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Wirtschaft: Horst-Dieter Sawade Geb. 1936

Vater war Setzer, er war Setzer. Sein Sohn lernte was anderes.

Ein Glück. Die Vollendung sah für ihn so aus: Auf den Ozean blicken und dabei Verdi hören. Der Berliner Stress – vergessen, ganz weit weg. Die Nachtschichten, wenn er den Herren Zeitungsredakteuren nicht schnell genug die Bleibuchstaben auswechseln konnte, wenn sich die Nachrichten stündlich änderten, wenn es in der Tagesspiegel-Setzerei immer heißer und stickiger wurde und der Boden voll lag mit hingeworfenen Bleisätzen. Wenn zwei Packungen Zigaretten für die Nacht nicht reichten.

30 Jahre hatte er davon geträumt, mit Mitte fünfzig hat er es gemacht: Dreieinhalb Monate reiste er mit einem Containerfrachter um die Welt. Zwei andere private Passagiere gab es noch auf dem Schiff, keinen Arzt. Die Planken rochen nach Abenteuer. Ein Schicki-Micki- Kreuzfahrtschiff wäre nichts für Horst-Dieter Sawade gewesen, so was mit drei Mal am Tag umziehen und Captain’s-Dinner. Auf der „La Spezia“ konnte er wochenlang mit der selben Jeans-Hose rumlaufen, T-Shirt drüber, fertig. Abends wurde auf Deck gegrillt, und was er von der Welt sehen wollte, hat er gesehen, die Elefanten in Afrika, die Kängurus in Australien.

Zuhause verpasste er in den drei Monaten ohnehin nicht viel. 1995, als er in die Welt hinaus fuhr, gab es für ihn nicht mehr viel zu tun beim Tagesspiegel und schon gar nichts, was ihm Spaß gemacht hätte. Maschinensetzer brauchte man nicht mehr. So ein schöner alter Beruf, er konnte es nicht fassen, dass es den nicht mehr geben sollte. Die letzte Druckvorlage der Zeitung, die noch in Blei gesetzt worden war, hat er eingerahmt und in sein Arbeitszimmer gehängt: 9. Oktober 1983 steht darauf. Auf dem Foto, das an diesem Tag in der Druckerei aufgenommen wurde, sieht man Männer mit traurigen Gesichtern um einen Tisch sitzen. Vor ihnen stehen Sektgläser.

Für die wenigsten von ihnen war die Umstellung auf den modernen Fotosatz ein Fortschritt. Das, was ihre Hände verrichtet hatten, wofür sie jahrzehntelang geschwitzt und alle Konzentration aufgebracht hatten, erledigten nun Maschinen, schnell und effizient. Sicher, man hätte ahnen können, dass es irgendwann so kommen würde. Aber Horst-Dieter Sawade war nicht der einzige, der die Prophezeiungen verdrängte. Die Setzer abschaffen, so ein Blödsinn.

Als Setzer war man schließlich wer, sozusagen der Intellektuelle unter den Handwerkern. Wer nicht gerne las, wer von Rechtschreibung und Grammatik keine Ahnung hatte, war hier fehl am Platz. Schon Vater Max Sawade war eine Kapazität unter den Berliner Setzern. Er hatte seinem Sohn zuerst das Handsetzen, dann das Maschinensetzen beigebracht, immer am Sonntagvormittag. Ganz wenige durften dann später auch den Sohn „Max“ nennen.

Wäre alles beim alten geblieben, so wäre auch Horst-Dieters Sohn Setzer geworden. Der allerdings sagt heute, dass er ganz froh sei, dass es den Beruf nicht mehr gibt. Es wäre schwer geworden, gegen die Familientradition anzugehen und gegen die Begeisterung des Vaters. Nach 1983 war da allerdings nur noch Enttäuschung.

Horst-Dieter Sawade nahm es den modernen Maschinen persönlich übel. Mit Computern wollte er nichts zu tun haben, Umschulungen machte er nicht mit. Blieb nur das Korrekturlesen. Die Gemeinschaft der Setzer zerstreute sich. Viele wurden entlassen und die, die als Korrektoren weitermachten, verteilten sich übers ganze Haus.

Fünf Jahre, nachdem er mit dem Frachter unterwegs gewesen war, ging er zum Urologen. Irgendetwas drückte da. 35 Jahre lang war Horst-Dieter nicht krank gewesen, jetzt hatte er Krebs. Der Arzt gab ihm noch vier Jahre. Das Leben mit dem Ende in Sicht, war schwer zu ertragen. Jeder Urlaub, jeder Opernbesuch konnte der letzte sein.

Vier Jahre nach der Diagnose ist er zu Hause gestorben, in den Armen seiner Frau. Über seinem Bett hingen die Druckvorlage und ein paar Kupferteller aus Marokko.

Claudia Keller

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