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Wirtschaft: Hoffnung auf ein Leben ohne Schulden

BERLIN .Mehr als zwei Millionen Deutsche stecken in der Schuldenfalle.

BERLIN .Mehr als zwei Millionen Deutsche stecken in der Schuldenfalle.Tendenz steigend.Bonn will den Zahlungsunfähigen helfen und mit einem neuen Gesetz eine Perspektive schaffen: Nach sieben Jahren sind sie unter Umständen schuldenfrei.

Schon jetzt spürt Peter Zwegat von der Berliner Schuldnerberatung Dilab den Ansturm."Seit sechs Monaten hat die Zahl der Hilfesuchenden um fast zwanzig Prozent zugenommen", seufzt der Vielbeschäftigte.Es wird noch schlimmer, fürchtet er."Demnächst werden die Schuldnerberatungen mit Anfragen förmlich überrannt werden".

Der Andrang bei den Pleite-Helfern kommt nicht von ungefähr: Anfang nächsten Jahres tritt ein Gesetz in Kraft, das privaten Schuldnern eine zweite Chance gibt - mit dem sogenannte Verbraucherkonkurs.Wer von dem Verfahren profitieren will, kann schon ab 1.Juli die ersten Formulare ausfüllen und den Prozeß in Gang setzen.Nach einer Frist von sieben Jahren, in der die Schuldner ihren Verpflichtungen pünktlich und ohne Ausnahme nachkommen, können sie von ihren restlichen Schulden befreit werden.

Die Miesen, die man einmal gemacht hatte, reichten bisher meist fürs ganze Leben.Denn Schulden verjähren gemäß geltendem Recht erst nach 30 Jahren.In der Zwischenzeit wächst der Berg der Verpflichtungen praktisch pausenlos.Zinsen-, Inkasso-, Mahn- und Gerichtskosten treiben die Verbindlichkeiten in die Höhe."Alle fünf Jahre", schätzt Berater Zwegat, "können sich die Schulden verdoppeln." Eine auswegslose Situation."Niemand wird 30 Jahre lang bestraft", sagt der Berliner Berater Martin Leineweber."Nur der Schuldner".

Kein Wunder, daß sich so viele Menschen in finanziellen Schwierigkeiten gerade jetzt an die Helfer wenden.Sie wollen das mehrstufige Verfahren bereits am 1.Juli mit der ersten Stufe - dem außergerichtlichen Einigungsversuch - beginnen.Höchstens sechs Monate, bevor der Antrag auf Restschuldbefreiuung gestellt wird, sollte der Betroffene versuchen, sich mit den Gläubigern zu einigen.Allerdings kann der Schuldner solche Bemühungen nicht auf eigenen Faust unternehmen.Er muß vor Gericht eine Bescheinigung über den gescheiterten Versuch der Einigung mit seinen Gläubigern vorlegen.Bisher gibt es noch keine abschließende Regelung, die klarstellt, wer ein solches Zertifikat ausstellen darf.Experten schätzen, daß es Rechtsanwälte, Notare, Steuer- und Schuldenberater sein werden.

Ist der Einigungsversuch ergebnislos geblieben, ist der Weg frei für das gerichtliche Insolvenzverfahren beim zuständigen Amtsgericht.Die Richter bemühen sich erneut, eine gütliche Einigung zwischen beiden Parteien zu erzielen.Klappt das nicht, kommt es zu einem Prozeß, an den sich eine siebenjährige sogenannte Wohlverhaltensperiode anschließt.Während dieser Zeit muß der Schuldner den pfändbaren Teil seines Einkommens an einen Treuhänder abtreten, der das Geld an die Gläubiger weiterverteilt.Dem Überschuldeten bleibt in dieser Zeit nur das Nötigste.Lediglich den Sozialhilfesatz darf er behalten.Nach sieben Jahren können die Richter sich dann für eine Befreiung der restlichen Schulden entscheiden - vorausgesetzt, es lief alles nach Plan.

Peter Zwegat ist skeptisch: "Das Verfahren ist so kompliziert, daß viele Leute Hilfe brauchen werden." Er glaubt, daß höchstens 20 Prozent der Schuldner die Wohlverhaltensfrist überstehen werden."Was, wenn in der Zeit jemand krank oder arbeitslos wird?" Die Antwort läßt er offen.Das Verfahren sieht allerdings vor, daß im Insolvenzplan Vorsorge für solche Fälle getroffen wird.

Pamela Wellmann, Juristin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, ist optimistischer: "Das Gesetz ist eine Chance für die, die bisher keine mehr sahen".Es sei zwar nicht das Ende des Überschuldungsproblems in Deutschland aber es biete mit Sicherheit einen Ausweg.Leicht sei es nicht, die Auflagen zu erfüllen, aber "Schuldner, die schon lange am Existenzminimum leben, werden auch noch sieben weitere Jahre durchhalten."

Es sind nicht wenige, die große Hoffnungen auf die Rechtsnovelle setzen.Rund zwei Millionen überschuldetet Haushalte gibt es in Deutschland, allein für Berlin gehen Experten von zwischen 100 000 und 150 000 Zahlungsunfähigen aus.Tendenz steigend: "Eine lineare Zunahme von zehn Prozent" beobachtete Zwegat in den vergangenen Jahren."Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht", fürchtet er.

Horst Busche, Gerichtsvollzieher im Bezirk Kreuzberg, bekommt das Problem seit 35 Jahren jeden Tag hautnah zu spüren.Die Arbeitsbelastung ist enorm, ein zehn-Stunden-Tag normal.Viele seiner Kollegen hätten dem Streß nicht standgehalten und aus gesundheitlichen Gründen aufhören müssen.Er selbst macht den Job schon seit 35 Jahren.Die nüchterne Bilanz: "Häufig ist nichts zu holen", weiß Busche aus seinen vielen Pflichtbesuchen bei Verarmten."Da nützt das beste Gerichtsurteil nichts, wenn der Schuldner nichts hat." Drei Viertel derer, die er mit dem Kuckuck besucht, sind "ältere Menschen, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose, denen die Kosten davongerannt sind".Für sie sieht er im neuen Gesetz kaum Chancen."Wovon sollen sie denn die Raten an die Gläubiger bezahlen?" Für diejenigen, die Arbeit haben, könne es aber "durchaus eine gute Lösung sein." Allerdings sieht das Gesetz vor, daß auch Sozialhilfeempfänger von ihren Schulden befreit werden können, der Betroffene muß nachweisen können, daß er sich regelmäßig um Arbeit bemüht hat.

Eine ganze Reihe offener Fragen gibt es dennoch: Unklar ist beispielsweise, wie die Richter mit dem erwarteten Ansturm auf die Amtsgerichte fertig werden sollen.Fraglich ist auch, wie 9195 Anträge, die bereits bei den Berliner Schuldnerberatungen vorliegen, bearbeitet werden sollen.Zwar hat der Senat angekündigt, das Personal in den Beratungsstellen von 62 auf 91 aufzustocken.Ob das reicht, die Flut von 13 700 Anträgen zu bewältigen, die die Senatssozialverwaltung erwartet, ist allerdings nicht klar.Die Personaldecke sei schon jetzt denkbar dünn, bemängeln die Schuldnerberater.Da das Ausführungsgesetz noch nicht beschlossen ist, ist die Finanzierung allerdings ebenfalls noch nicht abschließend geklärt.

Peter Zwegat zweifelt, ob das Problem noch rechtzeitig in den Griff zu bekommen ist."Jeder, der Schulden hat, wird anfragen, ob er in irgendeiner Weise von der neuen Reglung profitieren kann." Im schlimmsten Fall sind das 150 000 Berliner.

SIGRUN SCHUBER

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