zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Horrortripp statt Einkaufsbummel

Die tiefblaue Leuchtreklame an dem futuristischen Glasgebäude funkelt mit der ersten Weihnachtsbeleuchtung auf dem Berliner Kurfürstendamm um die Wette. "Niketown" heißt das extravagante Bauwerk, das die Verkaufsräume des Sportartikelherstellers Nike beherbergt.

Die tiefblaue Leuchtreklame an dem futuristischen Glasgebäude funkelt mit der ersten Weihnachtsbeleuchtung auf dem Berliner Kurfürstendamm um die Wette. "Niketown" heißt das extravagante Bauwerk, das die Verkaufsräume des Sportartikelherstellers Nike beherbergt. Allerdings besticht der Nike-Shop nicht nur durch seine auffällige Architektur, sondern auch durch die ungewöhnliche Außenwerbung - und die will so gar nicht zum Angebot der trendbewussten Sportmarke passen.

An der Außenfassade klebt das überlebensgroße Bild einer älteren Dame mit graugelocktem Haar. Fröhlich winkt sie den Passanten zu. Soll die lächelnde Dame etwa ihre Altersgenossen animieren, mal in den Nike-Shop hereinzuschauen? Oder bedeutet die fünfmeterhohe Abbildung der 70-Jährigen, dass Senioren bei Nike besonders herzlich willkommen sind?

Unter dem Jungvolk im Sportgeschäft sind jedenfalls kaum ältere Leute zu entdecken. Einer der wenigen Menschen über 40, die sich in den Einkaufstempel der Moderne gewagt haben, ist Hans-Georg Naumann. Eigentlich wollte er seiner Tochter zu Weihnachten Turnschuhe schenken. "So ein ganz modernes Modell mit allen Schikanen", erzählt er. Doch nun steht er ratlos im Eingangsbereich herum und weiß nicht so recht wohin. Dabei ist er mit Mitte Fünfzig um einige Jahre jünger als die fröhlich lächelnde Seniorin auf der Außenfassade - und trotzdem ist ihm das Lachen gründlich vergangen. Das Durcheinander der viele kleinen Verkaufsnischen hat Naumann völlig verwirrt. Zwar ist es ihm gelungen ein Regal mit Turnschuhen ausfindig zu machen, aber Preis und Produkteigenschaften bleiben ihm ein Rätsel. Dafür grinst ihn wieder die graugelockte Seniorin an, die er schon von draußen kennt: Diesmal ziert sie als Pappfigur den Verkaufsraum. Irgendwie fühlt Naumann sich verschaukelt und beschließt die Turnschuhe für seine Tochter in einem kleineren Fachgeschäft zu kaufen.

So wie Hans Georg Naumann verstehen viele ältere Menschen die Einkaufswelt nicht mehr. Nicht nur die futuristischen Mode- und Computershops, sondern auch die traditionellen Supermärkte und Kaufhäuser machen der Generation 50-plus das Einkaufsleben schwer: Angefangen bei einer schlechten Preisausschilderung bis hin zu einer unübersichtlichen Warenauslage. Und gerade zur Weihnachstzeit, wenn die Geschäfte genauso voll sind wie die Wunschzettel der Enkelkinder, kann der Einkaufsbummel schnell zum Horrortripp werden.

Die Probleme, mit denen ältere Menschen in Geschäften konfrontiert werden, sind zahlreich und vielseitig. Die Gesellschaft für Gerontotechnik (GGT) hat 400 Menschen zwischen 55 und 90 Jahren dazu befragt. Und die Mängelliste der GGT ist lang - mindestens so lang wie die Wege in großen Supermärkten für Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Weitere Kritikpunkte: Fehlende Sitzgelegenheiten, auf denen man sich vom Einkaufsstress kurz erholen kann. Preisauszeichnungen sind zu klein und unübersichtlich. Preisgünstige Waren werden ganz oben oder ganz unten im Regal platziert, für weniger bewegliche Menschen unerreichbar. Viele Einkaufswagen sind groß und schwer zu manövrieren. Und so weiter.

Bei den Kaufhausketten Karstadt und Kaufhof allerdings glaubt man nicht, dass ältere Menschen eine besondere Rücksichtnahme wünschen. "Die Senioren wollen keine Spezialbehandlung", heißt es bei der Kaufhofzentrale in Köln. Das Geschäftskonzept sei generationsübergreifend ausgerichtet. Daher seien eine ausreichende Beschilderung, eine übersichtliche Warenpräsentation und fachkundiges Verkaufspersonal selbstverständlich. Auch Karstadt-Sprecher Elmar Kratz glaubt, dass sein Unternehmen mit speziellen Serviceleistungen und Angeboten für Senioren auf keinen grünen Zweig käme. Angesichts dieser Haltung wundert es nicht, dass in einer Umfrage der Saarbrücker Consulting-Firma Meyer-Hentschel nur fünf Prozent der befragten Senioren die Kaufhäuser als kundenfreundlich bewerten.

Dabei hätten die Händler allen Grund, älteren Menschen den Hof zu machen. Denn diese verfügen über viel Geld. Die Gruppe der über 60-Jährigen hat nach Schätzungen der Gesellschaft für Gerontotechnik monatlich bis zu 15 Milliarden Mark zur Verfügung. Mit einem Durchschnittseinkommen von 3 250 Mark können Senioren mindestens dreimal so viel ausgeben, wie die von Unternehmen und PR-Agenturen umworbene Käuferschicht der 14- bis 20-Jährigen. Außerdem wird der Anteil der Menschen über 60 an der Gesamtbevölkerung von derzeit knapp einem Viertel auf gut ein Drittel im Jahre 2030 zunehmen - und damit wächst auch ihre wirtschaftliche Bedeutung.

Angesichts dieser Zahlen verwundert die mangelnde Beachtung der älteren Generation. "Der Einzelhandel denkt zu kurzfristig", kritisiert Unternehmensberaterin Hanne Meyer-Hentschel. "Hauptsache, abends stimmt die Kasse." Problematisch sei zudem, dass die meisten Verantwortlichen im Handel jung seien und sich nicht in die Bedürfnisse älterer Menschen hineindenken könnten. "Sie werden trainiert, in Rendite pro Quadratmeter zu denken. Eine Sitzgruppe schneidet da natürlich schlecht ab", erklärt Meyer-Hentschel. Ihre Firma versucht Unternehmern die wirtschaftliche Bedeutung der Senioren näherzubringen.

"Die Generation 50-plus ist nicht nur kaufkräftig, sondern auch kauffreudig", sagt Robert Dietl, Experte für Ladenarchitektur und Warenpräsentation. So leisten sich 61 Prozent der Senioren bewusst die beste Qualität und fast 70 Prozent greifen für besonders guten Service gern auch einmal tiefer in die Tasche. Daher prophezeit Dietl die Wiederauferstehung des Fachhandels. "Die weichen Faktoren, wie etwa eine freundliche Atmosphäre und kompetentes Personal, sind das große Potenzial der Fachgeschäfte", erklärt Dietl. Während die Kaufhäuser und Discounter versuchten, die Kunden über günstige Preise zu locken, könnte der Fachhandel durch guten Service bestechen. Sein Ratschlag an alle älteren Menschen: Wer nach dem Einkauf nicht bedient sein will, sollte von vorneherein den Kaufhaustrubel meiden. "Denn meistens bietet der Fachhandel den besseren Service und die bessere Beratung", sagt Dietl.

Till Hoppe, Dagmar Rosenfeld

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false