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Wirtschaft: Herr Jia im Land der Dichter

Wie ein Politbüromitglied der KP Chinas in Berlin Unternehmer begeistern will – und sich Kritik anhört

Wenn man aus der Länge des Titels auf die Wichtigkeit der Person schließen kann, ist Jia Qinglin ein großer Mann. Der Vorsitzende der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas wirbt in der „geschichtsträchtigen Kulturstadt Berlin“, wie er sagt, um die Herzen deutscher Unternehmer. Begleitet wird er von Damen und Herren namens Yu, Yao, Chen, Qi, Bai, Pu, Zhu, Wu, Wei, Wang und Quan. Sechs weitere heißen Zhang, zehn Liu und 13 Li: 114 Personen zählt seine Delegation insgesamt, ein Drittel davon trägt die rote Fahne am Revers – aber alle springen auf, als Jia Qinglin den Saal des Kaiserlichen Telegraphenamtes betritt, in dem heute die Deutsche Telekom ihre Hauptstadtrepräsentanz hat.

Zu Beginn seiner Rede am Donnerstag vor rund 220 Zuhörern erinnert er an seinen ersten Deutschlandbesuch im Jahre 1987. „Die hoch entwickelte Wirtschaft, führende Technologien und fleißige Menschen hierzulande haben mich tief beeindruckt“, schmeichelt er. „Die Deutschen zeichnen sich durch Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit aus und stehen in der Tradition großer Denker.“ Frau Wu in der achten Reihe gähnt.

Berlin ist nicht die erste Station auf der Imagepflegetour des 71-jährigen Spitzenfunktionärs durch Europa. Jia hat zuvor im Chaos Griechenlands die Lage für chinesische Investitionen sondiert, hierzulande traf er den Bundespräsidenten und den amtierenden Bundesratspräsidenten Horst Seehofer. Wo er schon mal im Süden war, besuchte er Werke vom Siemens und Daimler. In Berlin soll es für ihn um das große Ganze gehen: Er spricht von der sozialistischen Modernisierung, dem Wunsch seines Volkes nach einem besseren Leben. Und er spricht vom Frieden, einem Verzicht Chinas, sich am Rüstungswettlauf zu beteiligen. „Auch wenn China in Zukunft stärker wird, wird es weder nach Vorherrschaft noch Expansionspolitik streben“, verspricht er.

Einige deutsche Unternehmer im Saal wischen während dieser Worte mit den Fingern über die Displays ihrer in China gefertigten Smartphones, blicken aber plötzlich auf, als Jia konkret wird: In den nächsten fünf Jahren wolle sein Land die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 2,2 Prozent des Inlandsprodukts steigern. Neue Branchen von strategischer Bedeutung wolle man entwickeln – auch mit deutscher Hilfe. Er nennt Umweltschutz, Energieeinsparung, Informationstechnik, Biologie, fortgeschrittener Anlagenbau, neue Energien und Materialien sowie Fahrzeugbau mit alternativer Antriebstechnik. Dann macht Jia drei „Vorschläge“: Erstens sollten Deutsche und Chinesen ihr Marktpotenzial ausschöpfen und das Handelsvolumen ausweiten – von 130 Milliarden Euro 2010 auf 200 Milliarden in vier Jahren. Zweitens sollten beide Länder gegenseitige Investitionen fördern – vor allem bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und drittens sollen sie „Gebiete der Zusammenarbeit ausbauen und neue Highlights herausbilden“.

Dann fällt in der Rede ein Satz, den chinesische Spitzenfunktionäre vor wenigen Jahren so deutlich noch nicht gesagt haben: „Wir werden uns dafür einsetzen, den Schutz geistigen Eigentums zu stärken.“ Jia schließt mit den Worten: „Lassen Sie uns Hand in Hand voranschreiten für eine noch schönere Zukunft der chinesisch-deutschen Beziehungen“. Applaus.

Für die deutsche Seite ergreift Jürgen Heraeus das Wort, Chef des gleichnamigen Edelmetallhändlers und China-Sprecher im Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft – auch ein langer Titel. Auch er würdigt die Beziehungen und bescheinigt den Chinesen spürbare Fortschritte beim Schutz geistigen Eigentums. „Das liegt sicher auch daran, dass chinesische Firmen mittlerweile selbst viele Patente anmelden und es auch nicht gern sehen, wenn die Nachbarn diese verletzten“, sagt er dazu.

„Mit großer Sorge aber sehen wir, dass neuerdings fast nur noch Joint Ventures bei Ihnen genehmigt werden“, sagt Heraeus. Vor Jahren noch sei China in dieser Hinsicht freier gewesen, habe Unternehmen mehr Raum zur eigenständigen Entfaltung gelassen, ohne diese gleich dazu zu verpflichten, jedes Betriebsgeheimnis zu teilen. Da aber blickt Jia, der wenige Meter neben ihm auf dem Podium sitzt, wie der große Vorsitzende Mao versteinert in die Ferne.

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