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Man kann überall arbeiten. Theoretisch zumindest. Wer zu Hause arbeitet, darf den Kontakt zu Kollegen nicht verlieren. Sonst leidet das Team – und die Karriere. Foto: Kai-Uwe Heinrich

© kai-uwe heinrich hf

Wirtschaft: Home sweet Home

Wie viel Heimarbeit ist gut für Unternehmen, Team und Mitarbeiter? Nur wer es richtig organisiert, kann erfolgreich sein.

Wenn Oliver Schmitt vormittags um elf am Münchener Flughafen in den Flieger steigen muss, ergibt es für den Juristen keinen Sinn, vorher noch ins Büro in der Innenstadt zu fahren. Dann fährt er zu Hause seinen Rechner hoch, loggt sich ins Netzwerk seiner Firma, der Wirtschaftskanzlei Rödl und Partner, ein und öffnet seine auf dem Server gespeicherten Schriftsätze. „Es ist nicht immer sinnvoll, in der Kanzlei zu sein, manchmal hat man zu Hause auch einfach mehr Ruhe“, sagt der Partner, der das Transaktionsgeschäft leitet. Mindestens einen halben Tag je Woche ist er im Home-Office. Kann er sich vorstellen, diese Freiheit wieder aufzugeben? „Das ist nicht unsere Philosophie.“

Dass Schmitt sich diese Frage stellen lassen muss, liegt an Marissa Mayer. Denn die Yahoo-Chefin beordert ihre Heimarbeiter zurück ins Büro und schafft das Home-Office ab. Mayer hat damit eine Debatte über den Sinn des mobilen Arbeitens ausgelöst. Nicht ganz zu Unrecht. Denn Experten glauben: Unternehmen scheitern, wenn sie in innovativen Bereichen zu stark auf virtuelle Teams setzen. Richtig organisiert aber ist eine intelligente Home-Office-Regelung ein Wettbewerbsvorteil.

In Deutschland bietet laut Studien nur ein Drittel der Unternehmen das Home-Office überhaupt an. Und wenn, dann selten so radikal wie bei Yahoo, wo Mitarbeiter teils gar nicht mehr im Büro sein mussten. „Das, was bei Yahoo passiert, ist eine Warnung, dass das Pendel nicht zu weit ausschlagen sollte“, sagt Organisationsexperte Christian Scholz von der Uni Saarbrücken.

Yahoo ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. Die Firma steckt in der Krise und hat offenbar Probleme bei der Führung ihrer Heimarbeiter. In Blogs berichten Mitarbeiter, dass es Kollegen gibt, von denen keiner weiß, woran sie arbeiten. Dass einige, die nun jeden Tag ins Büro kommen sollen, dann lieber kündigen, scheint die Yahoo-Spitze offenbar nicht zu stören.

Das mobile Arbeiten kann gerade im Wettstreit um Fachkräfte ein Vorteil sein. „Für die Unternehmen lautet die simple Frage: Wo habe ich Wettbewerbsvorteile“, sagt Scholz. „Etwa, weil die Mitarbeiter glücklicher sind und zu Hause konzentrierter arbeiten können.“ Da ist die Option, ein oder zwei Tage in der Woche das Home-Office zu nutzen, im Sinne des Geschäfts. Wenn Kreativarbeiter allerdings nie mehr auf ihre Kollegen treffen, wird aus dem Vorteil ein Nachteil. „Es ist schwer vorstellbar, dass jemand komplett zu Hause arbeitet“, sagt Rechtsanwalt Schmitt. Ideen entstehen nun einmal oft in der Teeküche oder beim Kaffee.

Wer seinen Mitarbeitern Home-Office zugestanden hat, kann diese Freiheit in Deutschland nicht ohne weiteres zurücknehmen. Steht es im Arbeitsvertrag, muss der Mitarbeiter zustimmen – oder aber der Chef eine Änderungskündigung aussprechen. Ist es eine nur im Gespräch vereinbarte Praxis, wird es knifflig. Wenn Mitarbeiter davon ausgehen können, dass es als dauerhafte Freiheit gedacht war, haben sie gute Chancen, diese auch zu behalten.

Unabhängig von Recht und Gesetz gehört die Flexibilität einfach zum Zeitgeist. „Man kann die Uhr nicht zurückdrehen“, sagt die Personalmanagementprofessorin Jutta Rump. „Unternehmen erwarten von ihren Mitarbeitern, hochflexibel zu sein, also müssen sie im Gegenzug auch Flexibilität bieten.“ Denn im Wettbewerb um zunehmend rare Fachkräfte punktet nur noch, wer Alternativen bietet. Simone Wamsteker, Personalmanagerin bei der Unternehmensberatung Accenture, sagt: „Nachwuchstalente fragen, ob es bei uns Home-Office gibt. Außerdem helfen uns solche Angebote, Mitarbeiter an uns als Arbeitgeber zu binden, wie junge Eltern oder Mitarbeiter, die einen Angehörigen pflegen.“

Dafür brauchen sie Lösungen, wie sie Michaela Waggershauser, Direktorin der Vodafone-Personalentwicklung und Mutter von zwei Kindern, angeboten wurden. Nach fünf Monaten Babypause kehrte sie zurück, arbeitete das erste Jahr 30 Stunden je Woche. Dienstags, mittwochs, donnerstags war sie im Büro und damit präsent in Besprechungen. Denn zu viel Rückzug vom Geschehen in der Zentrale ist nicht ratsam, weiß sie: „Karriere macht man in großen Unternehmen nur, wenn man für Vorgesetzte sichtbar ist.“

Wenn Unternehmen es mit der Flexibilität ernst meinen, gleicht das nicht weniger als einem Mentalitätswandel. „Ich wünschte, der Kulturwandel weg von der Anwesenheitspflicht wäre schon weiter. Wir brauchen mehr mobiles Arbeiten und eine größere Eigenverantwortung unserer Mitarbeiter“, sagt Marion Schick, Personalvorständin der Deutschen Telekom. Das bedeutet aber auch, die Führungskräfte zu schulen. Denn Mitarbeiter, die virtuell arbeiten, müssen anders geführt werden. „Nämlich delegativ, also vorausschauend und anhand von Zielen“, sagt Personalprofessorin Rump.

Bei Microsoft hat man das erkannt. Wer das Home-Office will, muss ein Jahr in der Zentrale gearbeitet haben. „Dann werden mit jedem eindeutige Ziel- und Zeitvorgaben vereinbart. Wie der Mitarbeiter aber seine Aufgaben erledigt, bleibt ihm selbst überlassen – ob im Büro in der Firmenzentrale oder daheim auf dem Balkon“, sagt Microsoft-Personalchefin Brigitte Hirl-Höfer.

Personalprofessorin Rump würde es heute anders machen. Die Mitarbeiter ihres Instituts arbeiten von überall aus, sehen sich kaum persönlich. Sie erlebt seit zehn Jahren auch die Kehrseite: Nur jeden zweiten Mitarbeiter kann sie langfristig halten, nach ihrer Erfahrung tun sich gerade Jüngere schwer. „Wenn Mitarbeiter viel von zu Hause aus arbeiten, wie soll sich dann der Teamgedanke entwickeln?“ fragt sie. Rump empfiehlt, dass Mitarbeiter zumindest an zwei festen Tagen im Büro sein sollten.

Ein paar Unternehmen gehen weiter: Dass Abteilungsleiter mit ihren 20 Mitarbeitern tagtäglich auf dem gleichen Flur arbeiten, ist etwa bei Technik- und IT-Unternehmensberatungen wie IBM oder Accenture, aber künftig auch in Konzernen wie Vodafone passé. Beim Kommunikationsriesen sollen künftig alle Mitarbeiter bis zur Hälfte ihrer Arbeitszeit außerhalb des Unternehmens verbringen können.

Feste Arbeitsplätze gibt es in vielen Unternehmen nicht mehr, sie wären ja etliche Tage in der Woche verwaist. Wer kommt, sucht sich einfach einen Platz. Die Firmen sparen so immens bei Miete und Ausstattung. Organisationsprofessor Scholz geht das aber zu weit. „Die Arbeitsatmosphäre, die gewohnte Umgebung, ein gemeinsames Team sind einfach wichtig“, sagt er. So argumentiert auch Yahoo-Chefin Mayer. (HB)

Stefanie Hergert, Claudia Obmann

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