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Kundenlos unglücklich. Im Osten, wie hier im sächsischen Pirna, sind wegen alter DDR-Verträge mehr Firmen gegen Schäden versichert als im Westen – allerdings nicht gegen Umsatzausfälle.

© dpa

Hochwasser: Wer den Schaden hat

Das Hochwasser rollt von Süden nach Norden durch die Bundesländer. Unter den Folgen leiden nicht nur die unmittelbar überfluteten Betriebe und Haushalte. Eine Übersicht.

Im Süden Deutschlands zieht sich das Hochwasser langsam zurück. Im Osten, entlang der großen Flüsse, ist die Lage hingegen alles andere als entspannt. Doch auch wenn hier das große Aufräumen beginnt, werden für viele der Geschädigten die Probleme nicht kleiner – im Gegenteil. Wie geht es den Hotels und Touristikbetrieben, den Industrieunternehmen, den Landwirten? Und welchen Schaden erwarten die Versicherer? Eine Reise durch die Hochwassergebiete von Bayern bis nach Brandenburg.

LEERE HOTELS

Viele Hotel- und Gaststättenbetreiber stehen vor dem Aus. Das „Zuessenhaus“ in Kleinzadel bei Meißen wurde nun schon zum dritten Mal nach 2006 und 2011 von der Elbe überflutet. Der größte Teil des Inventars konnte zwar mit Hilfe der Feuerwehr und Helfern aus dem Dorf rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Nur zwei große Kühlschränke und der Gastank mussten zurückgelassen werden. „Nun fehlen uns die Einnahmen“, sagt Betreiber Jens Böhm. „Deshalb wollen wir möglichst schon in vier Wochen wieder Gäste bei uns bewirten.“ Den Schaden schätzt er auf eine sechsstellige Summe.

Auch in Bayern sehen viele Hoteliers einer ungewissen Zukunft entgegen. In Passau, wo das Hochwasser Marken wie zuletzt vor 500 Jahren erreichte, hätten Herbergen in der Altstadt teilweise bis zum zweiten Stock unter Wasser gestanden, sagt Michael Braun, Vorstand des Tourismusverbands Ostbayern. Andere touristische Anziehungspunkte wie das Kloster Weltenburg seien hingegen glimpflich davongekommen. „2002 war das Kloster komplett überflutet“, sagt Braun. Seitdem sei viel in den Hochwasserschutz investiert worden – was sich nun auszahle. Braun fürchtet vor allem um das Image der Urlaubsregion. Vor dem Hochwasser habe es wochenlang geregnet, weshalb viele Pfingstgäste verfrüht ab- oder gar nicht erst angereist seien. Die Gastronomie habe im Mai – normalerweise einer der umsatzstärksten Monate – Einbußen von bis zu 70 Prozent verzeichnet.

In Brandenburg will Peter Krause, Geschäftsführer des Landestourismusverbands keine Prognose wagen. „Was die Auswirkungen angeht, reden wir ja noch über die Zukunft.“ Die Erfahrungen der letzten großen Hochwasser zeigten, dass der Schaden schlecht absehbar sei. In den Hochwassergebieten entlang der Elbe, im Spreewald und in der Prignitz gebe es aber Einschränkungen. Radtouren auf dem Elbe-Radweg etwa müssten umgeleitet oder ganz gestrichen werden. Die Radwege, die auf oder entlang der durchweichten Deiche liefen, werden wohl noch wochenlang gesperrt sein. „Die Deiche müssen erst überprüft und gegebenenfalls ausgebessert werden.“ Simon Frost/Claus-Dieter Steyer

DIE BÄNDER LAUFEN WIEDER

Die Flutschäden an den Standorten der südostdeutschen Autoindustrie und ihrer Zulieferer halten sich in Grenzen. Porsche ließ die Bänder in seinem Leipziger Werk, wo die Modelle Cayenne und Panamera gebaut werden, nach einem durch das Hochwasser erzwungenen Produktionsstopp am Donnerstag wieder anlaufen. Auch bei VW in Zwickau gab es nur eine kurze Unterbrechung, weil Mitarbeiter wegen der Flut nicht zur Arbeit kommen konnten. Davon war freilich auch die Gläserne Manufaktur von VW in Dresden betroffen, die zeitweise nicht mit Karosserien beliefert werden konnte, die in Zwickau produziert werden. „Wir hatten aber kein Wasser im Werk“, sagte ein Manufaktur-Sprecher dem Tagesspiegel. „Die Logistikkette war nur unterbrochen.“ Am Chemnitzer Standort des Berliner Automobil-Dienstleisters IAV mit mehr als 600 Beschäftigten lief lediglich der Keller voll. „Wir mussten drei Tage lang Wasser abpumpen“, sagte eine Sprecherin. „Der Geschäftsbetrieb lief weiter.“ Einige Mitarbeiter beklagen aber große Schäden an ihren Wohnungen und Häusern. Wie viele Unternehmen startet IAV in der kommenden Woche deshalb eine betriebliche Spendenaktion. In Sachsen sind rund 70 000 Menschen in der Automobilbranche beschäftigt, davon mehr als 60 000 in der Zulieferindustrie. Die Unternehmen erbringen etwa ein Viertel der sächsischen Industrieproduktion. Henrik Mortsiefer

WELLEN STATT WEIDEN

Für die Landwirte, deren Höfe und Felder in den Hochwassergebieten liegen, ist die Flut eine Katastrophe. Andreas Jahnel vom Sächsischen Landesbauernverband spricht von einem „Totalausfall der Ernte“ auf rund 45 000 Hektar. Ein Hektar entspricht einem großen Fußballfeld. Drei oder vier Tage könnten die Pflanzen das verkraften, danach „kann man sie nur noch wegschmeißen“. Besonders hart trifft es den Mais, der erst ab März gesät worden ist. Betroffen sind auch die Erdbeeren im südlichen Brandenburg, warnt Andreas Jende, Geschäftsführer des Gartenbauverbands Berlin-Brandenburg. „Rund 25 Prozent der Erdbeeranbauflächen in Brandenburg liegen im Spreewald“, berichtet Jende. Problematisch ist die Situation auch für einige Baumschulen im Elster-Bereich. Das Wasser drückt den Wurzeln die Luft ab. In der brandenburgischen Kleinstadt Mühlberg, die am Freitag evakuiert worden ist, stehen 1000 Hektar unter Wasser, sagt Uwe Gliemann, Vorsitzender der örtlichen Agrargenossenschaft. Sickerwasser dringt unter dem Deich durch. Erst war das Grünland an den Flüssen überflutet, seit einigen Tagen staut sich auch auf den Ackerflächen das Wasser. Betroffen sind Weizen, Zuckerrüben und Mais. Auf mehr als 300 Millionen Euro schätzt der Deutsche Bauernverband die Schäden für die Bauern. Versichert ist fast niemand. „Eine Versicherung gegen Hochwasser gibt es nämlich erst seit einem halben Jahr“, sagt Helmut Born, Generalsekretär des Bauernverbands. Luca Spinelli

VERSICHERUNGEN RECHNEN

Noch sammeln die Versicherer die Schadensmeldungen. Was sie die Flut kosten wird, können sie noch nicht sagen. „Dafür ist es zu früh“, sagt Kathrin Jarosch vom Versicherungsverband GDV. Beim großen Hochwasser 2002 waren es 1,8 Milliarden Euro. Das klingt nach viel, ist aber wenig verglichen mit dem volkswirtschaftlichen Schaden, der damals bei rund elf Milliarden Euro lag. Dass die Versicherer vergleichsweise glimpflich davonkommen, liegt daran, dass viele Bürger gegen Hochwasserschäden nicht versichert sind. Normale Wohngebäude- und Hausratversicherungen zahlen nicht, eine Elementarschadenversicherung, die bei Überschwemmungen und Starkregen einspringt, hat nur jeder Dritte. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, deren staatliche Versicherung die Hochwasserschäden abdeckte, liegt die Versicherungsquote höher. In Sachsen sind 42 Prozent, in Thüringen 40 Prozent gegen Überschwemmungen versichert, in Brandenburg aber nur noch 28 Prozent – zu recht günstigen Konditionen. Das will die Allianz, die die Verträge nach der Wende übernommen hat, jetzt ändern. „In besonders hochwassergefährdeten Gebieten muss es im Einzelfall höhere Prämien und Selbstbehalte geben“, sagt eine Sprecherin. Heike Jahberg

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