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Wirtschaft: Hoffnung und gute Vorsätze

Stellenabbau war in 2005 das Thema des Standorts: Was Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer vom neuen Jahr erwarten

HARALD WOLF

In seinem Jahresrückblick 2005 sieht Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) die Berliner Wirtschaft auf Erholungskurs. Nach einer Flaute in den ersten Monaten habe sich zur Jahresmitte hin eine Belebung abgezeichnet, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht. Der positive Trend habe sich im Herbst fortgesetzt: „Insbesondere von unternehmensnahen Dienstleistern gingen deutliche Wachstumsimpulse aus.“ Insgesamt müsse Berlin für 2005 allerdings mit einem Nullwachstum rechnen. Im Vorjahr hatte die Stadt noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von einem halben Prozent erreicht. Für 2006 ist der Wirtschaftssenator vorsichtig optimistisch: Im Gefolge einer breiten Erholung in Deutschland könne es die Hauptstadt auf einen Zuwachs von einem Prozent bringen. Auch in der Berliner Industrie deuteten die gestiegenen Auftragseingänge auf eine Erholung hin. „Die Debatte über den Industriestandort war zum Jahresende stark beeinflusst durch die Ankündigungen von Werkschließungen bei Samsung, JVC oder CNH“, sagte Wolf dem Tagesspiegel. Dies sei aber eine einseitige Wahrnehmung: „Sie blendet einen großen Teil der Wirklichkeit aus und schadet dem Industriestandort Berlin.“ Seit der Wiedervereinigung habe die Berliner Industrie einen beispiellosen Strukturwandel erlebt: „Neun von zehn Industriebetrieben im Ostteil und sechs von zehn im Westteil der Stadt wurden erst nach 1991 gegründet. Ihre Produktivität ist überproportional gewachsen und liegt heute über dem deutschen Durchschnitt.“

REINHARD UPPENKAMP

„Der Industriestandort Berlin ist kein Auslaufmodell. Andere Unternehmen mögen sich zurückziehen – Berlin- Chemie baut aus. Wir profitieren vor allem von der hochwertigen Wissenschaftslandschaft und den gut ausgebildeten Menschen hier. Dieses Jahr haben wir rund 300 Mitarbeiter neu eingestellt, ein Drittel davon in Berlin. Nächstes Jahr dürfte ähnlich positiv verlaufen, vor allem aufgrund des florierenden Exportgeschäfts. Es ist sinnvoll, dass der Senat beschlossen hat, bestimmte Branchen, in denen Berlin besonders hohes Potenzial hat, gezielt zu fördern. Zu diesen Cluster-Bereichen zählt zu Recht auch die Gesundheitsbranche. Der Senat will die Netzwerk-Kooperation zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen jetzt noch effektiver unterstützen. Davon wird der Standort profitieren. Defizite sehe ich noch bei der Verkehrsinfrastruktur. Berlin-Chemie ist vor allem auf gute Verbindungen zu den Märkten in Osteuropa angewiesen. Der Ausbau von Schönefeld zum Großflughafen muss möglichst bald abgeschlossen werden. Die Frage, ob sich Berlin in Zukunft als Industriemetropole oder als Dienstleistungsstandort definieren sollte, stellt sich für mich nicht. Es geht darum, hochwertige Produkte mit kundenfreundlichem Service zu verbinden. Berlin-Chemie ist dafür ein Modellfall.“

— Reinhard Uppenkamp ist Vorstandsvorsitzender der Berlin-Chemie AG.

KLAUS SEMLINGER

„Die Nachrichten der letzten Wochen nähren die schlimmsten Befürchtungen: Die Industrie verlässt die Stadt. Setzt man aber die dunkle Brille ab, so ist zu erkennen: ein reges Gründungsgeschehen, Expansionsmeldungen aus dem Bestand und Ansiedlungserfolge auch in der Industrie – letztere zwar nur selten mit neuer Fertigung, dafür aber mit zentralen Unternehmensfunktionen. Die Berliner Industrie ist in der Tat vom Strukturwandel arg gebeutelt. Aber die Stadt ist keineswegs nur Verlierer im Standortwettbewerb. Tatsächlich hat Berlins Industrie an Leistungsfähigkeit gewonnen. Bei der Produktivität etwa hat sie sich im Bundesländervergleich seit 1992 um drei Plätze von elf auf acht vorgearbeitet. Vielerorts wird auf neue zukunftsträchtige Produkte gesetzt, und junge Unternehmen suchen ihre Chancen gleich in wissensbasierten Angeboten. Die Stadt bietet für diesen Wandel eine hervorragende wissenschaftliche Infrastruktur, und mit ihren Dienstleistungsbereichen Gesundheit, Kultur, Medien, Tourismus und Mobilität auch einen Markt für industrielle Zulieferung. Vieles spricht dafür, die Zukunft der Berliner Industrie darin zu suchen, sie von der Dienstleistungsseite her neu aufzubauen. Dann ist vielleicht auch wieder Raum selbst für einfachere Fertigungsaufgaben.“

— Klaus Semlinger ist Vizepräsident der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

FRANK BECKER

„Collonil ist mit Lederpflegeprodukten in über 80 Ländern der Welt präsent. Dennoch halten wir seit 1956 an unserem Standort in Wittenau fest. Man kann in Berlin eine Menge erreichen, weil die meisten Menschen hier verstanden haben, dass man ohne ein hohes Maß an Flexibilität im Wettbewerb nicht bestehen kann. Was uns an unserem Standort am meisten stört, sind die exorbitant hohen Wasserpreise. Als besonders wichtiges Plus sehe ich die hervorragenden Bedingungen für Forschung und Entwicklung in Berlin an. Von der Politik wünsche ich mir für 2006 bessere Lobbyarbeit für das produzierende Gewerbe in der Stadt.“

— Frank Becker ist Geschäftsführer der Collonil Salzenbrodt GmbH & Co. KG.

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