigerten, diese zu entfernen, sollten sie ein Bußgeld in Höhe von 5000 Euro zahlen.

Das beanstandete Plakatmotiv des Labels "Heroin Kids" soll künftig öfter in Berlin zu sehen sein. Bald auch in Hamburg, Leipzig und Amsterdam.
Das beanstandete Plakatmotiv des Labels "Heroin Kids" soll künftig öfter in Berlin zu sehen sein. Bald auch in Hamburg, Leipzig und Amsterdam.

© Deutscher Werberat

Zwei Jahre später gründete das Paar das Unternehmen Heroin Kids und betreibt heute einen Online-Versandhandel, registriert an einer Wohnstraße im Berliner Stadtteil Wedding für die Marken „Heroin Kids“ und „Kaiserengel“. Zu bestellen sind zum Beispiel T-Shirts, großflächig bedruckt mit expliziten Sprüchen oder Fotos. Zudem gibt es Latexwäsche und Nietenhalsbänder, Fummel wie im konventionellen Erotikfachhandel - nur nicht so bürgerlich präsentiert. Dazu Poster, Sticker, Tassen und besagten Bildband im Porno-Chic. (Lesen Sie hier einen Hintergrund zum Wandel im Erotikfachhandel).

Für Geschäftsleute gewöhnliche Fragen zum Umsatz und Mitarbeiterzahl beantworteten Christian Kaiser (35) und Corinna Engel (31) auf Tagesspiegel-Anfrage nicht, teilten dafür ihre künstlerisch-politische Sicht der Dinge: „Wir halten es für sehr wichtig, dass man Kindern und Jugendlichen mit einem vielschichtigem und mehrdimensionalen Bild von Schönheit konfrontiert, so wie sie das in unserer Werbekampagne präsentiert bekommen.“ Das unretuschierte Bild mit erkennbaren Hautunreinheiten stehe "im krassen Gegensatz zu unerreichbaren mit Photoshop retuschierten Modelbildern in Hochglanzmagazinen."

Engel und Kaiser inszenieren sich als Opfer

Engel und Kaiser inszenieren sich als Opfer der etablierten Werbewirtschaft und präsentieren sich als verkannte Feministen. Ihre Kampagne zeichne ein "ausgewogenes, vielseitiges, formenreiches und mehrdimensionales Bild von Schönheit, das eingefahrenen Rollenbildern entschieden entgegentritt". Die Werbung sei weder sexistisch, noch entwicklungsbeeinträchtigend. Die Beanstandung sei für sie überraschend gekommen, die Entscheidung sei unfair und ihre Begründung nicht nachvollziehbar, teilen die Künstler und Unternehmer weiter mit. "Die Entscheidung des Werberats ist falsch und spielt eingefahrenen Rollen- und Schönheitsbildern in die Hand und einer Branche, die halbnackte Frauen vor Meer posieren lässt um Autos zu verkaufen. Sie steht feministischen Bemühungen Rollenbilder aufzuweichen massiv entgegen." Das Paar gibt auch zu Protokoll, der möglicherweise verkaufsfördernde Konflikt mit dem Werberat sei „nicht kalkuliert“.

Zudem übermittelten Kaiser und Engel ein Schreiben ihres Rechtsanwaltes Daniel Kötz aus Düsseldorf an den Werberat. Der weist darin wesentliche Darstellungen des Rates zurück und erklärt, dass seine Mandantin „bisher nicht einmal informell“ vorab über die Rüge informiert worden sei. Mit Blick auf die „Beschwerdeführer“, also der oder die Personen, die das Plakat beim Werberat gemeldet haben sollen, schrieb er: „Die Vermengung aller möglichen Kritikpunkte – Sexismus, Diskriminierung, Verstörung von Jugendlichen usw. usf. – zeigt die fehlende Fähigkeit zur inhaltlichen Befassung mit dem Thema.“

Die Lehre aus der Rüge: Noch mehr Plakate

Und die Moral von der Geschicht'? Die Werbung mit diesem Motiv sei nach wie vor voll geschaltet, teilt das Unternehmen mit. Die Behauptung des Werberats, dass diese Werbung bereits so gut wie eingestellt worden sei, habe Engel und Kaiser "etwas schmunzeln" lassen. Aufgeben will die Firma offenbar nicht: Die Kampagne starte gerade auch in Hamburg und Leipzig. Auch ein Start in Amsterdam sei geplant. In Berlin wolle man zudem für eine Mode-Party Anfang Februar auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain großflächig werben - mit genau diesem gerügten Motiv. Auf Plakaten, Flyern - und im Internet.

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