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Stromfresser. Die Grundstoffindustrie, im Bild eine Anlage von Akzo Nobel in Bitterfeld, zählt zu den energieintensiven Industrien im Lande.

©  dpa

Hohe Kosten: Industrie warnt vor schnellem Atom-Ausstieg

Das neue Energiekonzept der Bundesregierung ist noch nicht erkennbar, doch die Wirtschaft befürchtet zunehmend Folgen für den Strompreis.

Berlin - Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sieht die Wettbewerbsfähigkeit „nachhaltig beeinträchtigt, wenn es bei einem vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie nicht gelingt, weitere erhebliche Strompreissteigerungen für die Industrie zu verhindern“. Industriepräsident Hans-Peter Keitel hält einen Anstieg der Strompreise um 222 Prozent bis 2017 für möglich. „Wenn Deutschland rasch aus der Kernkraft aussteigt, ist das ein gigantisches Experiment“, schrieb Keitel im „Handelsblatt“. Die „leichtfertigen Ergebnisse einer emotionalen Debatte“ könnten viele Arbeitsplätze gefährden.

Auch die Unternehmen in der Hauptstadtregion sind besorgt. Ein Sprecher der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) betonte die Bedeutung von Versorgungssicherheit und niedrigem Energiepreis. „Diese müssen wieder stärker in den Fokus der öffentlichen Diskussion rücken.“

Bundesweit wäre die Stahlindustrie zusammen mit anderen großen Grundstoffbranchen wie der Chemie- oder Baustoffindustrie besonders stark von teurerer Energie betroffen. Ein gutes Viertel des deutschen Stahls etwa wird in Elektroschmelzen hergestellt – und die brauchen viel Strom. Die energieintensiven Industrien, die nach eigenen Angaben jedes Jahr 15 Milliarden Euro für Energie ausgeben und fast 900 000 Menschen in Deutschland beschäftigen, haben deswegen einen Appell an die Politik gerichtet: „Energie ist für die Unternehmen ein wesentlicher Kosten- und Wettbewerbsfaktor.“ Deshalb müsse darauf geachtet werden, dass sich der bereits bestehende Nachteil bei den Strompreisen nicht noch verschärfe. Außerdem seien die Einsatzmöglichkeiten von Wind- und Sonnenkraft begrenzt. Für die Grundlast – also den Strom, der jederzeit zur Verfügung stehen muss – seien andere Erzeugungsarten „zumindest als Brückentechnologie erforderlich“ – zum Beispiel Kohlekraftwerke.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, hat Verständnis für die Bedenken der Industrie. „Ein ganz zentraler Punkt bei der Änderung des Energiekonzeptes ist der Strompreis“, sagte Pfeiffer dem Tagesspiegel. „Man kann viele Ziele zum Umbau der Energieversorgung formulieren und viel ist technisch machbar. Aber alles hat seinen Preis.“ Die Mehrkosten müssten die Stromverbraucher aufbringen. „Das muss man den Bürgern auch offen sagen, wenn auf einen schnellen Atomausstieg gedrängt wird“, sagte Pfeiffer. Allein für den Netzausbau, der für den Transport des Ökostroms notwendig sei, würden bis zu 50 Milliarden Euro benötigt. Die dadurch steigenden Strompreise könnten gerade energieintensive Branchen nicht verkraften. Die seien zwar weitgehend von der Umlage für die erneuerbare Energien entlastet, aber nicht von den Netzkosten. „Es geht um die Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft“, warnte der CDU-Politiker. „Höhere Öl- und Gaspreise betreffen weltweit alle gleichermaßen“, erklärte Pfeiffer. Beim Strompreis machten die Erzeugungskosten aber nur 25 Prozent aus, 75 Prozent seien nationale Sonderlasten für die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und Netzentgelte, die es so nur in Deutschland gebe.

Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagte dem Tagesspiegel, der Umbau der Energieversorgung müsse so erfolgen, „dass die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie erhalten bleibt. Niemand hat ein Interesse daran, diese Industrien aus dem Land zu vertreiben.“ Allerdings forderte er die Unternehmen auf, sich stärker den Chancen, die sich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ergeben, zu öffnen. Die Hersteller von Windkraftanlagen seien mittlerweile der zweitgrößte Abnehmer von Stahl, die Solarwirtschaft wiederum brauche viel Glas und Aluminium. „Hier entstehen auch in Zukunft neue Absatzmöglichkeiten“, ist sich Fell sicher.

Hohe Preise würden vor allem durch die Strukturen der Energieerzeugung in Deutschland verursacht – mit überzogenen Renditevorstellungen der dominierenden Konzerne. „Ein abgeschriebenes Atomkraftwerk produziert die Kilowattstunde für fünf Cent, ein abgeschriebenes Photovoltaikwerk wird auf nur noch 0,5 Cent kommen“, erwartet der Energiepolitiker in der Zukunft sogar eine kostensenkende Wirkung der Erneuerbaren.

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