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Für mehr Demokratie. Seit Tagen protestieren in den Straßen Hongkongs und vor der Zentrale der Stadtregierung vor allem junge Leute. Sie halten die Verantwortlichen für Marionetten der kommunistischen Pekinger Führung und wollen sich nicht vorschreiben lassen, aus welchen Kandidaten sie 2017 ihren künftigen Verwaltungschef wählen. Foto: AFP

© AFP

Hongkong: Unter dem Goldberg ein Pulverfass

Die ehemalige britische Kronkolonie nutzt die wirtschaftliche Freiheit und trotzt den politischer Restriktionen aus Peking. Für Festlandschinesen ist sie längst ein Einkaufsparadies.

Wirtschaftssenator Gregory So führt den Besucher an die Fensterfront seines Büros. Weit öffnet sich der Blick über die Bucht vom 22. Stock des „Tamar“, des Büroturms der Hongkonger Stadtregierung, an dessen Fuß in diesen Tagen die Demokratiebewegung demonstriert. „Da am Ufer bauen wir den Sitz des Chief Executive“, wie das Stadtoberhaupt genannt wird. Gregory So deutet auf einen roten Komplex auf der gegenüberliegenden Seite: „Ein neues Einkaufszentrum. Dort drüben entsteht ,M+', das Museum für zeitgenössische Kunst. Und am Flughafen bauen wir eine dritte Startbahn.“

17 Jahre nach Rückkehr zu China geht es Hongkong finanziell gut

1997 hat Großbritannien die Kronkolonie an China zurückgegeben. 17 Jahre danach steht Hongkong ökonomisch und finanziell gut da, obwohl es ruppige Jahre in der Weltwirtschaft waren: Asienkrise, 9/11-Schock, Sars-Epidemie, Finanzcrash. Ein deutscher Diplomat vergleicht: „Hongkong sitzt auf einem Goldberg und hat ungefähr so hohe Haushaltsüberschüsse wie Berlin Schulden. Die dritte Startbahn, die sie ins Meer bauen, wird drei Mal so viel kosten wie der gesamte BER. Das können sie sich leisten. Der Airport bringt inzwischen mehr Geld ein als der Containerhafen.“

Unter chinesischer Oberhoheit ist Hongkong eine Stadt der Superlative geblieben: Gerade wird das längste Brückenprojekt der Erde geplant. Es soll die Stadt mit Macao und dem Festland verbinden. Durch die schroff aufragenden Küstenberge wird die Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge nach China vorangetrieben.

Die Sorge, Hongkong werde seine Einzigartigkeit verlieren, zu einer unter vielen Millionenstädten Chinas absinken und zu einem unter mehreren Finanzzentren Asiens, hat sich als unbegründet erwiesen. Mit 38 000 US-Dollar ist das Pro-Kopf-Einkommen mehr als sieben Mal so hoch wie auf dem Festland. „One Country, two systems“ war eine großartige Idee, lobt Wirtschaftssenator So. Hongkong kam unter Chinas Oberhoheit, Peking garantierte den Bestand der Freiheiten – jedenfalls in Wirtschaftsfragen. China versteht offenkundig, welchen Nutzen Hongkong mit seinen etablierten Finanzdienstleistungen als Tor zum Festland und von dort in die Welt hat. Das gilt freilich nur, solange internationale Konzerne und Investoren volles Vertrauen in diese Garantien haben.

Trotz Straßenschlachten sind die Geschäftsleute gelassen

In der Politik scheint weniger klar, ob China seine Zusagen einhält. Seit Tagen protestiert die Demokratiebewegung gegen die Einschränkung des freien Wahlrechts durch Peking. Zuletzt warfen Demonstranten, Abgeordnete und Reporter den Sicherheitskräften sogar vor, sie setzten die berüchtigten mafiös organisierten Triaden als Schlägertrupps ein. Sollte der Konflikt auf der Straße eskalieren, könnte dies auch das Wirtschaftsleben beeinträchtigen. Bisher sehen die Geschäftsleute die Aussichten aber gelassen und glauben, dass beide Seiten Vernunft bewahren.

Als Finanzmetropole ist Hongkong ein Paradebeispiel für den Wert „weicher Standortfaktoren“. Deutsche Banker, britische Geschäftsleute und internationale Rechtsanwälte nennen dieselben Vorteile. „Uneingeschränkter Internetzugang, ein unbestechliches Gerichtswesen, Pressefreiheit, erfahrene Finanzdienstleister, der Freihafen“, zählt Eberhard Brodhage, Generalmanager der Commerzbank, auf. „In Hongkong können sie eine Firma innerhalb eines Tages gründen und eintragen. In Schanghai vergehen Wochen“, sagt ein Rechtsanwalt. „So viele praktische Vorteile und so viel gewachsenes Vertrauen, das können Schanghai und andere nicht so leicht wettmachen“, meint Banker Brodhage. Die Zahl der Konzerne aus Amerika und Europa, die Hongkong zum Sitz ihres Hauptquartiers für das China-Geschäft machen, wachse weiter, betont Andrew Au, Chefökonom der Stadtverwaltung. Heute seien es doppelt so viele wie 1996. Die Produktion habe sich aufs Festland verlagert. Die Eigentümer von 300 000 Fabriken dort haben ihren Sitz aber in Hongkong.

Neuerdings fließt chinesisches Kapital fließt durch die Stadt ins Ausland

Über die Jahre haben sich die Hauptfunktionen der Stadt gewandelt. Anfangs war sie das Tor nach China für den Löwenanteil ausländischer Direktinvestitionen. Neulinge im China-Geschäft fanden dort Finanzdienstleistungen nach westlichen Standards, gepaart mit China-Know-how. Bis heute ist Hongkong der größte Investor in China, der Anteil ist aber auf 40 Prozent gesunken. Dafür fließt nun „immer mehr chinesisches Investment über Hongkong nach Nordamerika, Europa, Australien und die übrige Welt“, sagt Wirtschaftssenator So. Die Stadt habe zudem die Schlüsselrolle bei der Internationalisierung der chinesischen Währung Renminbi (RMB).

Vor allem aber ist Hongkong zum Einkaufszentrum für Chinesen vom Festland geworden. An Wochenenden sieht man sie erschöpft vom Shopping in Gruppen auf den Fußgängerbrücken zwischen den Geschäftshäusern lagern. Sieben Millionen Einwohner hat Hongkong – und jährlich 54 Millionen Besucher. 75 Prozent kommen vom Festland, sie bringen 80 Prozent der Umsätze, erläutert Chefökonom Au. „Sie kaufen hier, weil sie mehr Vertrauen in die Qualität der angebotenen Waren als zu Hause haben, und die Preise dank unseres Freihafens niedriger sind.“

Als vor wenigen Tagen das iPhone 6 herauskam, belagerten Festlandschinesen die Apple-Filialen, um ein oder mehrere Exemplare zu ergattern und zu Hause für den doppelten Preis loszuschlagen. Der relative Anteil von Handel und Logistik an Hongkongs BIP sei auf 25 Prozent gestiegen, der Anteil der Finanzdienstleistungen auf 16 Prozent gesunken, sagt Chefökonom Au.

Pekings Labor für Pilotprojekte

James Lau, Staatssekretär im Finanzministerium der Stadt, betreut die Internationalisierung des RMB. Hongkong sei „die natürliche Wahl für Pilotprojekte“, weil es „sowohl Teil des Weltmarkts als auch Chinas“ sei, eine eigene Währung und ein eigenes Finanzsystem habe. Peking gehe dabei vorsichtig vor. Bis 2004 sei der RMB nicht konvertibel gewesen. Hongkong habe als erster Ort außerhalb des Festlands Konten in RMB führen dürfen. 2010 folgte der Zugang zu Chinas Interbanksystem, 2011 die Abwicklung ausländischer China-Investitionen in RMB. 2011 gab Chinas Fünfjahresplan die Anweisung „Go out“: Konzerne und die Währung sollten sich öffnen. „Heute können wir Kredite in RMB geben und in Börsen auf dem Festland investieren“, sagt Lau. Die Nachfrage nach Währungsabwicklung mit China sei riesig. Innerhalb weniger Monate sei der Umsatz 2011/12 von 20 auf 200 Milliarden RMB gestiegen.

Wo liegen die Risiken für Hongkongs Entwicklung? Chefökonom Au nennt das Stottern der Wirtschaft in Europa und das Auseinanderklaffen der Einkommen in Hongkong mit den sozialen Folgeproblemen: unerschwingliche Wohnungspreise, der Arbeitskräftemangel und die Überalterung. Hongkong sei die Stadt mit der höchsten Lebenserwartung weltweit. Chinas Entwicklung gehört für ihn nicht zu den Hauptsorgen. Dort seien „die Chancen größer als die Risiken“. Das Wachstum gehe zwar zurück, aber „die haben ihre Herausforderungen bisher ganz gut gemeistert.“

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