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Wirtschaft: Hüter der Umwelt

Schäfer leben vom Verkauf des Lammfleisches. Doch immer mehr Einnahmen erzielen sie aus der Landschaftspflege

Fachkräfte dringend gesucht – das war eines der beherrschenden Wirtschaftsthemen des Jahres 2010 und es wird uns wohl auch in dem kommenden Jahren begleiten. Stark gefragt sind Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler, Informatiker und andere Spezialisten für die Hightech- Produkte made in Germany. Doch es gibt noch Nischen, in denen sich alte Berufe erhalten haben – und Menschen, die diese Traditionen pflegen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich diese alten Berufe allerdings gewandelt und erfüllen heute zum Teil ganz neue, manchmal überraschende Aufgaben. In einer kleinen Serie stellt der Tagesspiegel verschiedene alte Berufe und ihre neuen Perspektiven vor.

Der Schnee liegt mehr als 30 Zentimeter hoch. „Trockene Kälte macht den Tieren nichts“, sagt Schäfermeister Jan Greve. „Aber wenn so viel Schnee liegt, finden die Schafe nur ein paar Spitzen zum Abknapsen. Davon werden sie nicht satt.“ Also muss Jan Greve auf seinem Heidschnuckenhof in der Heide bei Storbeck zufüttern. Das kostet Geld. „Wir verlieren jeden Tag 400 Euro“, berichtet der Schäfermeister und hofft, dass es diesmal nicht so schlimm kommt wie im vergangenen Winter, als er 100 Tage lang zufüttern musste. „Da waren 40 000 Euro weg.“

Gemeinsam mit seiner Frau Gabriela ist Jan Greve einer von etwa 100 haupterwerblichen Schafhaltern in Brandenburg. Zu den Berufsschäfern kommen noch rund 335 Landwirte hinzu, die im Nebenerwerb Schafe halten und eine große Zahl an Hobby-Schäfern. Insgesamt sind in Brandenburg zur Zeit knapp 6000 Schafhalter und etwa 124 000 Schafe registriert. Zu den Betrieben, die im wesentlichen von der Schafhaltung leben, gehören etwa 90 Prozent der Tiere. Nach Angaben der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände leben in Deutschland insgesamt rund 2,4 Millionen Schafe und es gibt noch etwa 2000 Berufsschäfer.

Greve ist mit Leib und Seele dabei, sagt er. Auch wenn das Geschäft immer schwieriger werde. „Mich ärgert die viele Bürokratie. Die Zeit, die man im Büro verbringen muss, wächst ständig“, klagt er. Ein großes Ärgernis, das viel Arbeit macht und dessen Nutzen Greve und viele andere Schäfer nicht erkennen können, ist die neue Vorgabe der Europäischen Union, dass die Schafe jetzt alle individuell gekennzeichnet werden müssen. Früher reichte die Bestandskennzeichnung aus. Kam es zu Krankheitsfällen, konnte ein Tier einer Herde zugeordnet werden. Jetzt führt Greve ein Bestandsregister mit 120 Seiten für seine 1200 Mutterschafe in seinem Herdenmanagementprogramm.

Rund 600 Hektar Weidefläche hat Greve für seine Tiere. Das meiste ist Heide. Weil die kein besonders gehaltvolles Futter für die Tiere liefert, züchtet Greve genügsame Tiere. Das tut der Fleischqualität keinen Abbruch. „Gut Ding will Weile haben“, sagt der 61-Jährige „Und was langsam wächst, schmeckt besser.“ Angefangen hat Greve mit Heidschnucken, jetzt kommen immer mehr Coburger Fuchsschafe hinzu. „Die sind ein bisschen frohwüchsiger“, erklärt er. Das heißt, die Lämmer bringen bei der Schlachtung etwa zwei Kilo mehr auf die Waage. „Bei einem Preis pro Kilo von sieben Euro macht das 14 Euro pro Lamm mehr“, rechnet Greve vor.

Die Berufsschäferfamilie hat zwei Einnahmequellen: den Verkauf des Lammfleisches und die Vergütungen für die Landschaftspflege. „Die landwirtschaftlichen Betriebe in der EU leben zur Hälfte von öffentlichen Geldern und zur anderen Hälfte von ihren Produktionserlösen“, erläutert Greve. „Bei den Schäfern ist es eher noch dramatischer. Aber wir tun auch mehr für die Natur.“

Die Schäfer betreiben Landschaft- und Deichpflege und bekommen dafür Pflegegelder. Wenn Schafe zum Beispiel auf einem Deich weiden, verfestigen sie mit ihren Hufen die Grasnabe und verhindern den Baumanflug. Schafe leisten auch einen Beitrag zum Umweltschutz. Die weidenden Tiere tragen etwa zum Erhalt der heidetypischen Landschaften bei und sorgen dafür, dass in diesen Biotopen bedrohte Tiere überleben. Wenn Grünland beweidet wird, führt das nicht nur dazu, dass das Land offen bleibt und somit als Wassergewinnungsreservoir zur Verfügung steht. Die Beweidung sorgt auch dafür, dass das Gras immer wieder nachwächst und so die CO2-Bilanz positiv beeinflusst wird. „Der Beitrag, den wir für den Umweltschutz und die Landschaftspflege leisten, rückt immer stärker ins Bewusstsein der Leute und wird in unserem Beruf auch immer wichtiger“, sagt Schäfermeister Greve.

Die Produktion von Wolle und Milch spielt dagegen bei deutschen Schäfern keine Rolle. In Brandenburg gibt es gerade einmal sechs Betriebe, die überhaupt Schafsmilch produzieren. Das sei ein anspruchsvolles und aufwendiges Geschäft, sagt Greve. Nicht nur weil man sich sehr gut mit den Tieren auskennen, sondern weil man auch noch ein guter Käsemacher und ein guter Vermarkter sein müsse. Und bei der Wolle stimmt hierzulande schlicht die Qualität aus klimatischen Gründen nicht. Die Wolle aus wärmeren Ländern ist einfach feiner, sagt der Schäfermeister.

Seinen Betrieb in Storbeck nordwestlich von Neuruppin hat Jan Greve seit dem Jahr 1994. Er beschäftigt einen Schäfer und eine Hilfskraft, sein Sohn befindet sich gerade in der Ausbildung. Eigentlich würde Greve seinen Betrieb gern vergrößern. „Aber ich finde nicht die richtigen Leute“, klagt er. Ob er seinem Sohn die Übernahme des Betriebs empfehlen kann? „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, sagt Greve. Einfacher wäre es für ihn und seine Kollegen, wenn die Verbraucher bereit wären, einen vernünftigen Preis für Qualität zu bezahlen. „Die Neuseeländer produzieren billiger“, sagt er. „Aber unser Fleisch schmeckt besser.“

Folge 2: Der Buchbinder

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