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Wirtschaft: High Tech und Billiglöhne

Die rumänische Stadt Temeswar boomt – doch mit dem angestrebten EU-Beitritt ist das Ende absehbar

Wo 1989 die Revolution gegen das Regime begann, arbeiten nun junge Programmierer an Computern. Die westrumänische Industriestadt Temeswar (Timisoara) entwickelt sich zu einem High-Tech-Standort. Der französische Konzern Alcatel, Siemens und der US-Computerhersteller Solectron produzieren in der Stadt. Früher war die Verarbeitung von Schweinefleisch die wichtigste Wirtschaftsbranche. Temeswar hat sich verändert.

Einer der jungen Programmierer ist Mircea Stoinescu. Der 22-Jährige würde allerdings lieber heute als morgen die rumänischen Büroräume gegen das richtige Silicon Valley in Kalifornien eintauschen. „Warum soll ich warten, dass hier vielleicht in 20 Jahren die Löhne steigen, wenn ich das schon jetzt haben kann?“, fragt er. „Ich will unbedingt einen Opel Astra. Und zwar sofort.“

Nach dem Ende des Kommunismus kam es in Temeswar zu einem regelrechten Boom von Direktinvestitionen. Rund 5000 ausländische Unternehmen sind dem Werben der Stadt – ein Industriestandort an der Ost-West-Achse mit vielen guten Software-Leuten – bereits gefolgt. Weitere werden erwartet. In einem Stadtviertel mit großen Bäumen, in dem einst die Elite der Geheimpolizei lebte, wohnen nun amerikanische, deutsche und italienische Manager. Doch mit dem Boom könnte es bald vorbei sein. Rumänien will 2007 der EU beitreten. Wahrscheinlich müsste Temeswar dann auf viele Investitionsanreize verzichten. Die Stadt hat für Software-Experten einen Einkommensteuersatz von null Prozent, sie kann investierende Unternehmen fünf bis zehn Jahre von den Steuern freistellen und bietet auch mal kostenlose Standorte an. Die Stadtväter befürchten außerdem, dass nach einem EU-Beitritt die besten Programmier auswandern werden. Ab 2010 dürfen die Rumänen wahrscheinlich in jedem EU-Land leben und arbeiten. Die Abwanderung der besten Köpfe, der so genannte Brain-Drain, werde die Stadt wieder fast auf das Niveau von 1989 zurückwerfen, ist die Sorge der Verwaltung.

Noch steigen die Löhne langsam. Und schon jetzt drohen multinationale Konzerne, ihre Fabriken in die Ukraine, nach Russland und China zu verlagern, falls die Stadt ihren Wettbewerbsvorteil einbüßt. Die Gehälter steigen, weil ein Drittel der rumänischen IT-Experten im vergangenen Jahr das Land verlassen hat. Sie lockte die Aussicht, im Ausland zehnmal so viel zu verdienen wie in der Heimat. Das rumänische Durchschnittsgehalt liegt bei rund 150 Euro im Monat.

Siemens hat dem Standort in Temeswar gegenüber Indien den Vorzug gegeben. Wie lange der deutsche Konzern in Rumänien bleibt, ist fraglich. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Löhne so stark stiegen, dass Siemens wegzöge, sagt Projektmanager Thorsten Kupitz. „Ich gebe der Stadt fünf bis zehn Jahre“, sagt er. Für Dan Bedros wäre es eine Katastrophe, wenn die Konzerne die Stadt verlassen würden. Der Chef der rumänischen Niederlassung von Alcatel kämpft seit 15 Jahren darum, Temeswar zum rumänischen Silicon Valley zu machen. Für Einheimische ist er der heimliche Bürgermeister. Bedros hat die Veränderungen in der Stadt angeschoben. Der Erfinder des ersten rumänischen Computers holte Alcatel 1991 in die Stadt und setzte durch, dass Programmierer keine Einkommensteuer zahlen müssen. Er war auch daran beteiligt, aus einem früheren Gebäude der Kommunistischen Partei ein Konferenz-Center zu machen. Sein nächstes Ziel: ein Golfplatz mit 18 Löchern.

Doch die jungen IT-Experten bräuchten mehr, um in Rumänien zu bleiben. Schon mit zwölf Jahren las Mircea Stoinescu Romane von Jane Austen, um gutes Englisch zu lernen. Sein Ziel: ein Job mit sechsstelligem Gehalt. „Man verliert oder gewinnt – und ich will gewinnen“, sagt er. „Und das heißt, dass ich mehr will, als Temeswar bieten kann.“ Stoinescu ist bei weitem nicht der einzige Programmierer, den es ins Ausland zieht. Rund 2000 der 6000 rumänischen IT-Experten seien 2003 ausgewandert, vermutet Bedros. In der Microsoft-Zentrale in Redmond stellten die rumänischen Ingenieure eine der größten ausländischen Gruppen, heißt es beim amerikanischen Software-Hersteller. Um die verbliebenen rumänischen Ingenieure entbrannte in Temeswar ein heftiger Wettbewerb. Er war so hart, dass die größten Konzerne ausmachten, sich nicht mehr gegenseitig die besten Ingenieure abzujagen. Nach Auskunft von Managern ist es nun gängige Praxis, die Konkurrenz anzurufen, wenn einer deren Top-Ingenieure nach einem Job fragt. Das hat zur Folge, dass die Löhne der Technik-Dienstleister kaum mehr steigen.

Und so kommt es auch, dass die Stadt für ausländische Investoren weiter attraktiv bleibt. Siemens hat erst kürzlich angekündigt, 500 neue Software-Experten einzustellen – das käme einer Verdoppelung der Belegschaft gleich. Microsoft und Cisco wollen eigene Trainingscenter eröffnen. Insgesamt hat Temeswar in den vergangenen acht Jahren ausländische Investitionen in Höhe von fast einer Milliarde Euro angezogen. Das ist fast ein Zehntel der Summe, die im gleichen Zeitraum nach ganz Rumänien geflossen ist.

Dan Bilefsky[Temeswar]

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